Vielversprechender Therapieansatz bei Hypophysentumoren: Forschende bei Helmholtz Munich entdecken neuen Signalweg

Hypophysentumoren sind die dritthäufigste Hirntumorart. Zwar in der Regel gutartig, dringen sie oft in umliegende Gewebe ein und müssen chirurgisch entfernt werden. Insbesondere Tumoren vom nicht-hormonproduzierenden Typ werden meist so spät entdeckt, dass sie zum Diagnosezeitpunkt schon nicht mehr vollständig reseziert werden können. Aktuelle medizinische Behandlungen versagen bei diesen Tumoren, sodass die Identifizierung neuer Therapieansätze von entscheidender Bedeutung ist. Gefördert von der Wilhelm Sander-Stiftung haben Forschende bei Helmholtz Munich einen neuen Signalweg entdeckt, der in diesen Tumoren aktiviert wird und ein vielversprechendes Ziel für die Therapie darstellt.

Neuroendokrine Hypophysentumoren (engl. „Pituitary Neuroendocrine Tumors“, kurz PitNETs) sind raumfordernde Neubildungen in der Hirnanhangsdrüse und treten bei bis zu einem Prozent der Bevölkerung auf. Damit sind Hypophysentumoren die dritthäufigste Hirntumorart. Zudem unterscheidet man zwischen endokrin aktiven, d. h. „funktionierenden Tumoren“ (engl. Functioning Pituitary Neuroendocrine Tumors, kurz F-PitNETs), die sich aus den Drüsenzellen der Hypophyse entwickeln und bestimmte Hormone produzieren, und hormoninaktiven, d. h. „nicht funktionierenden Tumoren“ (engl. Non Functioning Pituitary Neuroendocrine Tumors, kurz NF-PitNETs), die keine Hormone freisetzen. Allerdings sind die meisten dieser Tumoren gutartig und brauchen zunächst keine Behandlung. Daher werden sie auch häufig als Hypophysenadenome bezeichnet. Wenn neuroendokrine Hypophysentumoren jedoch größer werden oder zu viel Hormone produzieren, treten Symptome wie zum Beispiel Kopfschmerzen oder Sehstörungen auf, die therapiert werden müssen.

Insbesondere nicht funktionsfähige Hypophysentumoren (NF-PitNETs) werden oft erst in späten Stadien der Tumorentwicklung diagnostiziert, da sie keine Hormone freisetzen, durch die sie schneller entdeckt werden könnten. Zum Diagnosezeitpunkt in diesem späten Stadium sind 50 Prozent der Tumoren bereits in umliegende Bereiche eingedrungen, sehr aggressiv und können durch eine Operation nicht mehr vollständig entfernt werden. Daher kehren sie oft zurück und verursachen schwere gesundheitliche Folgen für die Patienten.

Zu den üblichen Behandlungsmethoden für Hypophysentumoren gehören neben der chirurgischen Entfernung die medikamentöse Therapie mit Dopaminaktivatoren, synthetischem Somatostatin oder Temozolomid (einem Chemotherapeutikum) sowie die Strahlentherapie. Allerdings sprechen Tumoren vom nicht-hormonproduzierenden Typ auf die genannten Medikamente nicht an, und die Strahlentherapie verursacht schwere Nebenwirkungen. Da dieser Tumortyp mit den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten nicht zu heilen ist, ist die Entwicklung neuer Therapieansätze für NF-PitNETs von großer Dringlichkeit.

Das Hauptziel der von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Studie des Teams um Forschungsgruppenleiterin Prof. Dr. Natalia S. Pellegata vom Institut für Diabetes und Krebs bei Helmholtz Munich bestand nun darin, neue Angriffspunkte für Medikamente gegen hormoninaktive Hypophysentumoren zu finden, um die klinische Behandlung der Patienten zu verbessern.

Die Krebsentwicklung ist ein dynamischer Prozess, der durch die Interaktion verschiedener Zellen und Moleküle bestimmt wird, die die Mikroumgebung des Tumors ausmachen. Zu den Zellen in der Mikroumgebung des Tumors gehören Endothelzellen. Diese Zellen sind an der Bildung neuer Blutgefäße beteiligt, einem Prozess, der als Angiogenese bezeichnet wird. Die Angiogenese ist notwendig, um wachsende Tumoren mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen und Abfallprodukte abzutransportieren. Zu den Molekülen, die die Angiogenese regulieren, gehören die sogenannten Angiopoietine (Angpt), Signalmoleküle, die an den Rezeptor Tie2 auf der Zellmembran der Endothelzellen binden. Die zwei bekanntesten Moleküle sind Angpt1 und Angpt2: Angpt1 aktiviert den Tie2-Rezeptor und fördert die Gefäßstabilität, während Angpt2 den Rezeptor nur dann aktiviert, wenn es in hoher Konzentration vorhanden ist. In Tumoren schütten die Endothelzellen hohe Mengen an Angpt2 aus. Zudem ist bereits bekannt, dass auch Tumorzellen selbst Angpt2 bilden und absondern können. So wurden insbesondere im Blut von Tumorpatienten in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium erhöhte Angpt2-Konzentrationen festgestellt, was ebenfalls mit schlechteren Aussichten auf Heilung korrelierte.

Ausgangspunkt des aktuellen Forschungsvorhabens von Natalia S. Pelegata und ihrem Team war die Beobachtung, dass NF-PitNET-Patienten ebenfalls einen erhöhten Angpt2-Spiegel im Blut aufweisen, der mit der Aggressivität des Tumors korreliert. Dieser Befund veranlasste die Wissenschaftler*, die Werte und die Rolle von Angpt2 bei NF-PitNETs genauer zu untersuchen.

Anhand von Zellkulturen konnte die Forschungsgruppe in ihrer Studie zeigen, dass auch NF-PitNETs hohe Werte von Angpt2 aufweisen und dieses ausschütten, was zum Wachstum von Tumorzellen führt. Auch bei den im Rahmen der Forschungsarbeiten untersuchten Fischembryonen führte die Ausschüttung von Angpt2 zur Angiogenese. Interessanterweise verfügen NF-PitNETs ebenfalls über den Tie2-Rezeptor, der sich auf der Zelloberfläche befindet und durch Angpt2 aktiviert werden kann. Ähnlich wie bei Endothelzellen stimuliert Tie2 die Zellteilung in Tumorzellen. Die Wissenschaftler konnten so beweisen, dass Angpt2 und Tie2 auch das Überleben und Wachstum von PitNE-Tumorzellen aufrechterhalten. Gelänge es, den Rezeptor Tie2 in PitNET-Zellen auszuschalten, könnte ihr Wachstum jedoch gezielt unterdrückt werden.

Um zu belegen, dass der Angpt2/Tie2-Signalweg ein mögliches Ziel für eine Behandlung darstellt, wurden im nächsten Schritt Medikamente, die diesen Signalweg blockieren, in experimentellen Modellen von NF-PitNETs getestet. So gelang es der Forschungsgruppe um Natalia S. Pellegata nachzuweisen, dass die Blockierung des Angpt2/Tie2-Signalwegs das Wachstum der Tumorzellen in Zellkulturen und in Tiermodellen tatsächlich reduziert.

„Der Angpt2/Tie2-Signalweg erweist sich als vielversprechender therapeutischer Angriffspunkt bei NF-PitNETs und adressiert damit einen ungedeckten klinischen Bedarf“, erläutert Natalia S. Pellegata die Bedeutung der Forschungserkenntnisse. „Die Fähigkeit von Tumorzellen, Angiogenese-Signale zu nutzen, von denen man normalerweise annimmt, dass sie nur in den Endothelzellen vorhanden sind, erweitert unsere Sicht auf die für das Tumorwachstum wesentlichen Signale der Mikroumgebung“, ergänzt die Leiterin des Forschungsteams und erklärt weiter: „Unsere Studie legt nahe, dass Medikamente, die auf das Angpt2/Tie2-System abzielen, in der Klinik zur Behandlung von NF-PitNET-Patienten eingesetzt werden sollten“. Die Blockierung von Angpt2/Tie2 in Tumoren ist ein neues Konzept für die Krebsbekämpfung, das laut Pellegata nicht nur bei hormoninaktiven Hypophysentumoren, sondern möglicherweise auch bei anderen Tumoren, die diese Moleküle produzieren, anwendbar sein könnte.

Die vielversprechenden Forschungsergebnisse der Münchener Helmholtz-Forschungsgruppe wurden kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift EMBO Molecular Medicine veröffentlicht.

Wilhelm Sander-Stiftung: Partner innovativer Krebsforschung

Die Wilhelm Sander-Stiftung hat das Forschungsprojekt in zwei Förderphasen mit insgesamt rund 270.000 Euro von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 250 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Über Helmholtz Munich

Helmholtz Munich ist ein biomedizinisches Spitzenforschungszentrum. Seine Mission ist, bahnbrechende Lösungen für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Interdisziplinäre Forschungsteams fokussieren umweltbedingte Krankheiten, insbesondere die Therapie und die Prävention von Diabetes, Adipositas, Allergien und chronischen Lungenerkrankungen. Mittels künstlicher Intelligenz und Bioengineering transferieren die Forschenden ihre Erkenntnisse schneller zu den Patient:innen. Helmholtz Munich zählt mehr als 2.500 Mitarbeitende und hat seinen Sitz in München/Neuherberg. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, mit mehr als 43.000 Mitarbeitenden und 18 Forschungszentren die größte Wissenschaftsorganisation in Deutschland. Mehr über Helmholtz Munich (Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH)

www.helmholtz-munich.de

*Die in diesem Text verwendeten Genderbegriffe vertreten alle Geschlechtsformen.

Originalpublikation:

www.embopress.org/doi/full/10.15252/emmm.202114364