Sensorlösung prüft Elektrolythaushalt

Elektrolyte sind entscheidend für den Wasserhaushalt und die Flüssigkeitsverteilung im menschlichen Organismus. Da sich die geladenen, im Blut gelösten Teilchen in ihrem komplexen Gleichgewicht gegenseitig beeinflussen, wird bei jedem Verdacht auf eine Störung die Konzentration verschiedener dieser Mikromineralien bestimmt. Im Projekt optION haben sich Forschende des Fraunhofer HHI mit Partnern aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengeschlossen, um ein Gerätekonzept zu entwickeln, das die für die Analyse benötigte Blutmenge mit Hilfe einer photonischen Sensorlösung deutlich reduziert und den Testvorgang für alle Beteiligten entschieden erleichtert.

Ob bei Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz, Alkoholvergiftung oder Diabetes mellitus – für die medizinische Diagnose dieser und vieler weiterer ernsthafter Erkrankungen ist es unerlässlich, den Elektrolythaushalt zu überprüfen. Ihre Zusammensetzung in verschiedenen Bereichen des Körpers ist genau austariert. Verändert sie sich, kann das dramatische Auswirkungen haben: Ist etwa die Natriumionen-Konzentration zu gering, ist es möglich, dass Hirnzellen anschwellen und ein Koma verursachen. Aktuell verwendete Messgeräte benötigen für jeden Elektrolyten einen separaten Messfühler. Um alle Fühler überströmen zu können, ist eine Blutprobe von etwa 70 bis 80 Mikroliter Blut erforderlich. Hierfür reicht das Blutvolumen, das von Kleinkindern oder älteren Patienten entnommen werden kann, oft nicht aus.

Um diese Herausforderung anzugehen, schlossen sich Spezialistenteams aus Medizin, Fluidmechanik, Oberflächenchemie, Photonik und Elektronik der Firma Eschweiler aus Kiel, der Scienion AG, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Fraunhofer HHI zum optION-Konsortium zusammen. Ihr Ziel: Ein neues Messprinzip aus der Photonik erforschen und vorantreiben, das die präzise Analyse von sehr kleinen Blutmengen ermöglicht. Und es gab noch eine weitere Intention, die die Forschenden antrieb: Sie wollten ein Gerätekonzept entwickeln, mit dem sich Endanwender auch in schwer erreichbaren Gebieten schnell, unkompliziert und für Patienten angenehm auf ver-schiedene Gesundheitsparameter testen können. »Man darf sich das wie einen einfachen Blutzuckertest vorstellen«, erläutert Projektleiter Jakob Reck vom Fraunhofer HHI: »Ein Piks – und der kleine Tropfen, der an der Fingerbeere austritt, reicht aus, um umgehend alle relevanten Parameter zu bestimmen.«

Mikroringsensoren zur Elektrolytbestimmung

Die Experten setzten Mikroring-Resonatoren als photonische Sensoren ein. Die hoch empfindlichen integrierten Wellenleiter basieren auf Siliziumnitrit und werden direkt in den Reinräumen des Fraunhofer HHI hergestellt. Die Wellenleiter bilden einen Ring, in dem das nahinfrarote Licht mit sich selbst und der Umgebung interagieren kann.
Wenn nun ein Analyt auf diesem Ring angelagert wird, verschiebt sich dessen effektiver Brechungsindex und seine optische Resonanz. »Der Ring wird verstimmt, im Prinzip wie eine Gitarrensaite«, erläutert Reck. »Wenn ein Analyt auf den Ring, sprich die Saite trifft, verändert sich der Ton. Und diese Gitarrensaiten können wir in der Photonik extrem empfindlich gestalten – für eine entsprechend klare Signalgebung und Analytik.«

Die spezifische Zuordnung des Signals eines Sensors zu einem Elektrolyten gewährleistet die Funktionalisierung der Sensoroberfläche: Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler der Firma Scienion belegten die Ring-Resonatoren hierfür mit speziellen Fän-germolekülen. Nur der Analyt, der adressiert wird, kann sich mittels Schlüssel-Schloss-Prinzip an einem Ring festhalten und beeinflusst so das Lichtfeld am Wellenleiter. Diese Veränderung steht im direkten Verhältnis zur Menge der angelagerten Moleküle. Da bereits kleinste Abweichungen in den optischen Eigenschaften gemessen werden können, war es den Fachleuten möglich, selbst eine minimale Stoffmenge mit hoher Genauigkeit zu detektieren.

Für die funktionalisierten photonischen Sensoren entwickelte das Labor für Biofluidmechanik der Berliner Charité eine Mikrofluidik, die den Chips kleine Flüssigkeitsmengen zielgerichtet zuführt. Mehrere unterschiedlich beschichtete Mikroring-Sensoren werden mit einer Probe überströmt. So lässt sich aus weniger als 20 Mikrolitern Volumen die Elektrolytkonzentration bestimmen. Anschließend kombinierten die Fachleute der Firma Eschweiler und des Fraunhofer HHI Sensoren und Fluidik mit einer angepassten Ansteuer-, Auslese- und Auswerteelektronik zu einem Funktionsmuster, dessen Leistungsfähigkeit wiederum am Fraunhofer HHI sowie durch das Institut für Laboratoriumsmedizin, klinische Chemie und Pathobiochemie der Charité getestet wurde.

Messgenau und hoch flexibel

Und diese Tests sprechen für sich: »Unser Verfahren ist höchst flexibel einsetzbar und sehr zuverlässig«, freut sich Fraunhofer-HHI-Wissenschaftler Reck. »Welche der getes-teten Parameter man auch betrachtet, wir liegen in der Regel zwei Größenordnungen über der erforderlichen Nachweisgrenze der etablierten Tests. Und unsere Möglichkeiten sind breit gefächert, da man die Oberflächen unserer Resonatoren direkt auf zahlreiche Analyte anpassen kann.«

Zudem sind die photonischen Sensoren des Konsortiums sehr klein und ermöglichen eine sensitive Messung minimaler Volumina sowie die parallele Detektion unterschiedlicher Elektrolyte und anderer Biomarker über eine Multiplex-Bündelung mehrerer Sensorringe. »Wir haben einen Chip, auf dem acht Mikroring-Resonatoren verbaut sind und dieser Sensorchip ist so groß wie ein Fingernagel. Man kann das Verfahren also hoch miniaturisieren und integrieren«, verdeutlicht Reck. Des Weiteren ist der Sensor für die schnelle Messdatenaufnahme in Echtzeit konzipiert, sodass beispielsweise die Oberflächenkinetik bei der Anbindung der Biomoleküle dargestellt werden kann.

Der aktuelle Demonstrator des Sensorkopfes passt in einen Schuhkarton und ermög-licht den Weg zu einem kleinen Handgerät, das Labortische ersetzen und entsprechend einfach in den Außeneinsatz geschickt werden kann. Darüber hinaus benötigt er Akku-betrieben keinen Netzanschluss, was das Handling zusätzlich erleichtert.

Interdisziplinäre Lösung – breite Anwendbarkeit

Seine Interdisziplinarität sieht Jakob Reck als einen ungemeinen Mehrwert des Projekts und einen Faktor, der die Mitglieder des Konsortiums anfangs durchaus forderte: »Es ging darum, ein innovatives Konzept zu realisieren, das am Markt benötigt wird – mit allen Einzelaspekten: von den photonischen Chips über die Oberflächenfunktionalisierung und Mikrofluidik bis hin zur Geräteintegration. Ein solches Vorhaben gelingt nur mit viel Kommunikation und dem Willen, auf den anderen einzugehen, um wirklich zu verstehen, was die jeweils andere Disziplin braucht.«

Das Ergebnis des im Oktober 2022 beendeten Forschungsvorhabens kann sich sehen lassen. Die erfolgreichen Partner planen bereits Nachfolgeprojekte – Ansatzpunkte haben sie genug und die Marktnachfrage ist groß. So startete 2022 auch das Verbundprojekt PolyChrome Berlin: Es soll neue Anwendungen in der Sensorik und Analytik erschließen, die zugleich kostengünstig umgesetzt werden können. Auch in diesem Fall ist ein wesentlicher Aspekt die Analytik mit photonischen Sensorchips, und auch an diesem Projekt sind die Fachleute des Fraunhofer HHI beteiligt. »Hier zeigt sich die breite Anwendbarkeit unserer Lösung, denn in diesem Projekt gehen wir über die Medizin hinaus und versuchen die Sensoren im Bereich der Life Sciences zu etablieren, beispielsweise zur Vitamin-Detektion. Ein weiteres spannendes Anwendungsfeld ist die Wasser- und Umweltanalytik für schnelle Tests in Gewässern oder Rohrleitungen, in letzteren etwa auf Cyanobakterien«, verrät Fraunhofer-Experte Jakob Reck. Kleine Sensorchips, die Großes bewegen, werden ihre Leistung in jedem Fall in nächster Zu-kunft mannigfach unter Beweis stellen dürfen.