Hochdruck-Leitlinien werden in den Hausarztpraxen umgesetzt

Wissenschaftliche Leitlinien sind eine der wichtigsten Grundlagen zur Sicherung der medizinischen Behandlungsqualität. Wie aber profitieren die Patienten davon? Um Akzeptanz und Umsetzung von Leitlinienempfehlungen in deutschen Hausarztpraxen zu untersuchen, wurde eine Studie aufgelegt, deren Ergebnisse kürzlich im „Journal of Education and Health Promotion“ veröffentlicht wurden [1]. Demnach werden die Leitlinienempfehlungen von der Mehrzahl der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland gut akzeptiert und größtenteils in der täglichen Praxis umgesetzt. Wie eine weitere, vor wenigen Tagen publizierte Studie [2] zeigte, war das im Hinblick auf Therapieempfehlungen im Jahr 2012 noch nicht der Fall.

In Deutschland hat fast jeder dritte Erwachsene zu hohe Blutdruckwerte. Bei den über 60-Jährigen ist im Durchschnitt sogar jeder Zweite von erhöhten Werten betroffen und hat damit ein deutlich erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen. Die Sterberate und Einschränkungen der Lebensqualität durch Hypertonie-Folgeerkrankungen und auch die damit verbundenen Belastungen des Gesundheitsbudgets lassen sich jedoch reduzieren: Einerseits durch den Lebensstil der Menschen, aber auch durch eine leitliniengerechte ärztliche Behandlung mit altersabhängigen und risikoadaptierten Zielwerten. Die Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga entstanden auf Basis der Leitlinien der „European Society of Hypertension“ (ESH). Sie berücksichtigen internationale Forschungsergebnisse und Studien zur Hypertoniebehandlung.

Transfer von Leitlinien in die tägliche Praxis − Umfrage in deutschen Arztpraxen
Die Leitlinien unterstützen Ärztinnen und Ärzte im klinischen Alltag. Sie geben evidenzbasierte Empfehlungen zum Hypertonie-Management und tragen so maßgeblich zur Verbesserung der Versorgungsqualität sowie zur Lebensqualität der Patienten bei. Entscheidend für die Umsetzung neuer Erkenntnisse aus der Hypertonieforschung sind jedoch deren Kenntnis und Anwendung in der Praxis.

Mit dem Ziel, die Umsetzung der Hypertonie-Leitlinienempfehlungen in deutschen Hausarztpraxen zu untersuchen und standardisiert bewerten zu können, wurden 3.200 Allgemeinärzte und Fachärzte für Innere Medizin von Mitarbeitern der Apontis Pharma, Monheim, um die Teilnahme an einer Studie gebeten und es wurde ein Fragebogen mit 12 geschlossenen Fragen versandt. Die Fragen konzentrierten sich vor allem auf die praktische Umsetzung der zu Beginn der Umfrage gültigen europäischen Empfehlungen, die auch in die deutschen Leitlinien Eingang gefunden haben. Schwerpunkt war die Umsetzung von Maßnahmen zur Änderung des Lebensstils und zum Einsatz blutdrucksenkender Medikamente in verschiedenen Patientengruppen.

Ergebnisse
An der Umfrage nahmen knapp 700 Ärzte in deutschen Hausarztpraxen teil. Die Ergebnisse zeigen, dass der von der DHL® 2015 auf Basis der ESC/ESH-Leitlinien empfohlene Behandlungsalgorithmus in deutschen Hausarztpraxen bis 2018 gut angenommen und etabliert war.

Die Wirksamkeit von Lebensstiländerungen bei der Hypertonie-Behandlung wurde allerdings von den meisten Befragten als niedrig eingeschätzt und nicht konsequent genug umgesetzt, was die Autoren der Studie mit möglichen Kenntnislücken der Ärzte über den nachweislichen Nutzen der Maßnahmen in Zusammenhang bringen. Doch es könnte auch andere Gründe dafür geben. „Sprechende Medizin wird bei uns in Deutschland nicht adäquat honoriert, dabei ist die Beratung der Patienten gerade im Bereich der Bluthochdrucktherapie von höchster Wichtigkeit. Nur wenn die Betroffenen regelmäßig vom Arzt erinnert werden, wie wichtig eine Lebensstilumstellung ist, und praktische Hilfestellungen erhalten, kann sie gelingen“, erklärt Prof. Dr. med. Ulrich Wenzel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Vorstandsvorsitzender der DHL®. „Hier sollten von den Kostenträgern die Weichen für eine sinnvolle Incentive-Setzung gestellt werden!“

Bringen die Maßnahmen zur Lebensstiländerung nicht den gewünschten Effekt, verschreibt die Mehrheit der befragten Ärzte leitliniengemäß eine medikamentöse Therapie (in der Regel nach 2-6 Monaten). Die Entscheidung, ob mit einer Mono- oder Kombinationstherapie begonnen wird, machten die Befragten von den Blutdruckwerten und dem Risikoprofil des Patienten abhängig. Gut ein Drittel aller Ärztinnen und Ärzte verschrieb eine Kombinationstherapie bei Werten über 160/100 mm Hg, wenn der Betroffene keine weiteren Risikofaktoren aufwies. Kamen welche dazu, entschieden sich über 85% für eine Kombinationstherapie. Allerdings verordneten nur 16% der Befragten gleich zu Beginn der Kombinationstherapie eine Fixdosiskombination. Zur Zeit der Befragung (Anfang 2018) waren die Leitlinien aus 2015 noch aktuell. Mittlerweile empfehlen die die aktuellen Leitlinien von Juni 2018 die initiale Kombinationstherapie in nur einer Tablette.

Eine aktuell publizierte Arbeit [2], die das Therapiemanagement der arteriellen Hypertonie in Deutschland im Jahr 2012 analysierte, zeigt, dass sich die Versorgung in den fünf Jahren, die zwischen beiden Erhebungen liegen, deutlich verbessert hat: Die meisten Hochrisikopatienten (53,4%) erhielten damals lediglich eine Monotherapie, 13,7% von ihnen sogar gar keine blutdrucksenkende Therapie im ersten Jahr nach Diagnosestellung.

„Es ist erfreulich, dass sich die Situation – auch dank der Informations- und Aufklärungsarbeit der Deutschen Hochdruckliga – verbessert hat und Bluthochdruckpatienten weitgehend gemäß den geltenden Leitlinien versorgt werden. Nachholbedarf gibt es lediglich im Hinblick auf die Beratung der Patienten zum Lebensstil und bei der Verschreibung von Präparaten mit einer Mehrfachkombination. Die sind oft etwas teurer als die Einzelwirkstoffe, allerdings sind die preislichen Unterschiede meist marginal. Ohnehin ist hier der Blick auf den Preis kurzsichtig, denn es gibt viele Studien, die zeigen, dass die Therapietreue mit der Anzahl der Tabletten, die eingenommen werden müssen, abnimmt. Wird von vornherein ein Präparat mit einer Mehrfachkombination verschrieben, kann das die Zahl der Patienten, die eine erfolgreiche und anhaltende Blutdrucksenkung erreichen, deutlich erhöhen: Kardiovaskuläre Folgerisiken werden so vermieden“, so der Experte.

Quellen:
[1] Predel HG, Graas F, Rudinger G, Randerath O. Management of arterial hypertension: Transfer from clinical guidelines into daily practice – Results of a survey in German practitioners offices J Edu Health Promot 2020; 9: 34

[2] Begera C, Unger T, Haller H, Limbourg FP. Antihypertensive prescription patterns and cardiovascular risk in patients with newly diagnosed hypertension- an analysis of statutory health insurance data in Germany. Blood Pressure, 16. Juni 2020.