Unternehmen stoppen Antibiotika-Entwicklung – Akademische Forschung sucht nach Lösungen

Während sich multiresistente Keime zunehmend verbreiten, ziehen sich mehr und mehr Pharmakonzerne aus der Antibiotika-Forschung zurück. Jüngstes Beispiel ist Novartis. Alternative Entwicklungs- und Finanzierungsmodelle sind für das wenig lukrative Geschäft mit antiinfektiven Wirkstoffen gefragt. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungskonsortium InfectControl 2020 ist ein Beispiel für das akademische und politische Engagement in Deutschland, diesem gefährlichen Trend entgegenzuwirken.

Jena. Vor allem die resistenten Keime sind es, die Gesundheitsexperten und Forschern aufgrund ihrer schnellen Verbreitung Sorge bereiten. Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Vereinten Nationen betonen immer wieder, wie wichtig die Entwicklung neuer Antibiotika sei. Beispiele wie die Tuberkulose, die jährlich circa 1,5 Millionen Opfer fordert, bestätigen diese Forderungen nachdrücklich.

Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft

Die Entwicklung neuer Antibiotika-Klassen erfordert einen immensen finanziellen und zeitlichen Aufwand sowie ein umfassendes Expertenwissen. Gleichzeitig sind die zu erwartenden Erträge gering, da vor allem neue Medikamente als Reserve-Antibiotika von den Ärzten zurückgehalten werden sollen. Aus diesem Grund sind neue Entwicklungs- und Finanzierungsmodelle dringend erforderlich.

Der Sprecher des BMBF-finanzierten Forschungskonsortiums InfectControl 2020, Prof. Axel Brakhage, betont: „Die von neuen und resistenten Erregern ausgehende Bedrohungslage erfordert immense finanzielle und organisatorische Anstrengungen. Wie wir heute sehen, darf die Entwicklung neuer Antibiotika nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen werden. Das gesamtgesellschaftliche Problem verlangt geradezu nach international abgestimmten Antworten aus der Politik. Mit InfectControl 2020 geht Deutschland einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Das aus öffentlichen Mitteln finanzierte Engagement akademischer Einrichtungen in der Wirkstoffentwicklung bis in die klinischen Phasen hinein sichert außerdem wichtiges Expertenwissen, das durch die Abkehr der Industrie verloren zu gehen droht. Wenn wir nicht eine kritische Masse an hochqualifizierten Wissenschaftlern vorhalten, gehen uns schlicht die Kenntnisse verloren, die für die Antibiotika-Entwicklung unerlässlich sind. Am Beispiel des Tuberkulose-Wirkstoffes BTZ043 sammeln wir derzeit wichtige Erfahrungen, die auch für künftige Projekte enorm wichtig sind.“

BTZ043 ist ein Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse mit hoher Aktivität gegen den Erreger der Tuberkulose, Mycobacterium tuberculosis. Er wurde am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – entdeckt und wirkt auch gegen multiresistente Erregerstämme. Derzeit wird BTZ043 im Rahmen einer klinischen Studie erstmals am Menschen getestet. Die bislang ca. 15 Mio. Euro umfassende Medikamentenentwicklung wird hauptsächlich durch InfectControl 2020, das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung und den Freistaat Thüringen finanziert. Das Leibniz-HKI arbeitet mit dem Klinikum der Universität München (Prof. Michael Hölscher, Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin) zusammen. Das Herstellungsverfahren wird vom mittelständischen Unternehmen Hapila in Gera entwickelt.

Informationen zum HKI

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.

Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 430 Personen am HKI, davon 140 als Doktoranden.

Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.

Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 93 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.

Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u. a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.700 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,83 Milliarden Euro.