Parasit schont seinen Wirt

Pharmazeuten der Universität Jena entdecken konvergente Evolution bei genomischen Parasiten

Parasitismus ist eine absolut einseitige Lebensform. Der Schmarotzer bereichert sich auf Kosten seines Wirtes und schädigt diesen nicht selten so sehr, dass er abstirbt. Trotz dieser ungerechten Ausgangssituation ist das Phänomen weit verbreitet. Sogar in den Erbanlagen eines Organismus, in seinem Genom, können wir es finden. Bestimmte DNA-Sequenzen, sogenannte mobile genetische Elemente, infiltrieren solche Zellen und vermehren sich darin eigennützig. In der Regel verbreiten sich die neuen Kopien dieser Elemente dabei uneingeschränkt im Genom und springen häufig in die Gene der Zelle und zerstören sie so. Pharmazeuten der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben nun aber herausgefunden, dass die Parasiten unter Umständen auf ganz unterschiedliche Weise auch Rücksicht auf ihren Wirt nehmen – im eigenen Interesse natürlich.

Die Wissenschaftler untersuchten dabei die Ausbreitung der mobilen Elemente im Genom der Amöbe Dictyostelium discoideum, in dem es den Parasiten schnell zu eng werden kann. „Im Gegensatz etwa zum Genom des Menschen, das nur zu etwa zwei Prozent aus Genen besteht, ist das der Amöbe hundertfach kleiner und sehr dicht mit Genen besetzt“, erklärt Prof. Dr. Thomas Winckler vom Institut für Pharmazie der Universität Jena. „Es besteht zu zwei Dritteln aus Genen, weshalb die Parasiten hier nur sehr begrenzt Raum haben, um sich auszubreiten.“ Weil das Amöben-Genom haploid ist, das heißt, das Genom ist nur einfach vorhanden, stirbt die Wirtszelle, sobald die mobilen Elemente in überlebenswichtige Gene springen und diese dadurch zerstören. Die Parasiten entzögen sich also relativ schnell ihre eigene Lebensgrundlage. Für sie herrscht somit ein enormer evolutionärer Druck, für dieses Problem eine Lösung zu finden.

Schonende Ausbreitung

Deshalb haben sie einen molekularen Mechanismus entwickelt, durch den sie sich zellschonend ausbreiten können. „Wir haben während unserer Forschung festgestellt, dass ein mobiles Element an ganz bestimmte Stellen im Genom springt und sich somit dorthin ausbreitet, wo es keinen Schaden anrichten kann“, sagt Winckler. „Genau diese Stellen wählen ähnliche Parasiten auch im Genom der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae – allerdings wird hier ein anderer Mechanismus angewandt, um die richtige Stelle zu identifizieren.“

Für die Jenaer Pharmazeuten steht deshalb fest: Hier liegt ein Fall von konvergenter Evolution vor. Das bedeutet, dass zwei nicht verwandte Organismen unabhängig voneinander und unter verschiedenen äußeren Einflüssen das gleiche Problem mit ähnlichen Entwicklungen lösen. Dass dieses Phänomen auch bei solchen mobilen Elementen auftaucht, war bisher nicht bekannt. Zum einen sieht Thomas Winckler deshalb in den aktuellen Ergebnissen eine gute Grundlage für weitere Forschung rund um die Parasiten in Genomen.

Zum anderen bieten sich hier möglicherweise auch Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung medizinischer Methoden. „Ein Ziel in der Gentherapie von Erbkrankheiten ist es, zum Ausgleich defekter Gene eines Patienten eine zusätzliche intakte Kopie in das Genom von Patientenzellen hineinzubringen“, sagt der Jenaer Pharmazeut. „Vielleicht sind die mobilen Elemente hierbei als Fähre geeignet, die noch zielgerichteter ganz bestimmte Stellen im Genom ansteuern können.“ Um das herauszufinden, bedarf es allerdings noch weiterer Forschung.

Original-Publikation:
Eva Kling, Thomas Spaller, Jana Schiefner, Doreen Bönisch, Thomas Winckler (2018): Convergent evolution of integration site selection upstream of tRNA genes by yeast and amoeba retrotransposons. Nucleic Acids Research, DOI: https://doi.org/10.1093/nar/gky582

Weitere Informationen:
http://www.uni-jena.de