Kreative Strategien für mehr Bewegung

Sprechstunde_digital: „Bewegung im Corona-Winter: vom Wissen zum Handeln“

Der Lockdown schränkt unsere Mobilität ein und im Home-Office setzen manche kaum einen Fuß vor die Tür. Dabei würde gerade jetzt Bewegung guttun. Doch der innere Schweinehund wächst und wächst. Wie überwindet man ihn? Wie schafft man es, sich im Alltag mehr zu bewegen? Das war Thema unserer Sprechstunde_digital in Kooperation mit ZEIT Doctor.

Mit Prof. Gabriele Oettingen, Professorin für Psychologie an der New York University und der Universität Hamburg, und Prof. Hans-Dieter Hermann, Sportpsychologe und Teampsychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, diskutierten wir darüber, wie man vom Wissen ins Handeln kommt. Moderiert wurde die Runde von Claudia Wüstenhagen, verantwortliche Redakteurin für ZEIT Doctor im Ressort Wissen von ZEIT ONLINE.

Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen, verwies zu Beginn des Abends auf Erkenntnisse aus einer aktuellen Studie der Stiftung und lieferte damit auch gleich eine Erklärung für die oft fehlende Bewegungsmotivation: „Das Vertrauen der Menschen, die eigene Gesundheit beeinflussen zu können, ist in den letzten fünf Jahren gesunken.“ Nur rund 35 Prozent der Befragten glaubten an die eigenen Einflussmöglichkeiten, 2015 waren es noch 46 Prozent. Besonders ausgeprägt sei das fehlende Vertrauen in der Bevölkerungsgruppe mit niedrigem sozioökonomischem Status. Die Daten wurden im Gesundheitsbericht 2020 unter dem Titel „Statussymbol Gesundheit“ publiziert.

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Gäbe es Sport als Pille, würde sie wohl jeder schlucken. Trotzdem schnüren längst nicht alle ihre Sportschuhe, wie die Daten des aktuellen Gesundheitsberichtes der Stiftung Gesundheitswissen zeigen.

Wissen als Basis für Gesundheitsentscheidungen

Das Interesse an Gesundheitsthemen ist bei der Bevölkerung grundsätzlich hoch. Generell gilt: Für ihre Gesundheit interessieren sich ältere Menschen mehr als jüngere Menschen, Erkrankte mehr als Gesunde und Frauen mehr als Männer.

Zusätzlich ist es auch eine Frage der sozialen Schicht: Während es jedem Vierten aus sozial schwächeren Schichten schwerfällt, sich über Krankheiten zu informieren, äußern lediglich sechs Prozent aus sozial stärkeren Schichten ähnliche Probleme.

Diese Unterschiede bei der Informationssuche haben weitreichende Konsequenzen für das individuelle Handeln, das Zurechtfinden, die Navigation im Gesundheitssystem und die eigene Lebensweise. Gesundheitskompetenz und sozialer Status hängen also unmittelbar zusammen.
Bei Gesundheitsfragen geht ein Riss durch Deutschland

Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status haben immer noch Nachteile in Gesundheitsfragen. Im Vergleich mit Menschen mit besserer Bildung und höherem Einkommen bewerten sie ihre Gesundheit schlechter und obendrein glauben sie seltener, dass sie ihre Gesundheit oder den Verlauf einer Erkrankung auch tatsächlich beeinflussen können.

An die präventive Wirkung von Sport glauben in sozial niedrigeren Schichten nur 59%, bei Menschen mit höherem sozioökonomischem Status liegt der Anteil bei 82%.

Ein bemerkenswertes Ergebnis der Studie ist auch, dass das Vertrauen der Menschen, die eigene Gesundheit stark beeinflussen zu können in den vergangenen fünf Jahren gesunken ist – und zwar statusunabhängig. Bei Befragten mit niedrigem sozioökonomischem Status wird das besonders deutlich. Sie glauben viel häufiger, dass ihr eigener Lebensstil keine Effekte auf ihre Gesundheit habe. Dabei ist gerade dieses Zutrauen eine wichtige Ressource.

Prävention zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Vielen Menschen ist durchaus bewusst, dass sich bestimmte Verhaltensweisen wie ausreichend Bewegung oder gesunde Ernährung positiv auf die Gesundheit auswirken können. Trotzdem setzt ein großer Anteil solche Maßnahmen in der Realität nicht um.

Immerhin rund zwei Drittel der Deutschen halten Stressvermeidung, Sport und Ernährung für wichtig. Aber nur knapp die Hälfte sorgt für mehr Entspannung, mehr Bewegung und gesunde Ernährung. Dabei ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit beim Sport am größten.

Unsere Studie zeigt eindrücklich die soziale Kluft in Gesundheitsfragen. Besonders überrascht hat mich bei den Ergebnissen der Studie, dass das Vertrauen, die eigene Gesundheit stark beeinflussen zu können, in den letzten Jahren quer durch die Bevölkerung gesunken ist. Daher ist es ein großes Anliegen der Stiftung Gesundheitswissen, das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit, das entsprechende Wissen und das Verhalten ALLER Menschen zu verbessern. Damit Gesundheit nicht länger ein Statussymbol bleibt.

Bei Gesundheitsfragen geht ein Riss durch Deutschland: Menschen mit hohem sozioökonomischem Status leben oftmals gesundheitsbewusster und achten mehr auf Prävention als Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status. Was der Gesundheitsbericht 2020 der Stiftung Gesundheitswissen (SGW) noch herausgefunden hat, erfahren Sie in unserer Publikation.

Positive Wirkung von Sport vor Augen führen

Dieses schwindende Vertrauen werde in der Corona-Zeit zusätzlich verstärkt, erklärte Prof. Hermann. Es falle verständlicherweise vielen schwer, Pläne zu schmieden, wenn man nicht einmal weiß, wie die nächsten vier Wochen verlaufen. Da helfe es, sich die positive Wirkung von Sport vor Augen zu führen. So würden beim Sport beispielsweise Botenstoffe im Körper ausgeschüttet, die sich positiv auf das Befinden auswirken können. Und: „Die Selbstwirksamkeit erhöht sich, wenn ich spüre, dass ich etwas bewältigen kann“, so Hermann.

Um sich zu bewegen, müsse man gar keine Höchstleistungen vollbringen. Auch öfter mal die Treppe zu nehmen oder den Einkauf zu Fuß zu erledigen, zählten als Bewegung. „Hier kann man kreativ sein“, pflichtete ihm Prof. Oettingen bei. Zum Beispiel könne man bei langen Videogesprächen einfach mal umherlaufen, statt immer nur zu sitzen.

Herausfinden, was man wirklich will

Wie aber schaffe ich es, am Ball zu bleiben, also beispielsweise jeden Morgen Gymnastik zu machen und tagsüber nicht zu naschen? Das beschäftigte auch die Zuschauer der Diskussionsrunde. Sie entschieden sich dafür, beim Zuschauer-Voting dieser Frage die meisten Stimmen zu geben. Hier riet Prof. Oettingen zunächst herauszufinden, ob man diesen Wunsch tatsächlich hat, ob man also wirklich Gymnastik machen möchte, oder nur einer lästigen Verpflichtung nachgeht. Besteht der Wunsch wirklich, solle man sich das Ziel und das damit verbundene gute Gefühl vorstellen.

Im nächsten Schritt gelte es nun, die Hindernisse zu identifizieren, die dem im Wege stehen. Daran sollte sich ein Plan anschließen, wie die Hindernisse überwunden werden können. „WOOP“ nennt Prof. Oettingen diese Methode, die sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe Wish (Wunsch), Outcome (Ziel), Obstacle (Hindernis) und Plan zusammensetzt. „Wenn man im positiven Träumen verharrt, passiert nichts – man muss sich den Hindernissen stellen“, so Oettingen. Wichtig sei dabei, dass einem die Bewegung Spaß mache, betonte Prof. Hermann. Möglicherweise sei Tanzen dann besser als Gymnastik.

Neue Strategien, um alte Muster zu durchbrechen

Weiter beschäftigte die Zuschauer die Frage, warum es so schwer ist, das eigene Verhalten zu ändern. „Das geht den meisten Menschen so“, bestätigte Prof. Hermann. Hier helfen nach seinen Erfahrungen drei Faktoren: Wir bräuchten ein konkretes Ziel, wir sollten etwas machen, das Freude bereitet und wir sollten es mit anderen Menschen zusammen machen. Und: Wir sollten uns selbst nicht schlecht machen, sondern die eigenen Leistungen würdigen – seien sie auch noch so klein. Es sei eine der Hauptstrategien in der Sportpsychologie, sich selbst Mut zu machen, sich anzutreiben und anzufeuern. „Jeder Schritt zählt. Seien Sie stolz auf sich!“

Doch ist der innere Schweinehund erst überwunden, schließt sich gleich das nächste Problem an: Wie halte ich durch? „Nicht zu früh in Routinen verfallen“, lautet der Tipp von Prof. Herrmann. „Unser Gehirn braucht immer wieder neues Futter.“ Dabei könne es helfen, einem vorgegebenen Sportprogramm zu folgen, das immer wieder neue Aspekte oder Herausforderungen biete. „Man unterschätzt immer wieder, wie hilfreich ein Tapetenwechsel ist“, pflichtete Prof. Oettingen bei. Ihre Botschaft an die Zuschauer und Zuschauerinnen: „Haben Sie Selbstvertrauen, dass Sie Ihren Wunsch finden und die Hindernisse auf dem Weg zum Ziel meistern.“