Zeit gewinnen im Wettlauf gegen die Erblindung

Ultraschall erlaubt schnelle Diagnose der Riesenzellarteriitis

Berlin, – Innerhalb weniger Tage das Augenlicht zu verlieren – dieser Albtraum kann für Patientinnen und Patienten, die an einer Riesenzellarteriitis erkrankt sind, Wirklichkeit werden. Bei der Erkrankung sind typischerweise Blutgefäße im Schläfenbereich entzündet aber auch Gefäße, die die Augen versorgen. Wie die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) mitteilt, kann die gefährliche Entzündung frühzeitig, zuverlässig und nicht-invasiv durch eine Ultraschalluntersuchung erkannt werden. Welche Rolle dem Ultraschall in der Diagnostik der Riesenzellarteriitis zukommt, ist Thema auf der heutigen DEGUM-Online-Pressekonferenz „Ultraschall bei Augenerkrankungen“.

Die Riesenzellarteriitis zählt zu den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, bei denen das Immunsystem sich gegen körpereigene Strukturen wendet und zu Entzündungen führt. Während beim deutlich häufigeren und bekannteren Gelenkrheuma die Gelenke schmerzhaft entzündet sind, sind bei der Riesenzellarteriitis hauptsächlich die mittleren und großen Blutgefäße im Hals- und Schläfenbereich betroffen. „Die Wände dieser Blutgefäße schwellen durch das Entzündungsgeschehen stark an und der Gefäßinnenraum verengt sich, was bis zum völligen Gefäßverschluss führen kann“, erläutert Professor Dr. med. Wolfgang Hartung, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie am Asklepios Klinikum Bad Abbach und Leiter des DEGUM-Arbeitskreises Bewegungsorgane. Weil auch die Augenarterien von diesen Veränderungen betroffen sind, wird in vielen Fällen auch die empfindliche Augennetzhaut nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt.  In der Folge können schwerwiegende Schäden entstehen, die bis zur Erblindung reichen.

Ein frühes und charakteristisches Symptom der Riesenzellarteriitis sind neu auftretende, meist beidseitige Schläfenkopfschmerzen. Auch Schmerzen beim Kauen sind häufig, denn auch die Kaumuskeln werden nur noch eingeschränkt mit Blut versorgt. „Bereits diese Symptome sollten als Warnsignale ernst genommen und sofort diagnostisch abgeklärt werden“, sagt Hartung. Bei 20 bis 50 Prozent der Patientinnen und Patienten träten außerdem bereits zum Zeitpunkt der Diagnose Sehstörungen auf, wie etwa unscharfes Sehen, Doppelbilder oder ein plötzlicher Sehverlust.

In der Rheumatologie gibt es nur wenige echte Notfälle. „Die Riesenzellarteriitis ist ein solcher“, betont Hartung, „hier muss sofort eine hochdosierte Kortisonbehandlung eingeleitet werden, um bleibende Schäden an den Augen zu verhindern.“ Um die Verdachtsdiagnose einer Riesenzellarteriitis schnell und zuverlässig zu überprüfen, sei die Ultraschalluntersuchung der Schläfenarterien unverzichtbar. Als rasch einsetzbares, sehr aussagekräftiges und nicht-invasives Verfahren gelte sie mittlerweile auch international als Goldstandard. „Zur schnellen Diagnostik eignen sich Hochfrequenz-Ultraschallsonden“, erklärt Professor Dr. med. Frank Tost, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Greifswald und Leiter der DEGUM-Sektion Ophthalmologie. Während mit der Arterienbiopsie nur ein kleiner Abschnitt der Blutgefäße untersucht werden könne, seien mit Ultraschall größere Gefäßsegmente darstellbar. Falls zur zusätzlichen Absicherung der Diagnose noch eine Gewebeprobe entnommen werden muss, kann unter Ultraschall-Führung zudem ein geeigneter Gefäßabschnitt ausgewählt werden. „Mit Ultraschall lassen sich die Orte der Gefäßentzündung genau identifizieren und stumme Zonen, also Gefäßabschnitte ohne Entzündung, können dann gemieden werden“, so Tost. Auch in der Verlaufskontrolle habe die Ultraschall-Untersuchung ihren festen Platz. Mit ihr lasse sich die Entwicklung des Entzündungsgeschehens objektiv kontrollieren und die Therapie bei Bedarf anpassen.

Die Riesenzellarteriitis tritt fast ausschließlich bei Menschen über 50 auf, Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Häufig ist die Gefäßentzündung mit einer weiteren entzündlich-rheumatischen Erkrankung assoziiert, der so genannten Polymyalgia rheumatica, die mit starken Muskelschmerzen im Schulter- und Beckenbereich einhergeht, meist auch mit Abgeschlagenheit und Fieber. „Ungefähr die Hälfte der Patientinnen und Patienten mit einer Riesenzellarteriitis leiden auch an einer Polymyalgie“, sagt Hartung. Umgekehrt entwickelten rund 10 bis 20 Prozent der Polymyalgie-Betroffenen auch eine Riesenzellarteriitis. Bereits bei Neudiagnose einer Polymyalgia rheumatica sollten daher schon bei dem geringsten Verdacht auf eine zusätzlich bestehende Gefäßentzündung unbedingt auch die Schläfenarterien per Ultraschall untersucht werden. So ließen sich mögliche entzündliche Veränderungen frühzeitig erkennen und ein wertvoller Behandlungsvorsprung gewinnen.