Adipositas: neue Ära bei der Therapie durch Abnehmspritzen

8. Deutsche Hormonwoche: Online-Pressekonferenz am 20. September 2023, 11 bis 12 Uhr

DGE fordert trotzdem deutlich mehr Prävention

Altdorf Auch in Zeiten von Body Positivity bleibt starkes Übergewicht, – Adipositas -, eine Erkrankung mit deutlicher Einschränkung von Lebensqualität, Gesundheit und Lebenserwartung. Während herkömmliche Maßnahmen wie Diäten und Sport mühsam und oft nicht von Erfolg gekrönt sind, versprechen die neuen, zum Abnehmen in Deutschland zugelassenen Diätspritzen großen Gewichtsverlust ohne viel Aufwand. Die Behandlung mit den sogenannten Inkretinmimetika wie GLP1-Rezeptor-Agonisten führt nicht nur zu einer substantiellen Gewichtsreduktion, sie steigert auch die Gesundheit durch Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit (1). Trotz der Erfolgsgeschichte dieser Substanzgruppe müsse parallel die Prävention von Adipositas dringendst vorangetrieben werden, fordert die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) im Vorfeld ihrer Online-Pressekonferenz zur 8. Hormonwoche am 20. September 2023. Es gelte, die immer weitere Verbreitung der chronischen Erkrankung zu stoppen. Die Behandlung mit Semaglutid und andere Inkretinmimetika wie die sogenannten Polyagonist Drugs ist ein Thema auf der Online-Pressekonferenz. Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/5275931112272449622

Jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist übergewichtig. Zwei von zehn Erwachsenen sind adipös (2). Weltweit soll die Zahl von Adipösen von 14 Prozent im Jahr 2020 auf 24 Prozent im Jahr 2030 ansteigen (3). Adipositas gilt als chronische Erkrankung, die lebenslanger Disziplin bedarf, wenn sie einmal aufgetreten ist. Sie erhöht das Risiko für Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen, Nierenschäden und Krebs (4, 5). „Menschen, die in ihren Zwanzigern adipös sind, weisen im Vergleich zu Normalgewichtigen eine um 6 bis 10 Jahre erniedrigte Lebenserwartung auf (6)“, sagt Professorin Dr. med. Susanne Reger-Tan, Leiterin des Diabetes Exzellenz Zentrums an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen.

Neben einer den Kalorienbedarf übersteigenden Nahrungsaufnahme und einem überwiegend inaktiven Lebensstil beeinflussen auch die Gene, in welchem Ausmaß der Körper auf ein dickmachendes Umfeld reagiert (7).

Adipositasmedikamente können ein, zwei oder drei Inkretine nachahmen und sind dadurch unterschiedlich wirksam

Die neuen Inkretinmimetika, in den Medien oft als „Abnehmspritzen“ bezeichnet, bieten hier eine scheinbar einfache Lösung, „Abnehmen ohne quälendes Hungergefühl“, sagt Reger-Tan: Sie ahmen körpereigene Hormone des Magen-Darm-Traktes nach, die satt machen, die Fettverbrennung steigern und intensiv die Insulinausschüttung anregen (8, 9). Zu den Inkretinanaloga gehören das Glucagon-like Peptide-1 (GLP1), Glucose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) oder Glucagon (GCC).

„Adipositasmedikamente können ein, zwei oder drei Inkretine in einem Molekül nachbilden und sind dadurch unterschiedlich stark wirksam.“

Eine Behandlung mit Inkretinanaloga führt bei Menschen mit Adipositas zu einer substantiellen Gewichtsreduktion in der Größenordnung von minus 15 Prozent mit dem Wirkstoff Semaglutid, minus 21 Prozent mit Tirzepatid und 24 Prozent weniger unter Retratutide (10-13). Orforglipron bewirkt eine Gewichtsreduktion von 13 Prozent (14).

Kein Life-Style-Medikament

„Dieser neue Wirkstoffansatz ist nach jetzigem Wissensstand wirklich ein Gamechanger bei der Therapie der Adipositas“, sagt die Endokrinologin und Diabetologin. Dennoch handle es sich um einen Eingriff in den Organismus. Deshalb betont sie: „Der Einsatz sollte nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Analyse im Rahmen der Indikationen, für die diese Substanzen zugelassen sind, erfolgen, und von einer multimodalen Basistherapie begleitet werden, um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen“. Da auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten können, sollte die Anwendung von Ärztinnen und Ärzten begleitet werden, hebt sie hervor.

Prävention von Adipositas statt lebenslang Medikamente einzunehmen ist die bessere Option

„Adipositas ist als ernstzunehmende Erkrankung zu werten. Insofern begrüßen wir diese wirkungsvolle Behandlungsoption“, sagt DGE-Pressesprecher Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg. Leider würden die Kosten bisher nicht von den gesetzlichen Kassen übernommen. „Dabei könnten die neuen Therapien auch helfen, die hohen Aufwendungen für die Begleiterkrankungen wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislaufprobleme zu senken“, ergänzt Professor Dr. Jan Tuckermann, Präsident der DGE.

Doch trotz der Behandlungsfortschritte betont Petersenn: „Die Prävention von Adipositas muss künftig eine viel größere Rolle spielen, denn die lebenslange Einnahme von Medikamenten ist die deutlich schlechtere Option“. Hier sei klar die Gesundheitspolitik am Zug.

Die Wirkmechanismen von Adipositas im Körper, warum Abnehmen so schwierig ist und die neuen Abnehmmedikamente sind Thema auf der Online-Pressekonferenz der DGE am 20. September 2023. Die Expertin gibt auch einen Ausblick, welche weiteren medikamentösen Therapieoptionen in den nächsten Jahren zu erwarten sind.

Quellen:

  1. Hanssen R, Rigoux L, Kuzmanovic B, Iglesias S, Kretschmer AC, Schlamann M, Albus K, et al. Liraglutide restores impaired associative learning in individuals with obesity. Nat Metab 2023.
  2. Schienkiewitz A, Kuhnert R, Blume M, Mensink GBM. Overweight and obesity among adults in Germany – Results from GEDA 2019/2020-EHIS. J Health Monit 2022;7:21-28.
  3. Lobstein T J-LR, Powis J; Brinsden H, Gray M. Word Obesity Atlas 2023. In; 2023.
  4. Collaborators GBDO, Afshin A, Forouzanfar MH, Reitsma MB, Sur P, Estep K, Lee A, et al. Health Effects of Overweight and Obesity in 195 Countries over 25 Years. N Engl J Med 2017;377:13-27.
  5. Pearson-Stuttard J, Zhou B, Kontis V, Bentham J, Gunter MJ, Ezzati M. Worldwide burden of cancer attributable to diabetes and high body-mass index: a comparative risk assessment. Lancet Diabetes Endocrinol 2018;6:e6-e15.
  6. Lung T, Jan S, Tan EJ, Killedar A, Hayes A. Impact of overweight, obesity and severe obesity on life expectancy of Australian adults. Int J Obes (Lond) 2019;43:782-789.
  7. Bluher M. Obesity: global epidemiology and pathogenesis. Nat Rev Endocrinol 2019;15:288-298.
  8. Nogueiras R, Nauck MA, Tschop MH. Gut hormone co-agonists for the treatment of obesity: from bench to bedside. Nat Metab 2023;5:933-944.
  9. Ussher JR, Drucker DJ. Glucagon-like peptide 1 receptor agonists: cardiovascular benefits and mechanisms of action. Nat Rev Cardiol 2023;20:463-474.
  10. Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, Davies M, Van Gaal LF, Lingvay I, McGowan BM, et al. Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. N Engl J Med 2021;384:989-1002.
  11. Garvey WT, Batterham RL, Bhatta M, Buscemi S, Christensen LN, Frias JP, Jodar E, et al. Two-year effects of semaglutide in adults with overweight or obesity: the STEP 5 trial. Nat Med 2022;28:2083-2091.
  12. Jastreboff AM, Aronne LJ, Ahmad NN, Wharton S, Connery L, Alves B, Kiyosue A, et al. Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med 2022;387:205-216.
  13. Jastreboff AM, Kaplan LM, Frias JP, Wu Q, Du Y, Gurbuz S, Coskun T, et al. Triple-Hormone-Receptor Agonist Retatrutide for Obesity – A Phase 2 Trial. N Engl J Med 2023;389:514-526
  14. Wharton S, Blevins T, Connery L, Rosenstock J, Raha S, Liu R, Ma X, et al. Daily Oral GLP-1 Receptor Agonist Orforglipron for Adults with Obesity. N Engl J Med 2023.

Interessenkonflikte:

Frau Professor Reger-Tan gibt folgende Interessenkonflikte an: Referententätigkeit: Abbott, Bayer, Berlin-Chemie, Boehringer-Ingelheim, Chugai, Eli Lilly, Merck Serono, Nova Biomedical, Novo Nordisk, Sanofi Aventis. Beratertätigkeit: Abbott, Boehringer-Ingelheim, Novo Nordisk, Sanofi Aventis. Forschungsunterstützung: Abbott, Apo Science, Dexcom, Hoffmann-La Roche, Novartis, Novo Nordisk.

Professor Petersenn und Professor Tuckermann geben keine Interessenkonflikte an.

Terminhinweis und Einladung:

Online-Pressekonferenz
anlässlich der Deutschen Hormonwoche (23. bis 30. September 2023) der
Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE)

Termin: Mittwoch, 20. September 2023, 11.00 bis 12.00 Uhr
Ort: Video-Konferenz
Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/5275931112272449622

Vorläufiges Programm:

Kurze Einführung zur DGE-Hormonwoche
Professor Dr. rer. nat. Jan P. Tuckermann
Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere an der Universität Ulm, Vizepräsident der DGE und Organisator der Hormonwoche

Schilddrüse: Wann sind erhöhte TSH-Werte therapiebedürftig?
Prof. Dr. med. Joachim Feldkamp, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie/Diabetologie
Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie am Klinikum Bielefeld Mitte

Adipositas-Therapie mit Fettweg-Spritzen und -Tabletten: Beginn einer neuen Ära bei der Behandlung?
Prof. Dr. med. Susanne Reger-Tan, Oberärztin, Leiterin des Diabetes Exzellenz Zentrums, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Diabeteszentrum DDG, Zentrallabor – Bereich Forschung, Universitätsklinikum Essen 

Eine Autoimmunerkrankung kommt selten allein: polyglanduläre Insuffizienz
Professor Dr. med. Karsten Müssig, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken

Der alternde Mann: Wenn die Libido nachlässt – was muss untersucht werden?
Prof. Dr. med. Stephan Petersenn, ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie, Hamburg,
Pressesprecher der DGE

Moderation: Dr. Adelheid Liebendörfer, Pressestelle DGE