Vererbungsmuster zeigen Zusammenhänge zwischen Depression und Migräne, nicht aber der Alzheimerdemenz auf

Original Titel:
Analysis of shared heritability in common disorders of the brain

MedWiss – Die Studie zeigte anhand von Vererbungsmustern (genetische Faktoren) deutliche Verwandtschaften zwischen psychischen Erkrankungen. Mit diesen war auch die Migräne stärker verbunden. Solche Überschneidungen können anhand der teils vergleichbaren Symptome durchaus nachvollziehbar sein. Neurodegenerative Erkrankungen dagegen wie die Alzheimerdemenz oder Multiple Sklerose schienen nur wenige genetische Faktoren zu teilen. Weiter könnte die genetische Studie helfen, die Erkrankungen des Gehirns in sinnvollere Gruppen aufzuteilen. Dies könnte auch die Weiterentwicklung von Diagnose und Behandlung unterstützen.


Psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie und Bipolare Störung treten oft familiär gehäuft auf. Auch die Migräne betrifft typischerweise mehrere Familienmitglieder. Aber wie stark werden diese und andere Erkrankungen des Gehirns tatsächlich gemeinsam vererbt? In einer internationalen Zusammenarbeit untersuchten Wissenschaftler nun, welche Erbanlagen verschiedenen Erkrankungen gemeinsam sind. Neu ist an dieser Untersuchung vor allem das Ausmaß: allein das Team, unter Leitung von Populationsgenetiker Prof. Neale, Direktor am Broad Institute der renommierten Forschungseinrichtungen MIT und Harvard in den USA, umfasste Wissenschaftler von weltweit mehr als 600 Instituten.

Wie hängen Migräne, Depression, Demenz und andere Gehirnerkrankungen zusammen?

Um die biologischen Zusammenhänge der Erkrankungen besser zu verstehen, verglichen die Forscher die Muster der Erbanlagen, also der Gene, von 25 psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen. Jede kleine Veränderung eines Gens trägt allerdings nur sehr wenig zum Risiko bei, an einer der Krankheiten zu leiden. Daher benötigten die Forscher eine riesige Datenmenge, um tatsächlich sicher sein zu können, dass ein genetischer Einfluss tatsächlich vorlag. Sie untersuchten dazu das gesamte Genmaterial von 265218 Patienten und 784643 Kontrollen. Zusammen waren dies also mehr als 1 Million Menschen, deren Gene auf Muster untersucht wurden, die mit einer Erkrankung des Gehirns zusammenhängen konnten. Zusätzlich wurden aber auch weitere Faktoren analysiert: beispielsweise die Intelligenz, wie lange die jeweilige Ausbildung gedauert hatte oder ob die Menschen studiert hatten.

Weltweite Studie mit über 1 Million Teilnehmern: gibt es gemeinsame Muster in den Erbanlagen?

Besonders beschrieben wurden schließlich die Krankheiten, bei denen eine ausreichend große Teilnehmerzahl untersucht werden konnte. Die Erkrankungen bzw. auch sogenannte Entwicklungsstörungen, die daher für diese Analyse untersucht wurden, waren ADHD (auch als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bekannt), die Bipolare Störung und unipolare Depressionen, Schizophrenie, Autismus, eine Zwangsstörung sowie Anorexie und das Tourettesyndrom. Weiter wurden die neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen also Nervenschädigungen auftreten, wie Multiple Sklerose, Morbus Parkinson und die Alzheimerdemenz verglichen sowie Epilepsie, Migräne und Schlaganfall.

Im Ergebnis zeigte sich eine breite Überschneidung zwischen verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen. Besonders ADHD, die Bipolare Störung, unipolare Depression und Schizophrenie waren genetisch deutlich miteinander verbunden. Merkmale der Erbanlagen, die bei einer der psychischen Erkrankungen auftraten, waren also auch häufiger bei Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen zu finden.

Im Kontrast dazu unterschieden sich neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Multiple Sklerose stark voneinander. Auch mit den psychiatrischen Erkrankungen zeigten die meisten der anderen Gehirnerkrankungen wenig Gemeinsamkeiten. Lediglich Migräne schien, den Erbanlagen nach zu urteilen, eher den psychiatrischen Erkrankungen nahe zu stehen. Besonders gab es dabei Überschneidungen mit ADHD, unipolarer Depression und dem Tourettesyndrom.

Neurodegenerative Erkrankungen: kaum Gemeinsamkeiten

Die Forscher schlussfolgerten aus ihren Ergebnissen, dass die starken Übereinstimmungen zwischen den psychiatrischen Erkrankungen eine Abkehr von den derzeit üblichen klar getrennten Kategorien nahelegt. Die Erbanlagen deuten auf enge biologische Zusammenhänge zwischen Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie und ADHD. Beispielsweise könnte ein Mechanismus zur Regulation von Konzentration sowohl unaufmerksames Verhalten oder auch Hyperfokus (starke Konzentration) bei ADHD als auch eingeschränkte Fähigkeiten zu Planung von Kontrolle bei der Schizophrenie oder Demenz auslösen. Auch Migränepatienten kennen häufig Phasen starker Konzentration und solche, in denen Konzentration auf eine Sache unmöglich scheint. Eine solche Sprunghaftigkeit ist auch Menschen mit der Bipolaren Störung in einer manischen Phase bekannt, genau wie depressive Patienten sich kaum auf eine Aufgabe konzentrieren können. Gerade in einer Hypomanie wiederum ist auch eine starke Konzentration auf eine Sache und dabei eine extreme Leistungsfähigkeit ein häufiges Symptom.

Starke Verwandtschaft zwischen psychischen Erkrankungen und Migräne

Auffällig war auch, dass manche Erbanlagen auch mit Faktoren wie der Denkleistung in der Kindheit oder der Ausbildungsdauer verknüpft waren. Besonders Anorexie, Autismus, die Bipolare Störung und Zwangsstörungen traten häufiger gemeinsam mit solchen Erbanlagen auf, bei denen auch höhere Denkleistungen in der Kindheit, längere Ausbildungsdauer und ein Studium festgestellt wurden. Bei den neurologischen Erkrankungen wie beispielsweise der Alzheimerdemenz und Schlaganfall waren häufiger solche Erbanlagen zu finden, die auch bei geringeren Denkleistungen in der Kindheit (kurzer Ausbildungsdauer, kein Studium) vorlagen. Demnach scheinen genetische Veranlagungen im Zusammenhang mit der Denkleistung zu stehen, die auch als Risikofaktoren für bestimmte Erkrankungsarten zählen könnten.

Denkleistung in der Kindheit als verbindendes Element?

Die Studie zeigte damit anhand der Vererbungsmuster (genetische Faktoren) deutliche Verwandtschaften zwischen psychischen Erkrankungen. Mit diesen war auch die Migräne stärker verbunden. Solche Überschneidungen können anhand der teils vergleichbaren Symptome durchaus nachvollziehbar sein. Neurodegenerative Erkrankungen dagegen wie die Alzheimerdemenz oder die Multiple Sklerose schienen nur wenige genetische Faktoren zu teilen. Weiter könnte die genetische Studie helfen, die Erkrankungen des Gehirns in sinnvollere Gruppen aufzuteilen. Dies könnte auch die Weiterentwicklung von Diagnose und Behandlung unterstützen.

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