Von Alzheimer bis Neutrinophysik: Sommeruniversität 2023 stellt aktuelle Forschung vor

Veranstaltungsreihe von Universität und Universitätsstadt Tübingen: Zehn Vorträge thematisieren unter anderem Astrophysik, Gesundheit, Künstliche Intelligenz oder Literatur aus Krisengebieten

Im August gibt die Sommeruniversität in zehn Vorlesungen wieder einem breiten Publikum Einblicke in die aktuelle Forschung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Reihe wird gemeinsam mit der Universitätsstadt Tübingen organisiert. Die Vorlesungen finden von Montag, 31. Juli bis Freitag, 11. August jeweils um 10:15 Uhr im Hörsaal des Theologicums statt (Dauer 45 Minuten; Adresse: Liebermeisterstraße 16, 72074 Tübingen). Anschließend kann das Publikum Fragen stellen und mit den Expertinnen und Experten über ihre Forschungsthemen diskutieren. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht notwendig. Das Programm:

Montag, 31. Juli
Prof. Dr. Mathias Jucker:
Wieso wir noch keine Alzheimer-Therapie haben
Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, erhöht sich mit zunehmendem Alter. Heute wissen wir, dass es Veränderungen im Hirn schon viele Jahre vor den ersten Alzheimer-Symptomen gibt. Was sind dies für Veränderungen und ist es wichtig solche Veränderungen schon frühzeitig zu erkennen? In den USA wurden erste Medikamente, die den Verlauf der Erkrankung verlangsamen, zugelassen, aber gilt das auch für Deutschland? Die Vorlesung macht Sie mit der aktuellen Forschung und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu der Alzheimer-Erkrankung vertraut.

Dienstag, 1. August
Dr. Thilo Hagendorff:
Können Sprachmodelle denken?
Der Vortag wirft einen Blick auf die neuesten Entwicklungen bei Sprachmodellen und de-ren Fähigkeiten. Von einigen als bloße Wortkombinationsmaschinen oder „stochastische Papageien“ abgetan, sind Sprachmodelle wie GPT-4 mehr als nur das. Sie entwickeln emergente Fähigkeiten, zu denen etwa zählt, rechnen zu können, aus Beispielen zu lernen, funktionierenden Code zu schreiben, Zusammenfassungen zu bilden, Witze zu erklären, Logik zu verstehen, intuitive Entscheidungen zu treffen, mehrere Problemlösungsschritte aneinanderreihen zu können, auf mentale Zustände bei anderen schließen zu können und vieles mehr. Der Vortrag beschreibt diese Fähigkeiten und geht der Frage nach, wie intelligent Sprachmodelle tatsächlich sind.

Mittwoch, 2. August
Prof. Dr. Benigna Schönhagen:
Erinnern gestalten. Konzeptionelle Überlegungen und kuratorische Erfahrungen mit der aktuellen Ausstellung „Entgrenzte Anatomie. Eine Tübinger Wissenschaft und der Nationalsozialismus“
Die Frage, wie die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit nach dem Ende der Zeitzeugenära wachgehalten werden kann, dominiert den aktuellen Erinnerungsdiskurs. Wie kann man das Wissen um die NS-Vergangenheit produktiv vergegenwärtigen? Studierende der Medizin und der Geschichtswissenschaft haben sich mit dieser Frage am Beispiel der Tübinger Anatomie auseinandergesetzt. Zwischen 1933 und 1945 missbrauchte diese die Körper hunderter NS-Opfer für Lehre und Forschung. Was hat diese Grenzüberschreitung ermöglicht? Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen? Was wirkt bis heute nach?

Donnerstag, 3. August
Prof. Dr. med. Markus Hahn:
Die weibliche Brust – ein besonderes Organ: Fakten und Mythen zum Thema Brustgesundheit
Nur wenige Organe erhalten so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wie die weibliche Brust. Viele Fachdisziplinen unserer modernen Hochleistungsmedizin kümmern sich um dieses besondere Organ. Das Universitäts-Brustzentrum Tübingen ist das erste zertifizierte Brustzentrum in Deutschland und feiert 2023 sein 20jähriges Jubiläum. Markus Hahn, Leiter der Experimentellen Senologie (=die Lehre von der Brust), wird auf Fakten zum Thema Brustgesundheit aber auch auf Mythen um dieses Organ eingehen und Innovationen aus der klinischen Forschung des Tübinger Brustzentrums vorstellen.

Freitag, 4. August
Prof. Dr. Christoph Bareither:
Kulturen der KI: Wie künstliche Intelligenz unser Zusammenleben verändert
Künstliche Intelligenz, so liest man überall, wird unseren Alltag verändern. Aber wie verändert sie ihn konkret? Der Vortrag beleuchtet anhand von Beispielen aus Populärkulturen (Social Media), Erinnerungskulturen (virtuelle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen) und Wissenschaftskulturen (ChatGPT und die Wissenschaft) exemplarische KI-bedingte Transformationen von Alltagskultur aus Perspektive der Empirischen Kulturwissenschaft.

Montag, 7. August
Prof. Dr. Schamma Schahadat:
Neu aus dem Osten: Literatur aus der Ukraine und aus Belarus
„Die Kenntnis der weißrussischen Literatur außerhalb der Sowjetunion ist gering“, schrieb der Slavist Ferdinand Neureiter 1983, und dieser Zustand hat sich bis heute kaum geändert. Ähnliches galt im Übrigen bis vor kurzem auch für die ukrainische Literatur. Politische Erschütterungen haben dafür gesorgt, dass sowohl die belarusische als auch die ukrainische Literatur einen Popularitätsschub erlebt haben. Anhand zweier Romane wird gezeigt, dass ein zentrales Thema dieser Literatur die Gewalt ist: Der Belaruse Viktor Martynowytsch zeichnet in Revolution (dt. 2021) das Bild einer Gesellschaft, die auf Korruption und Machtmissbrauch beruht, während Serhii Zhadans Internat (2017) den Blick eines Außenseiters auf den Krieg im Donbas wirft.

Dienstag, 8. August
Prof. Dr. Gunter Schubert:
China unter Xi Jinping – oder vom Traum, ein reiches und großes Land zu werden
Seit Xi Jinping 2012 die Macht in China übernahm, hat sich vieles verändert, in China wie auch weltweit. In der medialen Öffentlichkeit des „Westens“ wird der Staats- und Parteiführer als Diktator gehandelt, der China mit harter Hand regiert und einen Personenkult pflegt wie seinerzeit Mao Zedong. Zudem gilt er als Befürworter einer neuen Weltordnung, in der China eine Führungsrolle wahrnehmen und die USA als „einzige Supermacht“ ablösen will. Diese Zuschreibungen zeichnen jedoch ein zu grobes, wenn nicht gar verzerrtes Bild von Xi Jinping. Welche Ziele verfolgt er politisch? Welche Probleme und Zwänge begrenzen seine Handlungsfähigkeit? Worin unterscheidet sich sein Handeln und seine Macht von anderen Autokraten – etwa in Russland unter Putin? Der Vortrag verbindet eine Analyse des Herrschaftsstils von Xi Jinping mit einer Betrachtung der politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, denen sich das heutige China gegenübersieht.

Mittwoch, 9. August
Prof. Dr. med. Tobias Renner:
Into future? – Therapie psychischer Erkrankungen über digitale Medien
Durch die Entwicklungen in der digitalen Technik sind telemedizinische Versorgungsangebote zu einem Schwerpunktthema der Gesundheitsversorgung geworden, nicht zuletzt rasant beschleunigt aufgrund der Kontaktbeschränkungen während der SARS-CoV-2-Pandemie. Telemedizinische Behandlungsansätze bieten auch für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen Chancen und finden zuneh-mend breitere Anwendung in der klinischen Praxis. Im Rahmen der Vorlesung wird der aktuelle Stand aus Klinik und Forschung zusammengefasst und ein Einblick in die aktuelle Entwicklung der digital gestützten Psychotherapie gegeben.

Donnerstag, 10. August
Prof. Dr. Tobias Lachenmaier:
Ein Observatorium 700m unter der Erde: Neues aus Neutrinophysik und Neutri-noastronomie
Neutrinos sind Elementarteilchen, deren Erforschung in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. Unter Beteiligung der Universität Tübingen wird im nächsten Jahr ein neues Neutrino-Experiment im Süden Chinas in Betrieb gehen, das neben der Erforschung der Eigenschaften von Neutrinos auch Astronomie mit Neutrinos ermöglichen wird. Was werden wir voraussichtlich aus der Beobachtung astrophysikalischer Prozesse mit Neutrinos lernen können? Der Vortrag erläutert aktuelle Fragen in der Neutrinophysik und Neutrinoastronomie und welche Erkenntnisse vom neuen Neutrino-Observatorium zu erwarten sind.

Freitag, 11. August
Prof. Dr. Stephanie Grond:
Die Natur der Mikroorganismen – clevere Chemikerin mit Alternative für Glyphosat?
Mikrobielle Naturstoffe sind eine vielversprechende Quelle zur Entdeckung neuer chemischer Strukturen. Sie erfordern den Einsatz moderner chemischer Analytik. Die produzierten Moleküle verschaffen den Mikroorganismen in ihrem Lebensraum offensichtlich einen Vorteil. Wir staunen, wie clever die Natur die erfolgreichen Lebensgemeinschaften eingerichtet hat – auf molekularer Ebene. Der Vortrag zeigt, mit welchen Forschungsmethoden die Moleküle aus den Bakterien entdeckt und weiterentwickelt werden. Wir Menschen wollen hier die Chemie der Natur als Vorbild für Innovationen in technischen Anwendungen der Medizin, Landwirtschaft oder Materialtechnik nutzen.

Programm unter www.uni-tuebingen.de/de/39634 und als Programmheft erhältlich in öffentlichen Stellen und beim Fachbereich Kunst und Kultur der Universitätsstadt Tübingen.
Die Sommeruniversität wird seit 2004 gemeinsam von der Universitätsstadt Tübingen und der Universität Tübingen veranstaltet.