Kieler Forschende finden Hinweise, warum Standardtherapien bei akuter lymphatischer Leukämie nicht immer anschlagen

Bei bestimmten molekularen Veränderungen könnte eine engmaschige Kontrolle nach der Therapie sinnvoll sein.

Gemeinsame Pressemeldung der Universität Kiel und des UKSH

Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems. Sie ist die häufigste Form der Leukämie bei Kindern, kann aber auch bei Erwachsenen auftreten. Im Blut der Betroffenen findet man zu viele unreife, nicht funktionsfähige weiße Blutkörperchen (Lymphoblasten). Wie viele andere Krebsarten auch ist die ALL durch Veränderungen des Erbguts in den Zellen geprägt. Die Art der Veränderung ist bedeutsam für den Schweregrad der Krankheit und die Prognose. „Es ist bekannt, dass bei etwa einem Fünftel der Patientinnen und Patienten einer akuten lymphoblastischen Leukämie Veränderungen am TP53-Gen beobachtet werden. Sie sprechen nicht so gut auf die Standard-Chemotherapie an und haben schlechtere Überlebenschancen“, erklärt Dr. Guranda Chitadze von der Klinischen Forschungsgruppe (KFO) CATCH ALL der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. In einer aktuellen Arbeit haben Forschende um Chitadze und Prof. Dr. Monika Brüggemann von der Klinik für Innere Medizin II mit den Schwerpunkten Hämatologie und Onkologie, UKSH, Campus Kiel, in Kollaboration mit dem Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie Plön, dem Universitätsklinikum Frankfurt am Main sowie mit dem Münchner Leukämielabor MLL gezeigt, dass diese TP53-Mutationen auch nach einer erfolgreichen Behandlung in bestimmten Blutzellen zu beobachten sind. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal Blood veröffentlicht.

Mutationen des Gens TP53 gehen der Blutkrebserkrankung voraus

Für die Studie wurden vorliegende Blut- und Knochenmarkproben von 43 Erwachsenen mit ALL untersucht, bei denen eine Mutation im TP53 Gen bekannt war. Mithilfe von modernen molekularbiologischen und immunologischen Methoden wurden die Veränderungen des Gens TP53 über die Zeit von der Diagnose bis zur Nachbeobachtung nach Therapie hin analysiert. Die Mutationslast des TP53-Gens, also das Vorhandensein einer TP53-Mutation, wurde in unterschiedlichen Zellkompartimenten erfasst und mit dem Grad der sogenannten minimalen oder messbaren Resterkrankung (MRD) verglichen. MRD bezeichnet eine geringe Anzahl verbleibender Tumorzellen nach einer Behandlung. Selbst wenn die Behandlung den Blutkrebs so weit zurückdrängen kann, dass er mikroskopisch nicht mehr nachweisbar ist, können kleinste Mengen zurückbleibender Tumorzellen ein möglicher Auslöser für einen Rückfall der Erkrankung sein. Bei rund 70 Prozent der untersuchten Personen wurde durch die Behandlung eine molekulare Remission erreicht, das heißt bestimmte Krankheitsmarker waren molekulargenetisch nicht mehr nachweisbar. „Obwohl bei diesen Patientinnen und Patienten keine minimale Resterkrankung mehr nachweisbar war, konnten wir doch bei etwa einem Drittel von ihnen weiterhin Mutationen im TP53-Gen feststellen“, sagt Erstautorin Chitadze, die auch innerhalb des Clinician Scientist-Programms in Evolutionärer Medizin (CSEM) forscht. Tiefergehende Analysen zeigten, dass die Veränderungen des Gens schon in Vorläuferzellen des Bluts zu finden sind. Mutationen im TP53-Gen können somit frühe Ereignisse in vorleukämischen Stadien darstellen. Durch die klonale Vermehrung der Zellen bestehen die Mutationen in den verschiedenen blutbildenden Zellen fort, bleiben auch während einer Remission erhalten, und können zu einem erneuten Auftreten der Krankheit führen.

„Unsere Ergebnisse geben einen wesentlichen Einblick in die Entstehung einer TP53-mutierten ALL“, erklärt Prof. Dr. Monika Brüggemann, die Leiterin der Sektion für Hämatologische Spezialdiagnostik an der Klinik für Innere Medizin II. „Die Erkenntnisse könnten eine wichtige klinische Bedeutung für die Wahl der ALL-Therapie, die Überwachung der minimalen Resterkrankung sowie die Vorhersage des Behandlungsergebnisses haben. Dafür sind jedoch weitere Studien mit einer größeren Kohorte in einem prospektiven Rahmen notwendig.“

Klinische Forschungsgruppe „CATCH ALL“

Diese Studie ist ein Ergebnis der Klinischen Forschungsgruppe „CATCH ALL – Heilungsperspektive für alle Erwachsenen und Kinder mit Akuter Lymphoblastischer Leukämie (ALL)“, die seit Anfang Januar 2022 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund fünf Millionen Euro gefördert wird. Teams aus Forschung und Klinik arbeiten daran, aussichtsreiche Therapieansätze in die klinische Anwendung zu bringen. „Die neuen Erkenntnisse können einen weiteren Beitrag zur Optimierung der onkologischen Präzisionsdiagnostik und Therapie der akuten lymphoblastischen Leukämie leisten“, erklärt Professorin Claudia Baldus, Sprecherin der CATCH ALL. Sie betont: „Generell möchten wir eine Verbesserung der Heilungschancen altersübergreifend für alle Patientinnen und Patienten erreichen.“

Weiterführende Informationen:

CAU-Pressemitteilung zur Klinischen Forschungsgruppe „CATCH ALL“
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/244-kfo-catchall

Originalpublikation

Chitadze G, Stengel A, John-Klaua C, Bruckmüller J, Trautmann H, Kotrova M, Darzentas F, Kelm M, Pal K, Darzentas N, Bastian L, Kehden B, Wessels W, Ströh AS, Oberg HH, Altrock PM, Baer C, Meggendorfer M, Goekbuget N, Baldus CD, Haferlach C, Brüggemann M. Somatic TP53 mutations are pre-leukemic events in acute lymphoblastic leukemia. Blood. 2022 Nov 30:blood.2022017249. https://doi.org/10.1182/blood.2022017249