Herzinfarkt bei Frauen: Symptome nicht immer eindeutig

Zum Welttag der Frauengesundheit beantwortet MHH-Kardiologin Dr. Carolin Zwadlo Fragen zum Thema Herzinfarkt bei Frauen.

Der 28. Mai ist Welttag der Frauengesundheit. Dieser Tag soll das Bewusstsein dafür schärfen, dass nicht alle Krankheiten sich bei Frauen und Männern gleich äußern. Das vielleicht entscheidendste Beispiel dafür ist der Herzinfarkt. Er gehört zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Dennoch wissen viele Menschen nicht, dass die Symptome bei Frauen anders aussehen. Ein Interview mit unserer MHH-Kardiologin Dr. Carolin Zwadlo.

Wie äußert sich ein Herzinfarkt bei Frauen?

Zwadlo: Die meisten Menschen spüren bei einem Herzinfarkt einen heftigen Druck oder Schmerz, ein Brennen oder ein sehr starkes Engegefühl im Brustkorb. Oft haben die Beschwerden ihren Ursprung hinter dem Brustbein. Sie können in die Arme, den Oberbauch, den Rücken, den Hals, den Kiefer oder die Schulterblätter ausstrahlen. Häufig treten auch Luftnot, Übelkeit oder Erbrechen sowie Angst und Schweißausbrüche auf. Auch Frauen verspüren diese „typischen“ Beschwerden bei einem Herzinfarkt, bei ihnen sind sie allerdings häufig nicht so stark ausgeprägt. Bei manchen Frauen äußert sich ein Herzinfarkt „atypisch“, z.B. durch Beschwerden im Oberbauch, Rücken, Hals oder Kiefer ohne Beteiligung des Brustkorbs. All das führt dazu, dass sowohl von den Betroffenen als auch von den Behandelnden oft zunächst an andere Erkrankungen gedacht wird.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Zwadlo: Wir hatten z. B. mal eine Patientin, die über Nacht Oberbauchschmerzen mit starker Übelkeit und Erbrechen entwickelte. Als sie sich am Folgetag noch immer sehr matt fühlte, brachte ihr Mann sie in ein Krankenhaus. Anhand der Laborwerte wurde ein Herzinfarkt diagnostiziert. Erst auf konkrete Nachfrage gab die Patientin auch leichte Beschwerden in der Brust an. Sie wurde in die MHH zur Herzkatheteruntersuchung verlegt. Hier zeigte sich ein fast vollständiger Verschluss eines der Herzkranzgefäße. Dieser wurde mit einem Stent behandelt. Der Patientin ging es danach gut. Sie hat Glück gehabt, dass alles so glimpflich abgelaufen ist und sich nur eine kleine Narbe am Herzen gebildet hat. Sie selber war über die Diagnose „Herzinfarkt“ sehr überrascht. Sie hatte an eine Magenverstimmung gedacht, nachdem sie mit ihrem Mann auswärts gegessen hatte.

Ein anderer Fall ist eine meiner ersten Patientinnen, die ich als junge Ärztin auf Station betreuen durfte. Sie hatte beim Joggen regelmäßig Schmerzen im Nacken. Die Schmerzen ließen nach, wenn sie langsamer lief. Sie wurde zunächst unter dem Verdacht einer Wirbelsäulenproblematik behandelt. Nach mehreren Wochen ohne Verbesserung wurde an eine zugrundeliegende Herzerkrankung gedacht. Die Patientin wurde ins Krankenhaus eingewiesen – sie hatte zum Glück keinen Herzinfarkt – und es wurde eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. Hier zeigte sich, dass eines der Herzkranzgefäße (das sind die Gefäße, die für die Blut- und Sauerstoffversorgung des Herzmuskels verantwortlich sind) eine relevante Einengung hatte. Diese wurde mit einem Stent, einer Gefäßstütze, behandelt. Die Patientin konnte anschließend wieder problemlos joggen. Das war ein eindrückliches Erlebnis für mich und zeigt beispielhaft: Wenn Beschwerden durch körperliche Belastung regelmäßig provoziert werden können, sollte an eine Herzproblematik gedacht werden!

Gibt es eine Erklärung, weshalb die Symptome bei Frauen andere sind?

Zwadlo: Keine eindeutige. Mögliche Erklärungsansätze sind, dass bei Frauen statistisch gesehen der Herzinfarkt in einem höheren Lebensalter auftritt und im höheren Alter die Wahrnehmung der Beschwerden generell eine andere ist. Teils scheint es an einer unterschiedlichen Verteilung und Wichtung der Risikofaktoren, d.h. Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, Zuckerkrankheit, Nikotinkonsum, zwischen Männern und Frauen zu liegen. Außerdem gehen auch z. B. eine Depression oder rheumatologische Erkrankungen mit einem erhöhten Risiko für einen Herzinfarkt einher. Diese Erkrankungen treten bei Frauen deutlich häufiger auf. Studien zu der Entstehung und der Zusammensetzung von Ablagerungen in den Gefäßen, den Plaques, haben z. B. gezeigt, dass die Zusammensetzung der Plaques bei Frauen und Männern unterschiedlich ist. Auch hier kann eine mögliche Erklärung liegen. Hinzu kommt, dass Frauen ihre Symptome häufig nicht so ernst nehmen und nicht an einen Herzinfarkt denken. Für viele, gerade ältere Frauen, ist der Herzinfarkt noch immer eine Erkrankung des Mannes.

Was für Folgen kann ein nicht entdeckter Herzinfarkt bei Frauen haben?

Zwadlo: Bei einem Herzinfarkt ist ein Herzkranzgefäß fast oder vollständig verschlossen. Dadurch wird eine Region des Herzens nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt. Diese Teile des Herzmuskels sterben ab. Je nach Größe der Region kann die Pumpkraft des Herzens dauerhaft herabgesetzt sein. Es entwickelt sich eine Herzschwäche, die mit einer verminderten körperlichen Belastbarkeit und Luftnot bei körperlicher Anstrengung verbunden ist. Im schlimmsten Fall kommt es jedoch während des akuten Herzinfarktes zu Herzrhythmusstörungen, die unbehandelt tödlich sind.

Wird der Herzinfarkt bei Frauen genauso behandelt wie bei Männern?

Zwadlo: Ist die Diagnose „Herzinfarkt“ gestellt, werden Männer und Frauen auf die gleiche Art und Weise behandelt. Ziel der Behandlung ist die rasche Wiederherstellung der Sauerstoffversorgung des Herzmuskels. Das geschieht im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung, bei der in das betroffene Gefäß eine Gefäßstütze, ein Stent, eingesetzt wird. Diese Untersuchung ist an der MHH 7 Tage/Woche, 24 Stunden/Tag verfügbar. Im Anschluss an die Untersuchung ist eine dauerhafte Medikamenteneinnahme notwendig, um das Risiko für einen erneuten Herzinfarkt zu senken. Neben der medikamentösen Therapie ist oft auch eine Änderung des Lebensstils unumgänglich, wie regelmäßiges Ausdauertraining, gesunde Ernährung und die Beendigung eines Nikotinkonsums. Das Hinterfragen und das Verändern von liebgewonnenen Verhaltensweisen ist für die Betroffenen, ob Mann oder Frau, oft am schwierigsten.

Wann soll man unbedingt den Notarzt rufen?

Zwadlo: Je schneller ein Herzinfarkt erkannt und behandelt wird, desto größer sind die Chancen, keine schwerwiegenden Folgen davonzutragen. Deshalb generell: Lieber einmal zu viel den Notruf wählen als einmal zu wenig! Medizinische Hilfe sollte man sich vor allem holen, wenn die Beschwerden neu sind, plötzlich auftreten, über mehrere Minuten anhalten oder in einem bisher nicht bekannten Ausmaß auftreten. Auch wenn für die meisten Patient:innen der Herzinfarkt plötzlich auftritt, so berichten je nach Studienlage zwischen 30-50 % von ihnen rückblickend in den Stunden zuvor kurze Phasen eines brennenden oder drückenden Gefühls hinter dem Brustbein verspürt zu haben.

Gibt es Bemühungen in der Medizin, den Unterschieden zwischen Männern und Frauen gerecht zu werden?

Zwadlo: Die Medizin der westlichen Industrienationen ist leitliniengeprägt und die Empfehlungen der Fachgesellschaften beruhen auf großen Studien. Das ist sehr gut und führt zu einer hohen medizinischen Versorgungsqualität. Frauen sind in diesen großen Studien allerdings häufig unterrepräsentiert. Trotzdem gelten die Empfehlungen gleichwohl für Frauen als auch für Männer. Es gibt aber viele Beispiele in der Medizin, in denen anatomische, physiologische und pathophysiologische Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern vorliegen, so dass Frauen und Männer unterschiedlich von einer Therapie profitieren, unterschiedliche Krankheitsverläufe oder eine andere Sterblichkeit aufweisen. Auch ist bekannt, dass Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten bei Frauen und Männern teilweise unterschiedlich ausgeprägt sind. Lange Jahre wurden geschlechtersensible Prinzipien in der Medizin vernachlässigt. Die Medizin ist sich dieser Tatsache aber durchaus bewusst und in dem Bereich der sogenannten geschlechtersensiblen Medizin wird zunehmend mehr Forschung und Aufklärung betrieben. Sowohl national als auch international gibt es Arbeitsgruppen und Lehrstühle, die sich intensiv mit dem Thema der geschlechtersensiblen Medizin beschäftigen. All das hat dazu geführt, dass Empfehlungen inzwischen teilweise geschlechtergetrennt aufgesetzt werden. Was vielleicht viele Frauen nicht wissen, an einigen deutschen Kliniken gibt es Sprechstunden speziell für Frauen, z. B. auch Herzsprechstunden. Der Weg zu einer allgemeingültigen geschlechtersensiblen Medizin ist aber noch weit.

Die Fragen stellte Janna Zurheiden