Spinnenbiss führt zu neuen Wirkstoffen

Internationales Forscherteam geht Infektionsursache auf den Grund

Jena. Der Biss einer Spinne verursachte eine schwere Entzündung und kostete einer Australierin den Unterarm. Doch diese tragisch verlaufende Infektion führte ein internationales Forscherteam zu neuen Wirkstoffen, den sogenannten Necroximen. Die Substanzen werden von Bakterien gebildet, die im Inneren von Pilzen leben. Wissenschaftler isolierten sie aus dem infizierten Unterarmgewebe der Patientin. Die hochwirksamen Zellgifte können Anhaltspunkte für die Entwicklung neuer Krebsmedikamente liefern. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie.

Zahlreiche Wildtiere Australiens sind besonders giftig, darunter auch viele Spinnen. Ein Team um Christian Hertweck vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – (Leibniz-HKI) in Jena ist gemeinsam mit australischen Kollegen einem ungewöhnlichen Fall auf den Grund gegangen: In den 1980er Jahren biss eine Spinne einer Australierin in den Finger. Es entwickelte sich eine Mischinfektion im Unterarm, die Mediziner nur durch eine Amputation stoppen konnten. Aus dem abgestorbenen – nekrotischen – Gewebe isolierten Forscherkollegen damals den Pilz Rhizopus microsporus. Hertweck und seine Mitarbeiter entdeckten, dass im Zellinneren dieses Pilzes wiederum Bakterien leben. Sie sind es, die nach den Analysen der Jenaer Forscher einen ganzen Giftcocktail produzieren. Ein Teil dieses Gemischs, die sogenannten Rhizoxine, wurde bereits vor einigen Jahren am Leibniz-HKI entdeckt. Nun sind neue Moleküle mit völlig anderer Struktur hinzugekommen, die als Necroxime bezeichnet werden. Sie gehören zur Substanzklasse der Benzolacton-Enamide. Schon geringste Mengen dieser Necroxime bringen menschliche Zellen zum Absterben.

Das Team untersuchte auch, wie die Bakterien diese ungewöhnlichen Verbindungen herstellen. Dazu analysierten die Forscher das Genom der Bakterien. Durch bioinformatische Analysen entschlüsselten sie eine Vielzahl von Biosynthese-Genen. Sie codieren eine Art molekulares Fließband, an dem die Necroxime gebildet werden. Kleine Molekülbausteine werden über ein biochemisches Programm zusammengesetzt und modifiziert. Jede einzelne Domäne des enzymatischen Fließbands ist für einen speziellen Reaktionsschritt zuständig, bis schließlich das fertige Molekül freigesetzt wird. Da Necroxime und verwandte Stoffe toxisch auf menschliche Zellen wirken, kommen sie als Medikamente gegen Krebserkrankungen in Betracht. Chemiker müssen jedoch häufig die Molekülstruktur noch anpassen, um die pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern und unerwünschte Wirkungen zu minimieren. Die Enzyme der Biosynthese sind für die Wissenschaftler ein geeignetes, von der Natur bereitgestelltes Werkzeug. Durch die Decodierung der zuständigen Gene ist es den Naturstoff-Forschern nun möglich, die Biosynthese von Wirkstoffen gezielt umzuprogrammieren. Zudem fanden sie ähnliche genetische Codes in den Genomen zahlreicher anderer Bakterien, die sie auf diese Weise als Wirkstoffproduzenten identifizierten.

Für Christian Hertweck, der auch einen Lehrstuhl an der Friedrich-Schiller-Universität Jena innehat, sind natürliche Lebenspartnerschaften eine Quelle der wissenschaftlichen Inspiration: „Das komplexe Zusammenleben unterschiedlicher Organismen – hier Bakterium, Pilz und Spinne – wird größtenteils von chemischen Substanzen gesteuert. Mit den Necroximen haben wir neue toxische Naturstoffe entdeckt, die möglicherweise auch nutzbringend für den Menschen  zum Einsatz kommen könnten.“ Die Jenaer Forscher verfolgen diesen Ansatz in einem eigenen Forschungsschwerpunkt. So widmen sich Hertweck und viele Kollegen im Sonderforschungsbereich ChemBioSys der chemischen Sprache in Organismengemeinschaften. Auch im Exzellenzcluster Balance of the Microverse gehen die Wissenschaftler dem molekularen Zusammenspiel von Mikroorganismen mit anderen Lebewesen und der Umwelt nach. Solche Erkenntnisse sind von medizinischem Interesse, können aber auch beitragen, Umweltprozesse zu verstehen und zu beeinflussen.

Originalpublikation

Niehs SP, Dose B, Richter R, Pidot SJ, Dahse H-M, Stinear TP, Hertweck C (2020) Mining symbionts of spider‐transmitted fungus illuminates uncharted biosynthetic pathways to cytotoxic benzolactones. Angewandte Chemie International Edition https://doi.org/10.1002/anie.201916007.

Das Leibniz-HKI

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.

Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 als Doktoranden.

Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.

Die Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.

Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro.