Wie die Augenheilkunde klimafreundlicher werden kann

Gesundheitswesen als Treiber des Klimawandels

Berlin, September 2022 – Das Gesundheitswesen hat mit etwa vier Prozent einen größeren Anteil am CO2-Fußabdruck als der internationale Flugverkehr und gilt als viertgrößter Mitverursacher des Klimawandels. Wie sich die Augenheilkunde künftig nachhaltiger aufstellen kann, ist daher ein Schwerpunktthema auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Auf der Kongress-Pressekonferenz gibt DOG-Präsident Professor Dr. med. Gerd Geerling einen Überblick über Möglichkeiten zur Einsparung von Treibhausgasemissionen in seinem Fach. Sie reichen vom Einsatz klimaschonender Narkosegase über wiederverwertbare OP-Textilien bis hin zu telemedizinischen Konsultationen.

Bereits 2018 hat die WHO Nachhaltigkeitsziele für das Gesundheitswesen definiert und der englische National Health Service (NHS) einen Dreijahresplan für ein „Sustainable Development Management“ vorgelegt. Im November 2021 setzte auch der Deutsche Ärztetag für 2030 ein „klimaneutrales Gesundheitswesen“ als Ziel und forderte alle medizinischen Disziplinen auf, konkrete Vorschläge zu erarbeiten. „Da ist insbesondere auch die Augenheilkunde gefragt, die aufgrund von Volkskrankheiten wie Grauer Star oder Makuladegeneration und den damit verbundenen operativen Eingriffen inklusive Vor- und Nachuntersuchungen einen immensen Verbrauch an Ressourcen aufweist“, sagt Geerling, der als Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Düsseldorf tätig ist.

Klimaschonende Narkose-Gase, wiederverwertbare OP-Textilien

Allein die Operation des Grauen Stars findet in Deutschland eine Million Mal pro Jahr statt. „Verschiedene Maßnahmen im Ablauf der Versorgung von Katarakt-Patient*innen können den CO2-Fußabdruck dieses Eingriffs deutlich reduzieren“, sagt Geerling. So sollte etwa der Materialeinsatz auf das Notwendigste gesenkt werden. „Waschbare, wiederverwertbare OP-Textilien verursachen eine um 30 bis 50 Prozent geringere CO2-Emission als Einmaltextilien, die mit 200 bis 300 Prozent mehr Energie- und Wasserverbrauch und 750 Prozent mehr Müll verbunden sind“, betont der DOG-Präsident. Zudem sollten aufwändige Neuerungen wie die Laser-Katarakt-Chirurgie, die mit erheblich erhöhtem Ressourcen-Verbrauch für Patient*innen einhergehen, komplizierten Situationen und wenigen Zentren vorbehalten bleiben.

Ein weiterer Punkt betriff die Narkosen. „Die Umstellung auf umweltschonende Inhalationsanästhetika senkt den CO2-Abdruck bei Narkosen um 95 Prozent“, erläutert Geerling. Einsparmöglichkeiten ergeben sich darüber hinaus bei der postoperativen Betreuung. „Eine Studie zeigt, dass beispielsweise nach einer komplikationslosen Operation des Grauen Stars wiederholte kurzfristige Verlaufsuntersuchungen nicht notwendig sind“, erläutert der DOG-Experte. „Es entstehen keine Nachteile mit Blick auf das Sehvermögen.“ Damit entfallen zugleich Anfahrten von Patientinnen und Patienten, was wiederum die CO2-Produktion reduziert.

Weniger CO2-Ausstoß durch Telefon- und Videokonsultationen

Ähnliches gilt für Erkrankungen wie den Grünen Star, das trockene Auge oder auch die diabetische Netzhauterkrankung, die häufig über Jahre konservativ betreut werden müssen – die Augenheilkunde ist in der ambulanten Versorgung der Fachbereich mit der höchsten Zahl von Arzt-Patient*innen-Kontakten. Gleichzeitig spielen bildgebende Verfahren eine zentrale Rolle. „Daher wäre es langfristig denkbar, einen Teil der mit teils langen Anfahrtswegen verbundenen ärztlichen Besuche durch standardisierte Telefonkonsultationen oder telemedizinische Kontakte zu ersetzen, etwa im Rahmen von videoophthalmologischen Sprechstunden“, meint Geerling. Dies könne die Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten erhöhen und gleichzeitig die Umwelt entlasten.
Solche telemedizinisch erhobenen Befunde müssten aber weiterhin von fachlich qualifizierten Augenärzt*innen ausgewertet werden. Denn, so resümiert Gerd Geerling: „Oberstes Ziel ist eine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität mit möglichst geringem Ressourcenverbrauch in der modernen Augenheilkunde.“