Multiple Sklerose

Desensibilisierung des Immunsystems als Therapieoption bei MS?

Original Titel:
Effects of ATX-MS-1467 immunotherapy over 16 weeks in relapsing multiple sclerosis

MedWiss – Kann man dem Immunsystem bei Multipler Sklerose beibringen, die körpereigenen Strukturen nicht anzugreifen? Forscher haben untersucht, ob das Prinzip der Desensibilisierung, das bei Allergien eingesetzt wird, auch bei MS helfen könnte.


Bei der Multiplen Sklerose (MS) greift das körpereigene Immunsystem fälschlicherweise die eigenen Nervenzellen an. Das Hauptziel der Angriffe ist dabei ein Eiweiß namens Myelin, dass die Nervenzellen wie eine Schutzhülle umgibt. Ähnlich wie bei einem Kabel schützt es nicht nur die Nervenzellen, sondern trägt auch zu einer reibungslosen Weiterleitung der elektrischen Impulse durch die Nervenzelle bei. Bei den Angriffen des Immunsystems wird diese Myelinschutzschicht und letztlich die Nervenzelle geschädigt und auch die Signalweiterleitung der Nervenzelle wird gestört. Daher kommt es z. B. zu Lähmungen bei Entzündungsschüben.

Prinzip der Behandlung von Allergien soll Immunsystem toleranter machen

Das Prinzip, das das Immunsystem auf eigentlich ungefährliche Stoffe mit einer überschießenden Immunantwort reagiert, kennt man von allergischen Reaktionen. Die Bandbreite reicht von einem unangenehmen Heuschnupfen mit laufender Nase und juckenden Augen bis hin zu einem sogenannten anaphylaktischen Schock, der lebensbedrohlich sein kann. Bei Allergien wird daher versucht, das Immunsystem ‚umzuerziehen‘. Es soll lernen, nicht mehr so heftig auf die Allergieauslöser zu reagieren. Hier spricht man von einer Hyposensibilisierung oder auch Desensibilisierung. Der allergieauslösende Stoff wird als Tablette oder Spritze in kleinsten Mengen verabreicht und dann die Dosis gesteigert. So soll das Immunsystem sich an den Stoff ‚gewöhnen‘. Diese Methode ist bei Allergien durchaus erfolgreich. Könnte man also dem Immunsystem so auch beibringen, die Myelinschicht der Nervenzellen in Ruhe zu lassen?

Zwei Studien mit kleiner Teilnehmerzahl zeigen erste Erfolge

Studienergebnisse zu einem Wirkstoff, der in der Entwicklung ATX-MS-1467 heißt, zeigen zumindest, dass weitere Studien in diese Richtung durchaus sinnvoll sein können. Der Wirkstoff wurde in zwei nun vorgestellten Studien erprobt. Dabei wurde die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit untersucht.

Bei der ersten Studie handelte es sich um eine kleine Phase-Ib- Studie, bei der 43 MS-Patienten mit schubförmigen Verlauf den Wirkstoff erhielten. Hier ging es vor allem um die Sicherheit des Wirkstoffs. Der Wirkstoff wurde entweder in oder unter die Haut gespritzt. Beide Gruppen erhielten das Medikament in einer ansteigenden Dosierung alle zwei Wochen für acht Wochen. Anschließend erhielten sie über acht Wochen im gleichen Rhythmus noch vier Spritzen mit der höchsten Dosis von 800 µg. Anschließend wurden die Teilnehmer der Studie für weitere acht Monate begleitet.

Hier zeigte sich ein nachweislicher Rückgang von neuen oder bestehenden Läsionen während der Behandlungsphase bei der Gruppe, die den Wirkstoff in die Haut gespritzt bekam. Am Ende des Beobachtungszeitraums waren die Werte jedoch wieder wie zu Beginn der Studie.

Bei der zweiten Studie handelte es sich um eine kleine Phase-IIa-Studie, bei der 37 MS-Patienten mit schubförmigen Verlauf den Wirkstoff erhielten. Dieses Mal erhielten alle Studienteilnehmer den Wirkstoff in einer langsam ansteigenden Dosierung über etwas mehr als vier Wochen hinweg, gefolgt von einer Gabe von 800 µg ATX-MS-1467 alle zwei Wochen für vier Monate. Anschließend wurden die Patienten weitere vier Monate beobachtet. Die Wirksamkeit des Wirkstoffs wurde anhand der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie der Teilnehmer und klinischen Faktoren bewertet. Außerdem wurde die Sicherheit von ATX-MS-1467 anhand des Auftretens von Nebenwirkungen und Reaktionen an der Einstichstelle analysiert.

Hier zeigte sich, dass die Anzahl von aktiven Läsionen während der Behandlung nachweislich reduziert wurde und auch bis zum Ende der Studie reduziert blieb. Nebenwirkungen und Reaktionen an der Einstichstelle beschreiben die Studienautoren als unauffällig bei beiden Studien.

Studienautoren wollen weitere Studien durchführen

Die Studienautoren schließen aus den Ergebnissen, dass eine relativ langsame Aufdosierung und eine längere Phase mit der vollen Dosis ATX-MS-1467, die in die Haut verabreicht wird, mit einer Verringerung der aktiven Läsionen einhergeht. Dieser Effekt halte auch nach der Behandlung an. Weitere Studien mit ATX-MS-1467 sehen sie daher als gerechtfertigt an.

Damit ist ATX-MS-1467 ein interessanter Wirkstoffkandidat für die Behandlung von Multipler Sklerose, der statt der Unterdrückung des Immunsystems eine ‚Umprogrammierung‘ des Immunsystems zum Ziel hat. Dies ist ein neuer vielversprechender Ansatz, weitere Untersuchungen müssen nun aber zunächst zeigen, dass der Wirkstoff sich auch in weiteren größeren und längeren Studien als wirksam und sicher erweist.

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