Krebszellen entlarven

Neue Angriffsziele für die Entwicklung verbesserter Immuntherapien gegen Leukämien bei Kindern

Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Magdeburg gewinnen wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Immuntherapien zur Behandlung von akuten Leukämien, der häufigsten Krebserkrankung im Kindesalter.

Der Forschungsbereich „Translationale ALL-Forschung“ der Universitätskinderklinik Magdeburg unter der Leitung von Klinikdirektor Prof. Dr. med. Denis Schewe erforscht neuartige Immuntherapieansätze zur Behandlung der akuten lymphoblastischen Leukämien (ALL) bei Kindern und Jugendlichen. Im Fokus der Forschenden stehen die Ausweich- und Tarnmechanismen, mit denen es Tumorzellen immer wieder gelingt, der körpereigenen Abwehr zu entkommen. Die Idee: Mit Hilfe modernster Immuntherapien soll das Immunsystem dabei unterstützt werden, die bösartigen Krebszellen zu erkennen, anzugreifen und zu vernichten. Ziel ist die Entwicklung verbesserter Therapiestrategien, um damit den Einsatz toxischer Chemotherapien zu reduzieren oder sogar zu ersetzen. Die Arbeitsgruppe liefert dafür – zusammen mit ihren Kieler Partnern – neue Erkenntnisse, die 2022 in vier wichtigen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht wurden.

Die akute lymphoblastische Leukämie ist die häufigste bösartige Erkrankung des blutbildenden oder lymphatischen Systems bei Kindern. Die Krankheit entsteht aus entarteten Vorläufer-B- oder T-Zellen (B- bzw. T-ALL). Obwohl sich die therapeutischen Strategien durch Optimierung der Chemotherapien bei der ALL verbessert haben und gute Heilungschancen bestehen, führt die Therapie bei 20 Prozent der Betroffenen nicht zum Erfolg. „In allen Fällen ist die Therapie giftig und wird von mehr oder weniger ausgeprägten akuten sowie langfristigen Nebenwirkungen begleitet. Es besteht ein dringender Bedarf an neuartigen Immuntherapien. Dadurch können die Toxizität der Therapie verringert und Erkrankungsrückfälle, die durch Chemotherapie alleine nicht mehr erreichbar sind, behandelt werden. Insbesondere bei der T-ALL gibt es bislang praktisch keine Immuntherapieansätze“, erklärt Prof. Schewe, der bereits seit über zehn Jahren auf diesem Gebiet forscht. „Unser Ziel ist die präklinische Grundlage dafür zu schaffen, dass eine neue Substanz, eine neue Therapiekombination oder eine neue Immuntherapie in klinischen Studien überprüft wird.“

Die Arbeitsgruppe untersucht unterschiedliche Varianten von Immuntherapien. Eine Strategie ist laut dem Kinderonkologen der Einsatz von sogenannten monoklonalen Antikörpern – eine Gruppe künstlich hergestellter Proteine, die sich an die Oberfläche der Krebszellen anheften, Immunzellen wie zum Beispiel Fresszellen (Makrophagen) aktivieren und dadurch die Leukämiezellen gezielt zerstören. „Wir konnten zeigen, dass die Oberflächenrezeptoren CD38 und CD47 auf leukämischen Zellen von Patienten mit T-ALL attraktive Ziele für eine Antikörpertherapie sind“, erläutert Prof. Schewe und ergänzt, dass insbesondere die Kombination von zwei Antikörpern vielversprechende Ergebnisse zeigte. Einer der Antikörper blockiert einen sogenannten Immuncheckpoint. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin erklärt: „Checkpoints sind Moleküle, die das Immunsystem bremsen und damit verhindern, dass die Immunzellen körpereigenes Gewebe schädigen. Krebszellen verstärken die Bremswirkung und schützen sich so vor dem Immunsystem. Mit speziellen medikamentösen Hemmstoffen, sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, ist dieser Mechanismus umkehrbar. Dann können die Abwehrzellen den Tumor wieder wirksam bekämpfen. Es ist uns mit einem solchen Ansatz gelungen, Rückfälle einer T-ALL im präklinischen Modell zu heilen.“

Auch die Modifikation von Antikörpern ist eine Therapieoption, die das Team von Prof. Schewe wissenschaftlich untersucht. Durch gezielte Veränderungen in der Molekülstruktur ist es möglich, Immuneffekte an das Abwehrsystem zu vermitteln und damit die Fresszellen besser zu aktivieren. „Dass die Fresszellen bei Immuntherapien der ALL im Modell eine erhebliche Rolle spielen können, ist eine unserer wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahre“, erläutert Prof. Schewe.

In Zusammenarbeit mit der Universität Kiel und der Firma OSE Immunotherapeutics in Nantes, Frankreich, erprobt Prof. Schewe weitere Therapiestrategien bei schwer zu behandelnden Leukämien. Die entsprechende Arbeit zur Therapie von Interleukin-7 Rezeptor-positiven ALLs wurde auf dem Amerikanischen Krebskongress mit dem renommierten ASH Abstract Achievement Award ausgezeichnet.

Die Effektivität einiger dieser Therapieansätze konnte das Forschungsteam im Labor bereits nachweisen, sodass Prof. Schewe zuversichtlich ist, dass diese schon in fünf Jahren in der klinischen Anwendung sein könnten: „Es ist uns bereits gelungen, Leukämien in Versuchstieren vollständig zu eliminieren. Diese experimentellen Ergebnisse nun auf den Patienten zu übertragen, ist unser Ziel.“ Um das zu erreichen, setzt der Kinderonkologe auf interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Erwachsenenmediziner:innen und Forschungsverbünden zur Immunologie und Entzündungsforschung, wie dem Graduiertenkolleg 2408 auf dem Campus der Universitätsmedizin Magdeburg, aber auch nationale und internationale Konsortien.

Prof. Dr. med. Denis Schewe wechselte 2021 von der Christian-Albrechts-Universität Kiel an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und besetzt seitdem die Professur für Kinder- und Jugendmedizin. Sein Medizinstudium absolvierte der gebürtige Münchner an der LMU München, wo er auch später promovierte. Für seine praktische Ausbildung war er unter anderem an der renommierten Harvard Medical School in Boston tätig. Mit einem Postdoktoranden-Stipendium der Deutschen Krebshilfe e. V. machte er zudem Station am Department of Biomedical Sciences an der Universität Albany (State University of New York) und am Mount Sinai Medical Center in New York City. Er verfügt über die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ und die Schwerpunktbezeichnung „Pädiatrische Hämatologie/Onkologie”.

Die Forschung der Arbeitsgruppe „Translationale ALL-Forschung“ wird unter anderem unterstützt durch Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Deutschen Krebshilfe e.V., der José-Carreras-Stiftung und der Wilhelm Sander-Stiftung.

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