Neuer Ansatz zur Vermeidung von Hirnschäden bei Frühgeburten

Einer Forschungsgruppe des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern gelang der Nachweis, dass kleine extrazelluläre Vesikel (sEV) aus der Nabelschnur die Schädigung von Hirnzellen bei Frühgeburten vermeiden können. Die sEV-Inhalte bremsen dazu zwei Signalwege, die eine Markscheidenbildung (Myelinisierung) verhindern. Aufgrund dieser Studie zeigt sich ein neuer Ansatz zu einer wirksamen Prävention vor Hirnschädigung bei Frühgeburten.

Hirnschäden bei Neugeborenen treten durchschnittlich bei 1 von 1000 Geburten auf. Bei Frühgeburten sind Hirnschäden gut 100 Mal häufiger. Frühgeburten machen weltweit 9% der Geburten aus, in der Schweiz waren es im 2019 gemäss Bundesamt für Statistik insgesamt 6.7% aller Geburten. Bis heute ist es nicht möglich, die Hirnschädigungen bei der Entstehung zu vermeiden. Die meist lebenslange Therapie einer resultierenden Cerebralparese kann nur stabilisierend erfolgen, eine nachträgliche Heilung ist nicht möglich. Der Vermeidung von Schädigungen des Zentralnervensystems unter der Geburt, namentlich bei Frühgeburten, kommt somit höchste Priorität zu.

Studie zeigt neue Wege

Dem Forschungsteam um Prof. Dr. Daniel Surbek und PD. Dr. Andreina Schoeberlein ist es nun gelungen, einen neuen Weg zur Vermeidung von Hirnschäden unter der Geburt zu entwickeln. Dabei werden aus der Nabelschnur gewonnene kleine Vesikel (von Zellmembran umhüllte Bläschen) dazu eingesetzt, um die Reifung der Nervenzellen sicherzustellen. Das nachfolgend skizzierte Verfahren, ein neuer Ansatz zur Vermeidung von Hirnschäden bei Frühgeburten, vereint Vorteile einer wirksamen molekularbiologischen Unterstützung der Nervenzellreifung und einer einfachen und verträglichen Applikation via Nasenschleimhaut direkt ins Hirn.

Schadhafte Myelinisierung ist der Schlüssel

Bekannt war bisher, dass Sauerstoffmangel und Entzündungen im Hirn des Neugeborenen bei der Geburt zu einer Störung der sogenannten Myelinisierung (Markscheidenbildung) führen. Bei der Myelinisierung bilden bestimmte Zelltypen, die Oligodendrozyten, einen Schutz- und Funktionsmantel um den zentralen Teil der Nervenzelle, das Axon. Erst mit dieser mehrlagigen Ummantelung ist die Nervenzelle funktionsfähig. Ist die Reifung der Oligodendrozyten gestört, findet die Myelinisierung nicht statt und die Hirnzellen können ihre Aufgaben nicht übernehmen. Die Funktion des Zentralnervensystems wird so bleibend geschädigt.

Extrakt aus der Nabelschnur fördert Myelinisierung

Bekannt war, dass Stammzellen aus der Nabelschnur einen fördernden Effekt auf die Myelinisierung haben. Besonders interessant sind dabei die kleinen Vesikel, die «small Extracellular Vesicles» (sEV). Sie werden von den Stammzellen in der sogenannten Wharton’schen Sulze (Bindegewebe der Nabelschnur) gebildet.  Es handelt sich um Zellmembranbläschen, die als «Datenpakete» zwischen den Zellen ausgetauscht werden. Sie enthalten kurze genetische Informationen, die microRNA. Diese steuern die Signalwege, welche den Aufbau, bzw. hier die Hemmung des Aufbaus, von Zellen und Gewebe steuern. Dem Forscherteam war zuvor im Tierversuch der Nachweis gelungen, dass sEV aus der Wharton’schen Sulze die Myelinisierung fördern und so die Hirnfunktion verbessern.

Experiment mit menschlichen Zellen bestätigt Wirkungsweise

Die nun in «Frontiers in Cell and Developmental Biology» publizierte Studie geht noch einen Schritt weiter. sEV aus humanem Nabelschnurgewebe wurden mit Vorläuferzellen von Oligodendrozyten zusammen kultiviert. Nach fünf Tagen war klar: die sEV aus der Wharton’schen Sulze führten zu einer raschen und intakten Myelinisierung in den Versuchskulturen. Das Markerprotein für reife Oligodendrozyten war deutlich erhöht. Der Marker für unreife Vorläuferzellen dagegen war reduziert. Gleichzeitig konnte nachgewiesen werden, dass der NOTCH- und der MAPK/ERK Signalweg herunterreguliert waren, d.h. der Reifeprozess der Myelinisierung ungehindert stattfinden konnte.

Extrazelluläre Vesikel mit vielen Vorteilen im Hinblick auf den klinischen Einsatz

Die gefundenen sEV haben zahlreiche Vorteile im Hinblick auf den klinischen und therapeutischen Einsatz. Die sEV enthalten im Gegensatz zu Stammzellen keine DNA, sondern nur RNA und andere Botenstoffe. Die typischen Probleme von Stammzellentransplantationen (z.B, Abstossung, Entzündungsreaktionen etc.) sind somit nicht zu erwarten. Weiter kann davon ausgegangen werden, dass eine einfache Applikation über die Nasenschleimhaut direkt in das Gehirn möglich ist.

Experten:

  • Prof. Dr. med. Daniel Surbek, Chefarzt und Co-Klinikdirektor Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital, Universitätsspital Bern
  • Prof. Dr. sc. nat. Andreina Schoeberlein, Department for BioMedical Research, Universität Bern

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