Emil lebt: Erste ECMO-Lungenersatztherapie bei Neugeborenem am Leipziger Universitätsklinikum erfolgreich

Transporte in weit entfernte Kliniken nun nicht mehr nötig / „Gesamter Osten Deutschlands bisher unterversorgt“, betont Neonatologe Prof. Ulrich Thome / Hohe Anforderungen an Spenderblut: UKL-Blutbank legt kleines Depot an

Leipzig. Emil hat es geschafft: Kurz nach seiner Geburt war der nur wenige Wochen alte Junge mit drohendem Lungenversagen ins Universitätsklinikum Leipzig (UKL) eingeliefert worden. Nur durch die Behandlung mit dem ECMO-Verfahren, welches die Herz- und Lungenfunktion von Kindern und Erwachsenen für eine gewisse Zeit maschinell teilweise oder komplett übernimmt, konnten die UKL-Neonatologen sein Leben retten.

Darüber hinaus erhielt Emil mehrere Bluttransfusionen, ohne die diese erstmalig bei einem Neugeborenen am UKL durchgeführte Lungenersatztherapie nicht umsetzbar gewesen wäre. Bei der medizinischen Versorgung von Neugeborenen und Säuglingen mit schweren Lungenschädigungen oder Lungenversagen ist die UKL-Neonatologie nun das erste vollausgestattete Zentrum in ganz Mitteldeutschland.

„Bei einer ECMO-Therapie wird das Blut durch eine Maschine aus dem Körper geleitet, in einer künstlichen Lunge mit Sauerstoff angereichert und anschließend wieder zurückgepumpt. ECMO steht dabei für extrakorporale Membranoxygenierung“, umreißt Prof. Ulrich Thome, Direktor der Neonatologie am UKL, die Funktionsweise dieser Lungenersatztherapie. „Bei Neugeborenen sehen wir für diese Therapie zwei Einsatzfelder: Zum einen kommt bei die Behandlung von Kindern mit einer schweren Lungenerkrankung zum Einsatz, die im schlimmsten Fall zum Lungenversagen führen kann, so dass auch eine maschinelle Beatmung nicht mehr hilft. Dann kann die ECMO das Leben des Kindes retten. Der zweite Einsatzbereich sind schwere Herzfehler, wenn nach einer Herz-OP Zeit zu überbrücken ist, bis der Kreislauf wieder richtig funktioniert. Davon betroffene Kinder werden im Herzzentrum Leipzig adäquat behandelt“, so der UKL-Neonatologe.

Für Kinder mit schwerer Lungenerkrankung gab es bisher in Leipzig sowie im gesamten mitteldeutschen Raum kein spezialisiertes Versorgungszentrum. „Der gesamte Osten Deutschlands war unterversorgt“, betont der UKL-Neonatologe. So wurden Mütter, bei denen die Erkrankung ihres Kindes pränatal absehbar war, zur Geburt nach Mannheim oder Bonn überwiesen. „Hatte die Mutter bei uns am UKL entbunden und trat bei den Neugeborenen ein schweres Lungenversagen ein, haben wir das hiesige Herzzentrum gebeten, die weitere Behandlung für uns zu übernehmen. Ideal war das aber aus medizinischer und auch aus organisatorischer Sicht nicht.“ Daher entschied man sich in der UKL-Neonatologie 2019 für die Einführung dieser Therapie. Hierzu war nicht nur die Anschaffung entsprechender Geräte sondern auch ein umfangreiches Trainingsprogramm für das Personal notwendig. Durch die Corona-Pandemie wurden die Vorbereitungen unterbrochen, da die gerade gekauften Geräte zunächst für schwerkranke COVID-19-Patient:innen gebraucht und daher an die betreffenden UKL-Stationen ausgeliehen wurden. „Der Markt war leergefegt, es war ein Glück, dass wir die Geräte schon gekauft hatten. Sie halfen, mehr kritisch an COVID-19 Erkrankten das Leben zu retten“, sagt Prof. Thome. Seit Frühjahr 2022 befinden sich die Geräte nun wie geplant in seiner Abteilung, so dass das Training für das Personal abgeschlossen werden konnte. Seit dem Jahreswechsel 2022/23 ist damit hier die Versorgung schwer lungengeschädigter Neugeborener und Säuglinge möglich, für die bisher nur der höchst gefährliche Transport in eine weit entfernte Klinik in Frage kam. „Das UKL ist für diese Kinder jetzt das 1. ECMO-Zentrum in Mitteldeutschland. Das ist ein enormer Zugewinn für Leipzig und die Region“, freut sich Thome.

Emils Leben ist akut in Gefahr: ECMO als letzte Option

Der erste erfolgreiche Einsatz der ECMO-Maschine in der UKL-Neonatologie findet Mitte März dieses Jahres statt: Der kleine Emil ist zum damaligen Zeitpunkt drei Wochen alt. Nach einer unauffälligen Geburt verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Jungen nach wenigen Tagen  dramatisch. Seine Mutter Carolin Siegel ist als Azubi-Koordinatorin am UKL tätig und arbeitete davor als Pflegekraft in der Kinder-Notaufnahme. „Mein Mann ist Intensivpfleger, wir sind beide vom Fach. Uns war daher sofort klar, dass Emils Leben in Gefahr ist“, erzählt sie. Emil wird aufgrund einer sehr niedrigen Sauerstoffsättigung im Blut umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen. „Trotz unserer Wohnlage etwas außerhalb von Leipzig wollten wir unbedingt ins UKL. Am Ende war das die einzig richtige Entscheidung“, erinnert sich die 35-Jährige. Im UKL wird der Junge sofort intubiert und kommt zunächst an ein mechanisches Beatmungsgerät. Zwei Tage später steht für Emil die ECMO-Therapie als letzte verbliebene Behandlungsmöglichkeit im Raum. Die Anspannung bei seinen Eltern ist extrem: „Die erste ECMO bei einem Neugeborenen am UKL – das hat uns schon Angst gemacht, denn diese Behandlung birgt auch Risiken. Aber wir standen mit dem Rücken zur Wand. Du lässt dein Kind nicht sterben“, beschreibt Carolin Siegel ihre Verzweiflung in dieser Situation. „Nur eine Stunde später – und Emil hätte es nicht geschafft.“

Erstem Einsatz geht ein jahrelanges Training voraus

Bei der Versorgung von ECMO-Patient:innen und dem sicheren Umgang mit möglichen Komplikationen dieses Verfahrens werden große Anforderungen an das Personal gestellt. Auch für Prof. Ulrich Thome und sein Team war ein intensives mehrjähriges Training notwendig, bis alle Ablaufschritte der komplexen Lungenersatztherapie bei Neugeborenen sicher saßen. „Unter anderem mit einer Simulationssoftware haben wir insbesondere kritische Verläufe geübt und den Ernstfall in Stresssituationen geprobt“, erzählt er.
Generell gilt: Je kürzer die Behandlung mit der ECMO, um so größer sind die Heilungschancen. Emil war sechs Tage an der Maschine angeschlossen, drei Tage war seine Lunge dabei komplett funktionsunfähig. In dieser Zeit betreute ihn ein Team aus speziell für diese herausfordernde Aufgabe geschulten Ärzt:innen und Pflegekräften. „Tage kommen einem dabei wie Jahre vor, das war eine unglaublich schwere Zeit“, schaut Carolin Siegel zurück. „Aber Emil hat es geschafft. Wir sind unendlich froh, dass alles gut gegangen ist“, sagt sie dankbar. Viel Kraft habe sie in dieser Zeit auch von ihrem Mann erhalten: „Er blieb positiv, wusste intuitiv, dass Emil ein Kämpfer ist. Da wächst man als Paar und Familie noch einmal ganz anders zusammen.“

Eine ECMO-Therapie braucht Spenderblut 

Neben dem Team der Neonatologie haben weitere Menschen zur Rettung von Emils Leben beigetragen. Denn eine Lungenersatztherapie wie die ECMO kann nur durch Bluttransfusionen ermöglicht werden, sie ist daher stets mit dem Einsatz von Spenderblut verbunden: Unter anderem muss der maschinellen Kreislauf mit Blut vorgefüllt werden, notwendige Kontrollen während der Behandlung führen zu Blutverlusten. „Emil erhielt drei Blutkonserven. Bei Neugeborenen, Säuglingen und kleineren Kindern dürfen allerdings nur wenige Tage alte Blutkonserven mit speziellen Blutgruppeneigenschaften zum Einsatz kommen“, erklärt Prof. Reinhard Henschler, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin am UKL. Für Emil seien daher exakt passende Blutspender:innen kontaktiert und um eine sofortige Blutspende gebeten worden. „Mit den gewonnenen Blutkonserven haben wir dann ein kleines Depot angelegt.“ Die Versorgung des Jungen habe gezeigt, dass die etablierte Zusammenarbeit mit der Neonatologie gut funktioniere. So stand das Team der UKL-Transfusionsmedizin den Neonatologen auch bei allen transfusionsmedizinischen Fragen rund um die Uhr zur Seite. „Die Blutversorgung eines Neugeborenen ist auch für uns keine alltägliche Situation. Aber wir sind gut darauf vorbereitet, wissen, was zu tun ist. Wir freuen uns dass Emil alles gut überstanden hat und es ihm mittlerweile besser geht“, ergänzt Reinhard Henschler.

Seine Geschwister erwarten den kleinen Emil

Kurz nach dem Osterfest konnte Emil gesund aus dem UKL entlassen werden. „Der Junge hat sich prima entwickelt, die Prognose ist gut. Alles in allem sieht es nach einem einmaligen Ereignis aus, das sich nicht noch mal wiederholen wird“, sagt Prof. Thome zufrieden, auch wenn sich trotz zahlreicher Untersuchungen keine eindeutige Ursache für Emils Lungenversagen finden ließ. „Neben der Erleichterung bleibt daher auch Angst zurück, das möchte man nicht noch mal erleben“, so Carolin Siegel. „Hätte sich Emils Zustand nachts so verschlechtert, während wir alle geschlafen hätten – wir wären wohl nicht darauf aufmerksam geworden.“ Eine weitere technische Überwachung von Emils Atmung und Herzschlag, vor allem nachts, bleibt daher auch in den nächsten Monaten notwendig. Des Weiteren wird Emil zu regelmäßigen Nachkontrollen in die UKL-Kinderklinik kommen. Dennoch freue sich die dreifache Mutter jetzt darauf, dass nun etwas Normalität in ihr Familienleben einkehre. „Zuhause warten ja auch noch seine beiden Geschwister auf ihn“, meint Carolin Siegel. „Jetzt können wir endlich eine ganz normale Familie sein.“

Für Emil ist dank ECMO alles gut gegangen. Dass das  Verfahren dringend benötigt wird, zeigte sich wenig später: Ein zweites Kind, das dringend die Lungenersatztherapie benötigte, war bereits am UKL eingetroffen. Auch dessen ECMO-Behandlung konnte mittlerweile nach Angaben von Prof. Thome erfolgreich beendet werden.