Notrufzentrale im Gehirn gegen Alzheimer: Demenzschutzfunktion von Insulin?

Original Titel:
Neuroprotective astrocyte-derived insulin/insulin-like growth factor 1 stimulates endocytic processing and extracellular release of neuron-bound Aβ oligomers

MedWiss – Die aktuelle Studie zeigte die Zusammenhänge zwischen schützendem Insulin und Selbsthilfe der von Alzheimerplaques angegriffenen Nervenzellen auf. Wie kann man nun aber diese Abwärtsspirale aus Diabetes und Alzheimer effektiv unterbrechen? Beispielsweise sollten die Insulinproduktion im Gehirn, der Insulin-Signalweg und die Astrozyten-Notrufzentrale angeregt werden.


Als sogenannte Synaptopathie wird eine krankhafte Störung der Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, den Synapsen, bezeichnet. Über die Synapsen wird Information übermittelt – hierüber stehen die Nervenzellen miteinander im Kontakt, aktivieren sich gegenseitig und bilden so, oft weitverbreitet im Gehirn, ein komplexes Netzwerk von gleichzeitig aktiven Nervenzellen. Ihre gemeinsame Aktivität ist die Grundlage unseres Gedächtnisses. Wird den Zellen der Kontakt zu ihren Partnerzellen und damit ihrem Netzwerk verwehrt, sind auch das Gedächtnis und das Lernen gestört. Solche Störungen liegen dem Gedächtnisverlust bei der Alzheimererkrankung zugrunde. Was man bisher zu den Ursachen weiß: die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen werden wahrscheinlich durch toxische Klumpen, sogenannte Oligomere, des Betaamyloids angegriffen. Die Betaamyloid-Klumpen lagern sich allmählich an – interessanterweise tun sie dies allerdings schon Jahre vor den ersten deutlichen Symptomen einer Alzheimererkrankung. Neurobiologe Dr. Pitt und Kollegen verschiedener US-amerikanischer und brasilianischer Institute fragten nun, ob dieses verlangsamte Eintreten der Erkrankung eventuell mit einem schützenden Element im Gehirn zusammenhängen könnte, das es zwar viele Jahre zu schaffen scheint, vor der Demenz zu bewahren, jedoch schließlich scheitert.

Betaamyloid-Klumpen lagern sich allmählich an – warum tritt die Erkrankung verlangsamt ein?

Um diesen Schutzfaktor zu ermitteln, untersuchten die Forscher Nervenzellkulturen im Labor, die sie den toxischen Betaamyloid-Klumpen aussetzten. Dabei ließen sie die Nervenzellen mal allein gegen das Betaamyloid kämpfen, mal aber auch im Verbund mit Astrozyten, wie sie auch im Gehirn natürlicherweise vorkommen. Diese übersetzt ‚Sternzellen‘ genannten Zellen haben lange, strahlenförmige Fortsätze – daher der Name. Mit ihren Fortsätzen bilden sie ein großes Netzwerk über Verbindungen untereinander, aber verknüpfen auch Blutgefäße und Nervenzellen. Darüber füttern sie also die Nervenzellen und dienen der Flüssigkeitsregulation. Spielen die Astrozyten aber auch eine Rolle beim Nervenschutz? Nervenzellen ohne Unterstützung von Astrozyten litten schnell unter Anlagerungen von Betaamyloid, die auch die Signalübertragung an den Synapsen störten und schließlich zum Verlust dieser wesentlichen Kontaktstellen führten. Waren die Nervenzellen begleitet von Astrozyten, lagerte sich deutlich weniger Betaamyloid an ihnen an. Auch die Synapsen der Nervenzellen blieben eher gesund und aktiv – es fand also keine Synaptopathie statt.

Nervenzellen in Begleitung von Astrozyten blieben eher gesund und aktiv 

Wie erreichten die Astrozyten aber diesen Alzheimerschutz? Die Forscher fanden, dass die Astrozyten Insulin und einen Wachstumsfaktor, der Insulin ähnelt (daher englisch insulin-like growth factor-1, IGF1), abgaben. Dies schien den Nervenzellen zu helfen, sich gegen das Betaamyloid zu wehren. Der Nervenschutz durch Insulin wurde aber unterbunden, wenn ein Exosom-Hemmer auf die Zellen gegeben wurde. Exosome gehören zum zellinternen Transportsystem: sie schließen eine Substanz, die auf der Zellaußenhaut sitzt, in sich ein und ziehen sie, nun in ein schützendes Bläschen gepackt, in das Zellinnere. Konnten die Nervenzellen keine Exosome mehr bilden, konnten sie sich auch nicht mehr, trotz Astrozyten- und Insulin-Unterstützung, gegen die Betaamyloid-Attacke wehren. Kritisch war bei dem Nervenschutz auch der Zeitpunkt: durften die Astrozyten erst verspätet Insulin abgeben, half dieses nicht mehr. Aber noch schlimmer: das Betaamyloid griff auch die Astrozyten an und störte sie so sehr, dass diese weniger Insulin bzw. IGF1 abgaben. Die Astrozyten-Notrufzentrale wurde also stummgeschaltet.

Astrozyten-Notrufzentrale sendet Insulin zur Unterstützung bei Betaamyloid-Attacke 

Die Forscher interpretieren ihre Ergebnisse so: bindet das Betaamyloid an die Nervenzelle, regt dies, wie mit einem Notruf, den Insulin-Signalweg an: die benachbarten Astrozyten geben Insulin an die Nervenzelle ab. Diese kann dadurch das Betaamyloid, noch an der Zellhaut klebend und eingepackt in ein Exosom, in sich aufnehmen und darin das Betaamyloid von der Zellhaut ablösen. Nun befördert die Nervenzelle das abgelöste Betaamyloid wieder nach außen. Das Insulin der Astrozyten kann so der Nervenzelle helfen, sich vom toxischen Betaamyloid selbst zu befreien. Funktioniert dieser Befreiungsschlag nicht, sammelt sich das Betaamyloid an der Zelloberfläche weiter an und stört schließlich die Signalübertragung zu anderen Gehirnzellen. Dazu passt, dass Alzheimerpatienten eine deutlich geringere Insulinproduktion im Gehirn aufweisen als gesunde Menschen (von Gil-Bea und Kollegen 2010 in der medizinwissenschaftlichen Zeitschrift Journal of Alzheimers disease sowie von Moloney und Kollegen 2010 im Fachjournal Neurobiology of Aging veröffentlicht). So baut sich eine toxische Spirale aus Alzheimerplaques und Mangel an schützendem Insulin auf. Eine Diabeteserkrankung, bei der auch die Insulinproduktion zur Neige geht, sollte daher als ein wesentliches zu behandelndes Problem im Rahmen einer Alzheimererkrankung betrachtet werden: beide Erkrankungen verstärken sich offenbar gegenseitig. Tatsächlich wurde Typ-2-Diabetes schon früher als wichtiger Risikofaktor für die Alzheimererkrankung erkannt (Launer, 2005 im Fachjournal Current diabetes reports berichtet).

Toxische Spirale aus Alzheimerplaques und Mangel an schützendem Insulin

Die aktuelle Studie zeigte die Zusammenhänge zwischen schützendem Insulin und Selbsthilfe der von Alzheimerplaques angegriffenen Nervenzellen auf. Wie kann man nun aber diese Abwärtsspirale aus Diabetes und Alzheimer effektiv unterbrechen? Beispielsweise sollten die Insulinproduktion im Gehirn, der Insulin-Signalweg und die Astrozyten-Notrufzentrale angeregt werden. Bomfim und Kollegen berichteten hierzu (2012 in der Fachzeitschrift Journal of clinical investigations erschienen), dass ein Mittel gegen Diabetes ein wirksamer Alzheimerschutz sein kann. Der Kampf gegen Diabetes könnte demnach den Nervenzellen im Gehirn neue Abwehrkräfte gegenüber der Giftigkeit der Betaamyloid-Ablagerungen geben. Zusätzlich sollte vermutlich in verschiedenen Bereichen gleichzeitig eingegriffen werden: einerseits eventuell mit Antikörpern gegen das Betaamyloid. Die mediterrane Diät, speziell Oleocanthal aus Olivenöl, scheint zusätzlich das Betaamyloid daran zu hindern, sich an die Nervenzellen zu binden (Pitt und Kollegen, 2009 im Journal Toxicology and applied pharmacology veröffentlicht). Ein Grund mehr also, mit Ernährung und ausreichend Bewegung dem eigenen Körper Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

© Alle Rechte: HealthCom