Leibniz-Wirkstoff des Jahres 2020 kommt aus Jena

Malleicyprole an lebensbedrohlichen Krankheiten beteiligt

Jena. Bakterien der Gattung Burkholderia lösen bei Mensch und Tier schwere Infektionen aus. Wissenschaftler*innen vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – (Leibniz-HKI) identifizierten nun von den Bakterien gebildete Substanzen, sogenannte Malleicyprole. Erste Laboruntersuchungen belegen, dass sie zu deren krankmachender Wirkung beitragen. Die Gruppe um Christian Hertweck schließt damit die Wissenslücke über die sogenannten Virulenzfaktoren der Bakterien. Die Malleicyprole wurden nun zum Leibniz-Wirkstoff des Jahres 2020 gekürt.

Eine wachsende globale Bedrohung

Sie kontaminieren den Boden oder das Wasser vor allem in Südostasien oder Nordaustralien: Die Bakterienarten Burkholderia mallei und Burkholderia pseudomallei lösen wiederaufkommende lebensbedrohliche Krankheiten wie Melioidose oder die bei Pferden vorkommende Infektion Rotz aus. Im Südosten Asiens und Norden Australiens ist Melioidose die wichtigste Ursache für eine schwere Sepsis – eine lebensbedrohliche Entzündung des gesamten Organismus – mit Sterblichkeitsraten von bis zu 40 Prozent. Antibiotika-Therapien dauern Monate an. Mit nur mäßigem Erfolg, da die Erreger teilweise resistent sind. Diese Krankheiten gelten daher nicht nur als eine wachsende Bedrohung für die globale Gesundheit. Beide Bakterienarten gelten außerdem als potentielle biologische Kampfstoffe. Kenntnisse über Virulenzfaktoren der Erreger können helfen, den Krankheitsverlauf besser zu verstehen und wirksame Mittel zur Behandlung solcher Infektionen zu entwickeln.

Ein beispielloser Wirkstoff

„Nicht alle beobachteten krankmachenden Effekte ließen sich durch frühere Untersuchungen erklären“, so Studienleiter Christian Hertweck. Er ist Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und leitet die Abteilung Biomolekulare Chemie am Leibniz-HKI. Zur Bedeutung der aktuellen Studie meint er: „Durch die Entdeckung der neuartigen bakteriellen Wirkstoffe schlossen wir eine Wissenslücke über die Virulenzfaktoren dieser berüchtigten Krankheitserreger. Das bessere Verständnis der molekularen Grundlagen von Rotz und Melioidose bilden die Grundlage für die Entwicklung dringend benötigter Therapeutika zur Bekämpfung dieser schweren Krankheiten.“

Dem Jenaer Team gelang es, in dem weniger krankmachenden Modellorganismus Burkholderia thailandensis ein Gencluster zu aktivieren, das im Erbgut aller Bakterien dieser pathogenen Gruppe vorhanden ist und mit Virulenz verknüpft ist. Die darin enthaltenen Gene kodieren Enzyme, die den Biosyntheseweg von bislang unbekannten Naturstoffen steuern. Als Produkt dieses komplexen Bildungsweges identifizierte die Gruppe die sogenannte Burkholdersäure. Allerdings zeigte die Säure bei Toxizitätstests keine krankmachende Wirkung. Daher suchten die Wissenschaftler*innen nach weiteren Substanzen, deren Biosynthese durch dieses Gencluster codiert wird. Dabei entdeckten sie neue, hoch reaktive Verbindungen, denen sie den Namen Malleicyprole gaben. Das sind reaktive Vorstufen der Burkholdersäure und sowohl für Zellkulturen als auch für den häufig im Labor als Infektionsmodell verwendeten Fadenwurm Caenorhabditis elegans hochtoxisch.

Malleicyprole gehören zur Familie der weit verbreiteten Polyketide. Das Besondere an der chemischen Struktur der Malleicyprole sind Cyclopropanreste, hochgespannte Ringe aus Kohlenstoffatomen. Diese Cyclopropanreste tragen zur Reaktivität  des Moleküls bei.

Der Leibniz-Wirkstoff des Jahres

Jährlich kürt der Leibniz-Forschungsverbund „Wirkstoffe und Biotechnologie“ den Leibniz-Wirkstoff des Jahres. Bereits zum 5. Mal wurden Forscher*innen am Leibniz-HKI mit dieser Auszeichnung gewürdigt.

Originalpublikation

Trottmann F, Franke J, Richter I, Ishida K, Cyrulies M, Dahse HM, Regestein L, Hertweck C (2019) Cyclopropanol warhead in malleicyprol confers virulence of human- and animal-pathogenic Burkholderia species. Angew Chem Int Ed 58(40), 14129-14133.

Das Leibniz-HKI

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.

Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 als Doktoranden.

Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.

Die Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.

Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro.