Modernste Hilfe bei chronischen Schmerzen: UKD-Neurochirurgie implantiert erstmalig in Europa neuartigen Schmerzschrittmacher

Die Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) hat erstmalig in Europa einen hochmodernen Schrittmacher, der weitgehend selbstständig arbeitet, bei einer Patientin implantiert.

Viele Patienten mit chronischen Schmerzen erleben eine lange Leidensgeschichte, bevor bei ihnen die richtige Therapie angesetzt werden kann. Eine Therapiemöglichkeit sind Schmerzschrittmacher, bei denen das Rückenmark durch schwache Stromimpulse stimuliert wird.

Für Prof. Dr. Jan Vesper, Leiter der Sektion Funktionelle Neurochirurgie und Stereotaxie an der UKD-Klinik für Neurochirurgie, ist das neue Gerät ein erneuter Quantensprung in der Behandlung von chronischen Schmerzen: „Wir haben nun erfolgreich – zum ersten Mal in Europa – einen Schrittmacher gegen Nervenschmerzen implantiert, der alles automatisch macht: Er empfängt die Schmerzsignale auf Rückenmarksebene, zeichnet diese Messwerte auf, speichert sie und sendet automatisch die richtigen Stromimpulse.“

Jeder fünfte Mensch in Europa leidet unter Schmerzen, die immer wieder kommen. Für rund 15 Millionen Deutsche gehören dauerhafte Rückenschmerzen, Migräne oder Nervenschmerzen zum Alltag – mit teils großen Einschränkungen der Lebensqualität, die bis hin zur Berufsunfähigkeit führen können. Von chronischen Schmerzen spricht man in der Medizin meist, wenn Schmerzen länger als sechs Monate andauern. Sie bleiben, obwohl die Schmerzursache – zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall – längst verheilt ist. Der Schmerz ist zu einer eigenständigen Krankheit geworden.

Volkskrankheit Chronische Schmerzen: Schmerzschrittmacher blockieren die Weiterleitung der Schmerzimpulse durch das Rückenmark

Nicht immer lässt sich einwandfrei feststellen, woher chronische Schmerzen kommen. Sie können unter anderem entstehen, wenn die menschlichen Schmerzrezeptoren dauerhaft gereizt sind, überempfindlich reagieren und Schmerzmeldung immer wieder ans Gehirn weitergeben. Bei diesen Schädigungen oder Erkrankungen des peripheren oder zentralen Nervensystems spricht man von Nervenschmerzen. Die Schmerzsignale werden vom Körper über das Rückenmark in Form von elektronischen Impulsen an das Gehirn weitergeleitet. In dem man diese Weiterleitung der Schmerzimpulse durch das Rückenmark blockiert bevor Sie das Gehirn erreichen, können chronische Schmerzen mithilfe der Rückenmarksstimulation behandelt werden.

„Bei der Rückenmarksstimulation setzen wir eine oder zwei Stimulationselektroden in den Rückenmarkskanal der Wirbelsäule. Die Elektroden werden an einen Stimulator – dem Schmerzschrittmacher – angeschlossen, der schwache elektrische Impulse an das Rückenmark sendet. Durch diese Stimulation werden die Schmerzimpulse blockiert und nicht mehr an das Gehirn weitergeleitet. Der Patient hat zwar weiterhin Schmerzen, das Gehirn bekommt diesen Schmerz aber nicht gemeldet und der Patient spürt ihn nicht. Wir tricksen mit der Technik das Gehirn quasi aus“, erklärt Jan Vesper. Der Experte für Neuromodulation ergänzt: „Die Medizintechnik in diesem Bereich entwickelt sich erfreulich schnell!“

UKD-Neurochirurgie erneut ganz vorne in Europa

Bereits Ende des vergangenen Jahres konnten Jan Vesper und sein Team eine medizinische Pionierleistung verkünden: Erstmalig in Europa hatten sie einer Patientin einen Schmerzschrittmacher implantiert, der die benötigte Signalstärke des Stromimpulses an das Rückenmark personalisieren und sich an die Bedürfnisse der Patientin und des Patienten anpassen kann. Das aktuelle Gerät aus diesem Jahr geht noch einen Schritt weiter. Wieder sind Vesper und sein Team die ersten, die das Gerät in Europa einsetzen.

„Bei gängigen Schmerzschrittmachern haben die Patienten eine Art Fernbedienung, mit der sie die Signalstärke der Stimulation einstellen. Das erfordert ein bisschen Erfahrung und die subjektive Einschätzung der Schmerzen sorgt auch immer mal dafür, dass die falsche Impulsstärke gegeben wird. Moderne Schmerzschrittmacher messen die Reaktion des Rückenmarks auf Bewegungen und Handlungen. Im vergangenen Jahr haben wir als erste einen Schrittmacher implantieren können, bei dem der Patient Reaktionen des Rückenmarks auf gewisse Situationen einspeichern kann. Das Gerät erkennt diese Situation danach dann aufgrund der Rückenmarksreaktion automatisch und sendet von alleine den richtigen Stromimpuls zum Beispiel für die eingespeicherte Situation ‚arbeiten’“, erklärt Dr. Apostolos Chatzikalfas. Der Neurochirurg ist Oberarzt im Team von Prof. Jan Vesper und hat mit ihm zusammen im Oktober 2019 auch den neuen, noch moderneren Schmerzschrittmacher am UKD implantiert.

„Der Schmerzschrittmacher der neuesten Generation, den wir im Oktober 2019 implantiert haben, geht nun noch einen Schritt weiter: Das Gerät macht alles automatisch und stimuliert genau passend auf die speziellen Bedürfnisse der Betroffenen. Der Patient hat seine Fernbedienung nur noch für ganz persönliche Anpassungen. Situationen, in denen zu geringe oder zu starke Stromimpulse gegeben werden und die Schmerzen somit nicht richtig geblockt werden, können so deutlich verringert werden. Für die Betroffenen eine enorme Erleichterung“, freut sich Jan Vesper.

Parkinson oder Muskelzittern: In Zukunft sollen noch weitere Erkrankte profitieren

Aktuell wird die Therapie in Europa ausschließlich bei der Behandlung von chronischen nervenbedingten Schmerzen eingesetzt. Langfristig sollen aber noch weitere Erkrankte profitieren: „Das Verfahren kann auch bei der Tiefen Hirnstimulation eingesetzt werden. Also zum Beispiel bei der Behandlung von Parkinson oder Muskelzittern (fachlich: Tremor). Hier könnte es auch ganz schwierigen Fällen deutlich bessergehen. Bisher gibt es aber bei bestimmten schweren Erkrankungen noch kein Feintuning, wie es bei den chronischen Schmerzen möglich ist. Hier wird die Forschung in Zukunft weitergehen“, so Jan Vesper.

Im Jahr 2019 wird die Neurochirurgie der Uniklinik Düsseldorf in ganz Deutschland die einzige Klinik bleiben, die den neuartigen Schmerzschrittmacher implantiert. Die Patientin konnte die Klinik bereits nach drei Tagen wieder verlassen – deutlich schmerzgelindert.