COVID-19 / Erkrankung

Pyridostigmin senkt Todesrate bei schwerem COVID-19

Original Titel:
Pyridostigmine reduces mortality of patients with severe SARS-CoV-2 infection: A phase 2/3 randomized controlled trial

 
Kurz & fundiert
  • Schweres COVID-19 meist mit starken Entzündungsprozessen
  • Körpereigenes Acetylcholin dämpft systemische Inflammation, Pyridostigmin verlängert Halbwertszeit
  • Placebo-kontrollierte, randomisierte Studie der Phase 2/3
  • 188 Patienten mit schwerem COVID-19
  • Signifikante Reduktion der Todesfälle bis Tag 28 mit Pyridostigmin
  MedWiss – Die Ergebnisse dieser randomisiert-kontrollierten Studie mit 188 Patienten mit schwerem COVID-19 zeigen einen Behandlungsvorteil mit ergänzendem Pyridostigmin. Mit dem Wirkstoff, der bereits bei der Erkrankung Myasthenia gravis bekannt ist und die körpereigene Dämpfung systemischer Inflammation fördert, konnte das Risiko, bis Tag 28 zu versterben, mehr als halbiert werden.
Kommt es bei COVID-19 nach Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu einem Atemwegsversagen, ist dies typischerweise mit sehr starken Entzündungsprozessen im Körper assoziiert. Acetylcholin reduzierte in experimentellen Infektionen (Laborstudien) mit Bakterien oder Viren die systemische Inflammation. Der Wirkstoff Pyridostigmin erhöht die Halbwertszeit von körpereigenem Acetylcholin und verlängert so seine Wirkzeit. Dies kann möglicherweise dazu beitragen, systemische Inflammation zu dämpfen. Pyridostigmin wird bereits zur Behandlung bei der Erkrankung Myasthenia gravis und als Präexpositions-Prophylaxe bei Nervengift-Vergiftungen eingesetzt, ist also als Medikament bei Menschen bereits bekannt. Die vorliegende Studie untersuchte nun, ob Pyridostigmin bei Erwachsenen mit schwerem COVID-19 das Risiko für eine invasive mechanische Beatmung oder Tod reduzieren könnte.

Körpereigenes Acetylcholin dämpft systemische Inflammation, Pyridostigmin verlängert Wirkung

Die Studie der Phase 2/3 wurde doppelblind und Placebo-kontrolliert durchgeführt. Erwachsene Patienten, die mit schwerem COVID-19 ohne Bedarf für eine invasive mechanische Beatmung im Krankenhaus aufgenommen wurden, erhielten entweder orales Pyridostigmin (60 mg/Tag) oder ein Placebo als ergänzende Therapie. Welchen Effekt die ergänzende Therapie hatte, ermittelten die Autoren anhand des zusammengefassten Risikos für invasive mechanische Beatmung oder Tod bis Tag 28 (primärer Endpunkt). Sekundäre Endpunkte waren eine Reduktion von Entzündungsmarkern und zirkulierenden Zytokine sowie die Sterblichkeit innerhalb von 90 Tagen. Zusätzlich wurden unerwünschte Ereignisse in Bezug zum ergänzenden Wirkstoff dokumentiert und beschrieben.

Randomisiert-kontrollierte Studie: Sterberate bei schwerem COVID-19 senken mit Pyridostigmin?

Insgesamt nahmen 188 Patienten, 94 je Behandlungsgruppe, im durchschnittlichen Alter von 52 Jahren, an der Studie teil. 112 Patienten (59,6 %) waren Männer. Die häufigsten Vorerkrankungen der Patienten waren Diabetes und Bluthochdruck. Patienten in der Pyridostigmin-Gruppe hatten im Schnitt einen höheren BMI (body mass index; BMI 30,1 vs. 28 in der Placebo-Gruppe) und höhere Lymphozytenzahlen (856,7 vs. 695,5 in der Placebo-Gruppe). Sämtliche Patienten waren schwer an COVID-19 erkrankt, litten unter Sauerstoffmangel und erhielten ergänzend Sauerstoff im Rahmen der stationären Behandlung. Im Durchschnitt (Median) wurden die Patienten 10 Tage nach Symptombeginn sowie 2 Tage nach Aufnahme ins Krankenhaus zufällig einer Behandlungsgruppe zugewiesen. 148 Patienten (78,7 %) erhielten Dexamethason (73 in der Pyridostigmin-Gruppe, 75 in der Placebo-Gruppe). 11 Teilnehmer (5 mit Pyridostigmin, 5 mit Placebo) wurden mit Tocilizumab behandelt. Der primäre Endpunkt (invasive mechanische Beatmung oder Tod bis Tag 28) trat bei 22 Patienten (23,4 %) in der Placebo-Gruppe ein, verglichen zu 11 Patienten (11,7 %) in der Pyridostigmin-Gruppe (Hazard Ratio, HR: 0.47; 95 % Konfidenzintervall, KI: 0,24 – 0,9; p = 0,03). Dieser Effekt wurde wesentlich durch eine Reduzierung der Sterblichkeit in der Pyridostigmin-Gruppe dominiert. In der Pyridostigmin-Gruppe verstarben 8 Personen bis Tag 28, in der Placebogruppe kam es hingegen zu 19 Todesfällen (HR: 0,39; 95 % KI: 0,18 – 0,83). Die Studie wurde aufgrund der signifikanten Reduktion der Todesfälle durch die Behandlung und wegen zunehmender Rekrutierungs-Schwierigkeiten vorzeitig beendet.

Signifikante Reduktion der Todesfälle mit Pyridostigmin

Die Ergebnisse dieser randomisiert-kontrollierten Studie zeigen einen Behandlungsvorteil mit Pyridostigmin, das zur Standardbehandlung bei schwerem COVID-19 hinzugefügt wird. Mit dem Wirkstoff konnte das Risiko, bis Tag 28 zu versterben, mehr als halbiert werden. [DOI: 10.1186/s10020-022-00553-x]

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