Ein Schritt zurück für Fortschritt? Solanezumab gilt vorerst bei Alzheimer Demenz als gescheitert, wird aber nun in Vorläuferstadien der Erkrankung getestet

Original Titel:
Solanezumab: too late in mild Alzheimer’s disease?

Bisher konzentrierte sich die Suche um Therapieansätze für Demenzerkrankungen auf Patienten im fortgeschrittenen Stadium und meistens in höherem Lebensalter. Dies liegt vor allem daran, dass eine Forschungsstrategie vor etwa 30 Jahren aufgestellt wurde. Damals wurden Teile des Bauplans unserer Zellen, bestimmte Gene, als möglicherweise in die Krankheit involviert angenommen. Behandlungen, die auf diese Gene zielten und so die Krankheit in ihrem Verlauf ändern sollten, gelten jedoch inzwischen als zum Teil gescheitert.

So zeigte sich in einer klinischen Studie Ende 2016 (Expedition3, Identifikationsnummer auf ClinicalTrials.gov: NCT01900665), dass das Mittel Solanezumab bei Patienten mit milder Alzheimererkrankung keine klaren Effekte auf die Denkleistung im Vergleich zur Leistung vor der Behandlung hatte. Das Medikament war auch ursprünglich kein Hoffnungsträger für einen kompletten Heilungserfolg, aber die Forscher waren trotzdem erstaunt, dass es so wenig Effekt auf die Krankheitssymptome hatte. So bewirkte das Medikament nach 80 Wochen Behandlungsdauer in dieser Studie kaum etwas, jedoch zeigten sich ermutigende Effekte zu früheren Messzeitpunkten, also früher im Krankheitsverlauf. Zwei Vorstudien hatten zudem gezeigt, dass eine Untergruppe von Patienten, die nur an einer milden Form der Alzheimererkrankung litt, von der Behandlung zu profitieren schien. Dazu wurde eine Verbesserung in der Denkleistung (Alzheimer’s disease assessment scale – cognitive subscale, ADAS-Cog) überprüft.

Den stärksten Effekt (15 % besser als die Placebogruppe) erzielte Solanezumab in der Expedition3-Studie in einem breitgefächerten Demenztest zu Leistungen des Gedächtnis und der Problemlösung sowie sozialen Interaktionen oder Selbstpflege (clinical dementia rating sum of boxes, CDR-SB). Auch beim Test von Beeinträchtigungen der Denkleistung (Mini-Mentalstatus-Test, MMST) und der Alltagsfähigkeiten (activities of daily living on the Alzheimer’s disease cooperative study-instrumental activities of daily living, ADCS-ADL) fanden sich Verbesserungen mit Solanezumab im Vergleich zu Placebo. Allerdings wurden diese Werte auf der Konferenz ‚unkorrigiert‘ berichtet. Dies bedeutet, dass eine genauere statistische Überprüfung auch diese Effekte noch als Zufallsbefunde enttarnen könnte. Schließlich müsste man beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel auch nur häufig genug die Würfel (oder mehr Würfel) werfen, um früher oder später seine Wunschzahl zu erhalten. In der Forschung ist es genausowenig erlaubt, massenhaft zu testen, bis das Ergebnis ’stimmt‘. Zur Korrektur muss daher zumindest die Anzahl der Tests (entsprechend der Zahl der Würfel) mit in die Bewertung der Ergebnisse einfließen (multiple comparison correction). Blutwerte und alzheimertypische Ablagerungsrückstände in der Gehirnrückenmarksflüssigkeit werden derzeit aber noch analysiert. Folgende Veröffentlichungen werden dann mit Sicherheit korrigierte, wenn auch damit noch schwächere, Ergebnisse liefern. Jedoch ist schon jetzt das Resultat der Studie ernüchternd, da das eigentliche primäre Wirkziel, Verbesserung der Denkleistung im Vergleich zur Zeit vor der Behandlung, nicht erreicht wurde.

Braucht die Forschung also einen Schritt zurück im Lebensalter der Patienten und im Krankheitsverlauf, um womöglich doch noch einen Fortschritt zu sehen? Unter anderem in den Solanezumab-Studien zeigte sich ja, dass die kritischste Phase der Krankheit womöglich in der Mitte des Lebens, eventuell noch vor einem eigentlichen Krankheitsausbruch, liegt. Die vielversprechendsten Ergebnisse fanden sich schließlich nur in frühen Krankheitsstadien, und auch da vor allem bei den frühen Messzeitpunkten.

In der Studie Expedition3 wurde das Medikament als sicher bewertet, da 85 % der Teilnehmer die Studie bis zum Ende durchführten. Die Zahl schwerer Nebenwirkungen (oder Todesfälle) in der Medikamentengruppe war zudem geringer als in der Placebogruppe. Dies machte es möglich, weitere Studien mit Solanezumab bei Patienten in noch früheren Erkrankungsstadien anlaufen zu lassen. So wird die Studie ExpeditionPRO (NCT02760602) voraussichtlich im April 2021 abgeschlossen werden. Dabei stehen Patienten in der Vorläuferphase der Erkrankung, der sogenannten Prodromalphase, im Fokus. In der Studie A4 (NCT02008357) werden Personen getestet, deren Gehirn die alzheimertypischen Ablagerungen, die Amyloid-Plaques, zeigt, aber die noch keine Anzeichen von Gedächtniseinbußen oder Abbau der Denkleistung zeigen. Vielleicht wird das Medikament bei diesen Menschen, die sich in einer weit früheren Phase der Erkrankung befinden, erfolgreicher sein. Allerdings sind dies noch keine Patienten, sondern lediglich Menschen mit erhöhtem Risiko für eine Alzheimerkrankung. Es bleibt für diese Menschen, genau wie für Angehörige von Patienten, die sich selbst einer möglichen Vorveranlagung ausgeliefert sehen, also zu hoffen, dass das Medikament eine mögliche Demenzerkrankung hinauszögern oder gar verhindern kann.

Inzwischen dreht sich also durch die Rückschläge der letzten Jahre der Wind in der Demenzforschung – fort vom Fokus auf die späten Symptome, hin zur Früherkennung und hoffentlich einer Verhinderung des Ausbruchs der bis dato unheilbaren Krankheit.

© Alle Rechte: HealthCom