Nichtübertragbare Krankheiten: Wie Policies die Gesundheit und das Leben von Millionen schützen können

Die Covid-19-Pandemie mag einen anderen Eindruck erwecken, aber nichtübertragbare Krankheiten sind bei weitem die Hauptursache für Behinderung und Tod in Europa. Neue Forschungsergebnisse zeigen: Diese Krankheiten lassen sich viel besser durch politische Maßnahmen verhindern, als durch das Bewerben individueller Verhaltensänderungen. Das von der EU finanzierte Policy Evaluation Network (PEN) hat sich zum Ziel gesetzt, Policies zu ermitteln, die am ehesten eine gesunde Lebensweise unterstützen, indem sie zum Beispiel die gesunde Wahl zur Standardwahl machen. Es fasst nun seine wichtigsten Forschungsergebnisse in einer Sonderausgabe des European Journal of Public Health zusammen.

Die Zahlen sind eindeutig: Chronische Krankheiten, die durch Bewegungsmangel und schlechte Ernährung verursacht werden, machen 77 Prozent der Krankheitslast und fast 86 Prozent der vorzeitigen Todesfälle aus. Der Anteil dieser Krankheiten nimmt weiter zu. Konkret geht es dabei etwa um Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs und Atemwegserkrankungen. Die Hauptgründe für diesen Trend sind gut erforscht: In ihrem täglichen Leben kombinieren viele Europäer:innen körperliche Inaktivität und ausgedehnte sitzende Tätigkeiten mit dem übermäßigen Konsum von energiereichen Lebensmitteln und Getränken, die außerdem oft zu viel gesättigte Fette, Transfettsäuren, Zucker oder Salz enthalten, während sie nur geringe Mengen an Gemüse, Obst und Vollkornprodukten zu sich nehmen.

„Die Ursachen der wichtigsten nichtübertragbaren Krankheiten sind seit Jahrzehnten gut erforscht, aber wir sehen wenig bis gar keine Fortschritte bei ihrer Bewältigung. Da wir mit einer zunehmenden gesundheitlichen Ungleichheit konfrontiert sind, brauchen wir politische Maßnahmen, um diesen negativen Trend zu stoppen“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ahrens, stellvertretender Direktor des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen und Projektkoordinator von PEN. „Um die derzeitige Situation zu ändern, ist es notwendig, über die individuelle Verhaltensänderung hinaus zu umfassenderen politischen und systemorientierten Ansätzen überzugehen. Bei Policies geht es darum, Systeme zu verändern, nicht Menschen. Sie umfassen in der Regel Prozesse, die über mehrere Sektoren hinweg angestoßen werden, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen, etwa eine Verringerung der körperlichen Inaktivität in der Bevölkerung. Dies erfordert ein behutsames Abwägen zwischen dem, was erreichbar ist, was sich auf Fakten stützt und was politisch gewollt ist oder auf Zustimmung stößt. Die Ergebnisse von PEN zeigen, wie erfolgreiches politisches Handeln aussieht und wie politische Maßnahmen, wenn sie vollständig umgesetzt werden, das Potenzial haben, die Gesundheit und das Wohlbefinden einer ganzen Bevölkerung grundlegend zu verbessern.“

Die Vision von PEN

Im Rahmen der „Joint Programming Initiative on a Healthy Diet for a Healthy Life“ (JPI HDHL) haben 28 Forschungsinstitute aus sieben europäischen Ländern und Neuseeland ihr Fachwissen in PEN gebündelt. Die Vision des Netzwerks ist es, Europa Instrumente zur Verfügung zu stellen, mit denen politische Maßnahmen zur direkten oder indirekten Bekämpfung von Bewegungsmangel und ungesunder Ernährung identifiziert, bewertet und verglichen werden können. Bisher gab es dazu in Europa fast keine systematische Forschung.

Mit der PEN-Sonderausgabe des European Journal of Public Health hat sich die Faktenlage zu diesem Thema grundlegend geändert. Die Sonderausgabe umfasst dreizehn Texte, die aus dem PEN-Projekt hervorgegangen sind. Zu den untersuchten Themen gehören neue theoretische Modelle, die unser Verständnis des Policy-Prozesses und seiner Evaluierung verbessern. Sie bietet einen Überblick über Maßnahmen und Arbeitsbereiche, die am ehesten geeignet sind, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel nachhaltig zu reduzieren. Es wird ein Konzept für ein Surveillance-System für Policy- und Gesundheits-Maßnahmen in Europa skizziert sowie dafür geeignete Forschungsdesigns und Methoden vorgestellt. Die PEN-Wissenschaftler:innen zeigen auf, wie die Umsetzung und die Auswirkungen von Policies am besten bewertet werden können, um die größtmöglichen Erfolge für ein gesundes Leben der europäischen Bürger:innen zu erzielen. Dabei hat PEN die Themen Gleichberechtigung und Diversität besonders in den Fokus gerückt, um sicherzustellen, dass die politischen Maßnahmen integrativ und nicht exklusiv sind.

Ein Aufruf zum Handeln

„Mit dieser Veröffentlichung rufen wir zum Handeln auf. Es ist ein Aufruf an Regierungen und politische Entscheidungsträger:innen auf nationaler und lokaler Ebene, das neu erworbene Wissen zu nutzen, um starke, umfassende politische Lösungen zu entwickeln, umzusetzen und zu bewerten. Lösungen, die nachhaltig und gerecht sind und die aktuelle gesundheitliche Herausforderungen wirksam angehen“, sagt Professor Ahrens. Er fügt hinzu: „Es ist ein Aufruf an die Geldgeber:innen auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene, der Policy-Forschung weiterhin Priorität einzuräumen und sie zu finanzieren, um auf der Arbeit von PEN aufzubauen. Wir haben gerade erst begonnen, die Auswirkungen von Policies auf das menschliche Verhalten und die Umwelt zu verstehen. Es ist aber auch ein Aufruf an die Policy-Forscher:innen, über klassische Publikationen hinauszugehen und ihre Ergebnisse in relevante und aussagekräftige Ratschläge und Advocacy-Dokumente für politische Entscheidungsträger:innen umzusetzen, um politische Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit aller Bürger:innen in ganz Europa voranzutreiben.“

PEN – der Hintergrund

PEN wird von der Joint Programming Initiative (JPI) „A Healthy Diet for a Healthy Life“, einer Forschungs- und Innovationsinitiative der EU-Mitgliedstaaten und assoziierten Länder, finanziert. Folgende Organisationen unterstützen diese Arbeit: Deutschland: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF); Irland: Health Research Board (HRB); Italien: Ministerium für Bildung, Universität und Forschung (MIUR); die Niederlande: Die Niederländische Organisation für Gesundheitsforschung und Entwicklung (ZonMw); Neuseeland: Universität Auckland, School of Population Health; Norwegen: Der norwegische Forschungsrat (RCN); und Polen: Nationales Zentrum für Forschung und Entwicklung (NCBR).

Das BIPS – Gesundheitsforschung im Dienste des Menschen

Die Bevölkerung steht im Zentrum unserer Forschung. Als epidemiologisches Forschungsinstitut sehen wir unsere Aufgabe darin, Ursachen für Gesundheitsstörungen zu erkennen und neue Konzepte zur Vorbeugung von Krankheiten zu entwickeln. Unsere Forschung liefert Grundlagen für gesellschaftliche Entscheidungen. Sie informiert die Bevölkerung über Gesundheitsrisiken und trägt zu einer gesunden Lebensumwelt bei.

Das BIPS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der 97 selbstständige Forschungseinrichtungen gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam.

Originalpublikation:

European Journal of Public Health, Volume 32, Issue Supplement_4, December 2022