Lipidsynthese und Muskelgesundheit

Muskeldegeneration ist die häufigste Ursache für Gebrechlichkeit im Alter beziehungsweise bei bestimmten Erbkrankheiten. Forschende der ÖAW haben starke Indizien dafür, dass der Muskelabbau durch einen Mangel des Enzyms PCYT2 in einem wichtigen Lipid-Biosyntheseweg verursacht wird. Die entsprechenden Studienergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift Nature Metabolism publiziert.

Die Muskeldegeneration infolge von Erbkrankheiten und im Alter betrifft weltweit Hunderte von Millionen Menschen. Um diesen Abbau besser zu verstehen und die Basis für mögliche Therapien zu legen, hat ein Forschungsteam am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter der Leitung von Domagoj Cikes und Josef Penninger, der auch an der University of British Columbia (UBC) tätig ist, einen Syntheseweg für bestimmte Phospholipide unter die Lupe genommen. Die daraus hervorgehenden (aus Ethanolamin gewonnenen Phospholipide) „PEs“, sind in biologischen Membranen allgegenwärtig, beispielsweise in den „Kraftwerken“ der Zelle, den Mitochondrien. PEs kommen in Nervengewebe in besonders hohen Konzentrationen vor. Eine zusätzliche, noch relativ neue Beobachtung ist, dass sie die Membransteifigkeit von Liposomen erhöhen. Diese Tatsache motivierte Domagoj Cykes, auch die Muskelfunktion im Lichte dieses Lipidsyntheseweges zu sehen. Denn Membransteifigkeit könnte für Gewebe, das – wie Muskeln – einer ständigen Schubspannung ausgesetzt ist, wichtig sein.

Der IMBA-Forscher stellte die Hypothese auf, dass das Enzym PCYT2 mit seiner limitierenden Funktion im PE-Syntheseweg einen wichtigen Einfluss auf Muskelgesundheit bzw. die Degeneration im Fall des Fehlens hat. Und tatsächlich erwies sich die verminderte Aktivität des Enzyms als Kennzeichen von Muskeldegeneration sowohl bei der Analyse von Patient:innendaten als auch in entsprechend mutierten Modellorganismen. Im Gegenzug ließ sich durch die gezielte Verabreichung von aktivem PCYT2 die Muskelschwäche in PCYT2-depletierten Mausmodellen beheben und die Muskelkraft bei alten Mäusen verbessern. Die Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass ein PCYT2-Mangel in den Muskeln die mitochondriale Funktion und die physikochemischen Eigenschaften der Myofasermembran beeinträchtigen.

Auch auf die Organisationsstruktur der Lipide kommt es an

Das IMBA-Team ging nun weiter ins Detail und untersuchte, ob Alterung und Degeneration im Wesentlichen auf eine mangelnde mitochondriale Energieversorgung zurückzuführen sein. Tatsächlich aber konnte eine unterstützte Energieversorgung die Mangelerscheinungen nicht wettmachen. „Dies veranlasste uns zu der Annahme, dass es einen zusätzlichen Mechanismus geben muss, der die Pathologie verursacht – wie sich herausstellte, ist das die Organisation der Lipiddoppelschicht der Zellmembran“, so Cikes.

Die Biologie der Lipide bleibt spannend

Für die biologische Arbeit mit Lipiden müssen stets auch methodische Hürden genommen werden. So wurde es beispielsweise erst durch die Adaption einer von Kareem Elsayad am Vienna BioCenter Core Facilities (VBCF) entwickelten Technik zur Messung der Gewebesteifigkeit mittels Brillouin-Streuung möglich nachzuweisen, dass die Steifigkeit der Membranoberfläche erheblich abnimmt, wenn PCYT2 in Mäusemuskeln deletiert wird. Zudem lernten die Forscher:innen, mittels Giant Plasma Membrane Vesicles, direkt ins Innere der Lipiddoppelschicht von Zellmembranen zu blicken und die lokalen Eigenschaften der strukturellen Lipide zu untersuchen. „Das derzeitige Wissen über die Biologie der Lipide ist aber noch zu stark vereinfacht“, gibt Domagoj Cikes zu bedenken. „Der gesamte Lipidbereich wird in einer Handvoll molekularer Familien zusammengefasst, wie Cholesterine, Triglyceride, Phospholipide und Fettsäuren. Es handelt sich aber um ein riesiges und großteils unerforschtes molekulares Universum, in dem die Funktion der meisten Lipidarten bei Gesundheit und Krankheit unbekannt ist“, so der Ko-Autor der Studie und ehemaliger Postdoktorand in der Penninger-Forschungsgruppe am IMBA.

Publikation:

Cikes, D., et al., „Critical role of PCYT2 in muscle health and aging„. Nature Metabolism, 2023. DOI: 10.1038/s42255-023-00766-2