Das therapeutische Potenzial der Peptide

Rund 80 Peptidmedikamente sind weltweit zugelassen und etwa doppelt so viele in klinischer Entwicklung. Bei Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Hormonstörungen, HIV und Multiple Sklerose spielen diese Biomoleküle dank ihrer guten Eigenschaften bereits eine wichtige Rolle in der Behandlung. Biotechnologische Erfolge bei der Entwicklung von Peptidverbindungen und neu entdeckte therapeutische Wirkstoffe in Tiergiften sprechen für den weiteren Aufstieg der Peptide (kleine Proteine) als wichtige Wirkstoffklasse, schreibt ein austro-australisches Team um Medizinchemiker Markus Muttenthaler von der Universität Wien in „Nature Reviews Drug Discovery“.

Tiergifte als natürliche Resource für neue Medikamente

Insulin ist das Paradebeispiel für ein erfolgreiches Peptidmedikament, das in den vergangenen 100 Jahren einen enormen Beitrag für die Gesundheit von Millionen Diabetes-Erkrankter geleistet hat“, sagt Markus Muttenthaler, der Arbeitsgruppen am Institut für Biologische Chemie der Fakultät für Chemie an der Universität Wien sowie an der University of Queensland in Brisbane leitet.
Weltweit halten Peptidwirkstoffe 5% am Medikamentenmarkt und erbrachten 2019 einen Umsatz von über 50 Milliarden US-Dollar. Mehr als 150 Peptide befinden sich laut der Studie in klinischer Entwicklung und weitere 400 bis 600 in vorklinischen Studien.

Die Peptide sind eine besondere Wirkstoffklasse: Mit ihrer Größe liegen sie zwischen den „Small Molecules“ (niedermolekularen Verbindungen), die den größten Teil der Medikamente am Markt stellen, und den gentechnisch hergestellten Biologika, z.B. Antikörpern. Im Vergleich zu den Small Molecules sind Peptide oftmals potenter und selektiver und haben somit geringere Nebenwirkungen; im Vergleich zu Antikörpern sind sie günstiger zu produzieren und haben gewisse Vorteile in der Krebsforschung, z.B. können sie (Tumor-)Gewebe besser durchdringen. 90% der Peptidwirkstoffe müssen aber injiziert werden, da sie oral eingenommen zu schnell verdaut werden.

Riesige Peptidbibliotheken

Dem wachsenden Interesse an Peptidwirkstoffen sei mit „effizienten Strategien für die Entdeckung vielversprechender Verbindungen“ zu begegnen, schreibt das Autorenteam um Markus Muttenthaler und seinen australischen Kollegen Paul F. Alewood. Ein wichtiger Trend ist die Erstellung und gezielte Evolution von riesigen Peptidbibliotheken im Labor auf Basis sogenannter Display Technologies, deren Entwicklung 2018 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Ein weiterer Trend liegt in der Untersuchung von natürlichen vorkommenden, sehr potenten Giftpeptiden „und damit die Nutzung von immens großen natürlichen und über Millionen von Jahren evolutionär-selektierten Peptidbibliotheken, die die Pflanzen- und Tierwelt bereitstellt“, sagt Muttenthaler, der Naturgifte und ihre Anwendbarkeit für die Medikamentenentwicklung untersucht.

Neue Einblicke

Erst jüngst kombinierte der mehrfache ERC-Preisträger ein Spinnengiftpeptid mit einem Giftpeptid eines Skorpions: Beide Stoffe blockieren mit unterschiedlichen Mechanismen einen Ionenkanal, der bei der Schmerzreizweiterleitung eine wichtige Rolle spielt. „Diese Verknüpfung von zwei unterschiedlichen Bindungsmechanismen führte zu einer irreversiblen Blockierung des Ionenkanals und das Konzept könnte für eine längere Schmerzlinderung eingesetzt werden“, so der Forscher.

Weiters gelang es Muttenthalers Team mit der Gruppe von Christophe Duplais in Französisch-Guyana, das hoch effiziente Gift der brasilianischen Ameisenart Pseudomyrmex penetrator zu analysieren und den aktivsten Bestandteil zu synthetisieren und zu charakterisieren – die potente paralysierende Wirkung des isolierten Giftpeptids gegen Pflanzenschädlinge hat ein vielversprechendes Anwendungspotenzial als umwelt- wie auch gesundheitsschonendes Biopestizid.

„Weiße Flecken“ besetzen

Peptide sind die Signalmoleküle des Lebens, steuern viele Körperfunktionen und sind chemisch relativ leicht nachzubauen. „Bei komplexen Naturstoffen oder Antibiotika wie Vancomycin braucht es oft Jahre, bis man die Verbindung synthetisieren kann – bei neu entdeckten Peptidverbindungen geht das auch in Tagen, was die Erforschung und Entwicklung von neuen Therapeutika enorm beschleunigt“, so Muttenthaler. Wichtig sei, mit ihnen „weiße Flecken auf der pharmazeutischen Landkarte“ zu besetzen, also anzuschauen, „bei welcher Krankheit Peptide wirkungsvoll einsetzbar wären.“

Publikation in „Nature Reviews Drug Discovery“:
Trends in peptide drug discovery, by Markus Muttenthaler, Glenn F. King, David J. Adams, and Paul F. Alewood, in: Nature Reviews Drug Discovery 2021, DOI: 10.1038/s41573-020-00135-8