Verwachsungen im Bauch bekämpfen

Verwachsungen im Bauchraum, die etwa nach Operationen entstehen, haben oft schwerwiegende Folgen. Nun haben Forschende der Universität Bern und des Inselspitals, Universitätsspital Bern, in Zusammenarbeit mit kanadischen Forschenden entdeckt, wie sich solche Verwachsungen bilden. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, ein Medikament zu entwickeln, um künftig Verwachsungen verhindern zu können. Die Studie wurde vom Fachmagazin «Science» als Titelgeschichte veröffentlicht.

Verwachsungen im Bauch, sogenannte Adhäsionen, entstehen nach Entzündungen oder Operationen. Sie können chronische Schmerzen und Verdauungsbeschwerden nach sich ziehen, bei Frauen zu Unfruchtbarkeit führen oder gar lebensbedrohliche Folgen wie einen Darmverschluss haben. Treten Verwachsungen auf, müssen diese erneut operiert werden. Zudem erschweren sie nachfolgende operative Eingriffe. Dies führt zu entsprechendem Leid bei den Betroffenen und ist auch ein wichtiger Kostenfaktor im Gesundheitssystem. Allein in den USA verursachen Verwachsungen Gesundheitskosten in der Höhe von 2.3 Milliarden Dollar pro Jahr.

Die Entstehung von Verwachsungen ist noch unvollständig erforscht, und es gibt bisher keine Therapie. «Da die Krankheit in der Forschung vernachlässigt wurde, haben wir in Bern ein Grundlagenforschungsprogramm gestartet, um mehr über die Entstehung von Adhäsionen herauszufinden», sagt Prof. Daniel Candinas, Mitautor der Studie. Es wurde bereits vermutet, dass bei der Entstehung spezielle Immunzellen, sogenannte Makrophagen, eine entscheidende Rolle spielen.

Dies konnte von Joel Zindel und Daniel Candinas von der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital und dem Department for BioMedical Research (DBMR), Universität Bern, bestätigt werden. Daher setzte Zindel seine Forschung an der University of Calgary in Kanada in der Gruppe von Paul Kubes fort, da diese als führend auf dem Gebiet der Makrophagen in der Bauchhöhle gilt.

Dank Zindels klinischer Expertise und dem Know-how der kanadischen Forschenden gelang es, ein neues Mikroskopiesystem zu entwickeln, um die Makrophagen sozusagen «in flagranti» dabei zu filmen, wie sie Formen bilden, die dann zu den Verwachsungen führen. Zudem konnten die Forschenden die molekularen Mechanismen dahinter beschreiben. Die Ergebnisse der Studie wurden vom Fachmagazin «Science» nun als Titelgeschichte publiziert.

Neue Technologie entwickelt

Makrophagen befinden sich in der Bauchhöhle in der sogenannten peritonealen Flüssigkeit, dem «Schmiermittel» zwischen dem Bauchfell, der inneren Auskleidung der Bauchwand, und einem ähnlichen Überzug der Organe in der Bauchhöhle. In dieser Flüssigkeit schwimmen die Makrophagen freischwebend umher, ähnlich wie Plankton im Meer. Zu ihren Aufgaben gehört es, Erreger zu beseitigen, aber auch Verletzungen im Bauchraum möglichst rasch zu versiegeln. Wie sie letzteres bewerkstelligen, also eine Verletzung erkennen und sich dorthin zu bewegen, war bislang unklar.

Da sich diese Zellen im Reagenzglas ganz anders verhalten als im Körper, entwickelten Zindel und Kubes ein neues Mikroskopiemodell, das es ihnen ermöglichte, die feinste Stelle der Bauchwand als Fenster zu nutzen, um durch die intakte Bauchwand hindurch in die Bauchhöhle hineinzublicken und die Makrophagen in Echtzeit zu filmen.

Wenn Makrophagen die Kontrolle verlieren

Gibt es innerhalb des Bauchraums eine winzige Verletzung, verklumpen Makrophagen innert Minuten dort zu Gerinnsel-ähnlichen Strukturen. So versiegeln sie die Verletzung und hören anschliessend auf, weiter zu verklumpen. Wie die Forschenden um Zindel und Kubes entdeckt haben, basiert der molekulare Mechanismus dahinter auf speziellen, unspezifischen Rezeptoren, die eine Vielzahl von Strukturen erkennen. Werden die Makrophagen nun in der Flüssigkeit bewegt, etwa durch die Atem- oder Verdauungsbewegungen, reicht dies aus, damit die Makrophagen mittels ihrer Rezeptoren an einer Wunde und aneinander haften und so verklumpen können.

Was bei kleineren Verletzungen bestens funktioniert, wird bei grossen Verletzungen, wie etwa dem operativen Öffnen der Bauchwand, oder dem Einsetzen eines Implantats, zum Problem. «Bei grösseren Verletzungen geraten die Makrophagen ausser Kontrolle – die Gerinnsel hören nicht auf zu wachsen und bilden lange Stränge bis alle Makrophagen ‹aufgebraucht› sind», erklärt Zindel. «Wir konnten zeigen, dass diese Stränge zu den Verwachsungen führen.»

Dies könnte evolutionäre Gründe haben: Makrophagen sind von der Evolution so optimiert, dass sie mit einer kleineren Verletzung gut umgehen können. «Nehmen wir als Beispiel eine Jägerin, die von einem Hirschgeweih verletzt wird», sagt Zindel. «Die Makrophagen versiegeln möglichst rasch alle internen Löcher – nur so kann man das überleben». Wenn jedoch bei einer Bauchoperation Luft in die Bauchhöhle eindringt oder Fremdkörper implantiert werden, sind die Makrophagen überfordert, denn die Evolution hat sie nicht darauf vorbereitet. «In dem Fall werden die Makrophagen schädlich und verursachen Verwachsungen», erklärt Zindel.

Patent angemeldet

Die Forschenden stellten fest, dass wenn die entsprechenden Rezeptoren im Mausmodell blockiert werden, dies zu weniger Verwachsungen führt. Der entsprechende Wirkstoff wurde zum Patent angemeldet. Die Erkenntnisse sind relevant für viele Forschungsgebiete, denn keine anderen Immunzellen werden so schnell «rekrutiert» wie Makrophagen in der Bauchhöhle – dies könnte in anderen Hohlräumen wie beim Herz oder der Lunge ähnlich sein, oder der entdeckte Mechanismus könnte nicht nur bei Verletzungen, sondern auch Erkrankungen wie beispielsweise bei Bauch-Tumoren eine Rolle spielen.

«Dies ist ein Beispiel dafür, dass Grundlagenforschung einen hohen translationellen Wert hat», sagt Daniel Candinas. Gemeinsam mit Calgary werden die Berner Forschenden nun Industriepartner suchen und die Wirksamkeit des Wirkstoffs in menschlichem Gewebe testen. Künftig könnten Patientinnen und Patienten etwa vor Operationen ein Medikament erhalten, das die Reaktion der Makrophagen unterdrückt und Verwachsungen verhindert.

Department for Biomedical Research (DBMR)

Über 25 Jahre biomedizinische Forschung in Bern: Das Department for Biomedical Research (DBMR) der Universität Bern wurde 1994 gegründet und hat als Institut der Medizinischen Fakultät den Auftrag, Forschenden des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Medizinischen Fakultät eine optimale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Die Core Facilities entsprechen stets dem State of the Art, und die Forschenden finden im Departement bedarfsgerechte Labor- und Arbeitsplätze. Dem Departement sind 47 unabhängige Forschungsgruppen angegliedert, die fast alle Bereiche der biomedizinischen Forschung abdecken. Ziel des DBMR ist es, Brücken zwischen laborbasierter und patientenorientierter klinischer Forschung zu schlagen. Ausserdem richtet es seinen Fokus auf die Entwicklung von translationaler Forschung und die Anwendung von sogenannten Omics-Methoden.

Originalpublikation:

J. Zindel, M. Peiseler, M. Hossain, C. Deppermann, W.Y. Lee, B. Haenni, B. Zuber, J.F. Deniset, B.G.J. Surewaard, D. Candinas, P. Kubes: Primordial GATA6 macrophages function as extravascular platelets in sterile injury, Science, 5. März 2021,https://science.sciencemag.org/content/371/6533/eabe0595