Weizen-reiche Diät schadet im Tiermodell der Multiplen Sklerose

Original Titel:
Dietary wheat amylase trypsin inhibitors exacerbate CNS inflammation in experimental multiple sclerosis.

Kurz & fundiert
  • Weizen: Wichtiges Nahrungsmittel – aber auch gesund?
  • Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATI) natürliche Abwehrstoffe in Weizen
  • Effekte der Weizeninhaltsstoffe ATI im Tiermodell der Multiplen Sklerose?
  • Mäuse mit experimenteller Autoimmun-Enzephalitis (EAE)
  • Ernährung mit wenig oder viel Gluten, sowie wenig oder viel ATI
  • Gluten ohne Effekt auf EAE
  • ATI Dosis-abhängig entzündungsfördernd, mit schwererem Krankheitsbild bei hoher ATI-Dosis
  MedWiss Pflanzen produzieren Inhaltsstoffe zum Schutz beispielsweise vor bakteriellen Angriffen. Weizen bildet Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATI), die Dosis-abhängig entzündungsfördernd auf Darm und Immunsystem einwirken, wie sich im Tiermodell der Multiplen Sklerose zeigte.
Weizen ist weltweit eines der wichtigsten Nahrungsmittel und ist in Form von Brot, Zutaten zum Müsli, süßem oder herzhaften Gebäck und Snacks, Pizza und Pasta in aller Munde. Während das Weizenprotein Gluten bereits länger im Kontext von Nahrungsmittelunverträglichkeiten bekannt ist, sind die Effekte anderer Inhaltsstoffe von Weizen der Allgemeinheit weniger gut bekannt. Weizen, wie alle Pflanzen, produziert Inhaltsstoffe zum Schutz beispielsweise vor bakteriellen Angriffen. Die Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATI) stellen eine solche natürliche Abwehr dar und kommen in Weizen vor, finden sich aber auch in anderen Saatenpflanzen wie Gerste, Roggen, Mais und Reis. Sie sind bislang vor allem als Allergene bekannt, die das Bäcker-Asthma auslösen. Mittlerweile werden sie aber auch als relevant für Gluten-unabhängige Weizen-Unverträglichkeiten diskutiert (Geisslitz et al., 2022 in Eur J Nutr veröffentlicht).

Weizen: Wichtiges Nahrungsmittel – aber auch gesund?

ATI haben entzündungsfördernde Effekte und können inflammatorische Prozesse im Darm auslösen oder befeuern, einerseits vermittelt durch Immunzellen, andererseits durch direkte Interaktionen mit dem Mikrobiom. Diesem Prozess wird eine mögliche Rolle bei Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose (MS) zugeschrieben. Wissenschaftler in Mainz untersuchten nun den Effekt von Weizen-ATI auf die Immunreaktion von Darmzellen und wie sich dies auf ein experimentelles Modell der MS auswirkt.

Weizeninhaltsstoffe ATI im Tiermodell der Multiplen Sklerose

Die Studie wurde mit Mäusen durchgeführt, die an einer im Labor ausgelösten, experimentellen Autoimmun-Enzephalitis (EAE) litten und dadurch eine Reihe zur MS vergleichbarer Symptome entwickelten. Die Labortiere erhielten eine standardisierte Ernährung, die mit definierten Mengen an Gluten und ATI angereichert wurde:
  • Ohne-ATI-Gruppe: 0 % Gluten, 0 % ATI
  • Mittlere-ATI-Gruppe: 25 % Gluten, 0,75 % ATI
  • Niedrige-ATI-Gruppe: 25 % Gluten, 0,19 % ATI
  • Hohe-ATI-Gruppe (Gluten-frei): 0 % Gluten, 1,5 % ATI

Ernährung mit wenig oder viel Gluten, wenig oder viel ATI

Die Mengen der mittleren ATI-Gruppe entsprechen, so die Autoren, dem durchschnittlichen Gehalt an ATI der typischen westlichen Ernährung mit 0,7 – 1,5 g ATI pro Person und Tag, die mittlere und niedrige ATI-Gruppe entsprechen der durchschnittlich aufgenommenen Gluten-Menge mit 15 – 20 g Gluten pro Person und Tag. Die Wissenschaftler analysierten den Schweregrad der EAE je nach Ernährung sowie Effekte auf Immunprozesse in Darm und Nervensystem. Zudem verglichen sie diese Ergebnisse mit Effekten von ATI auf Immunzellen, die aus dem Blut von MS-Patienten und gesunden Kontrollpersonen gewonnen worden waren. Der ATI-Gehalt der Ernährung wirkte sich Dosis-abhängig auf den klinischen Schweregrad der EAE aus – mit schwereren Erkrankungen bei Mäusen, die große Mengen an ATI erhielten. Dies galt auch im Vergleich zu Mäusen, die hohe Mengen Gluten aufnahmen. Dieser Effekt auf das Krankheitsbild ging mit einer höheren Zahl und Aktivierung von entzündungsfördernden Immunzellen in Darm, Lymphknoten und im zentralen Nervensystem einher. Gluten allein bewirkte hingegen keine stärkere Inflammation des zentralen Nervensystems. Die Wissenschaftler zeigten vergleichbar aktivierende Effekte von ATI auch bei Immunzellen der Patienten mit MS sowie der gesunden Kontrollpersonen. Diese Zellen produzierten infolge der Aktivierung eine Reihe inflammatorischer Botenstoffe, wie Interleukine IL-6 und IL-8 sowie TNF-alpha.

Weizeninhaltsstoffe ATI, nicht Gluten, verstärken experimentelles Modell der MS

Gluten selbst hatte demnach keinen Einfluss auf das MS-Modell, die natürlichen Abwehrstoffe aus Weizen ATI hingegen schon. Der Effekt der ATI war Dosis-abhängig. Eine niedrigere Einnahme von ATI-reichen Nahrungsmitteln, wie Weizen, könnte demnach womöglich einen positiven Effekt auf entzündliche Prozesse im Rahmen der MS haben, legen die Studiendaten im Tiermodell nahe.
 

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