Adipositas-Problem im ländlichen Raum: Herausforderungen und Lösungsansätze

Adipositas ist eine ernstzunehmende chronische Krankheit mit erheblichen gesundheitlichen Risiken. Im ländlichen Raum ist die Versorgung von Menschen mit Adipositas besonders problematisch. Annika Wagner und Lennart Gretschel, zwei Doktoranden am Zentrum für Versorgungsforschung (ZVF-BB) Brandenburg der MHB, stellten gemeinsam mit Dr. Stefan Reinsch, ebenfalls vom ZFV-BB, ihre Arbeit zum Thema auf dem internationalen Workshop „Liberation medicine – past present and future“ des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung und der Universität-Halle-Wittenberg vor. Auslöser für ihre Arbeit mit dem Titel „Erfahrungen mit Adipositas im ländlichen Raum“ ist der Kontrast zwischen der geringen Bedeutung der Adipositas-Thematik im Studium und ihrer immensen gesellschaftlichen Relevanz, sagt Lennart Gretschel.

Fettleibigkeit, auch Adipositas genannt, ist weit mehr als nur ein paar Kilogramm zu viel. Es handelt sich um eine ernstzunehmende chronische Krankheit, die mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Die Folgen von starkem Übergewicht sind vielfältig und reichen von verminderter Lebensqualität bis hin zu einem stark erhöhten Risiko für Folgeerkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Neben den körperlichen Beeinträchtigungen leiden von Adipositas betroffene Menschen oft auch unter sozialer Stigmatisierung. Sie werden ausgegrenzt, diskriminiert und erleben Vorurteile in allen Lebensbereichen, von der Schule über den Arbeitsplatz bis hin zu Freizeitaktivitäten. Diese soziale Ausgrenzung kann zu Schamgefühlen, Depressionen und Angststörungen führen und die Betroffenen zusätzlich in ihrer Lebensqualität einschränken.

Brandenburg hat eine der höchsten Prävalenzen der Adipositas in Deutschland. In den stark ländlichen Gebieten wie dem Oderbruch oder der Prignitz sind Allgemeinmediziner:innen häufig die einzigen Ansprechpartner:innen vor Ort. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben wir dort insgesamt 32 Ärzt:innen und ihren Patient:innen interviewt. Unser Ziel ist es, zu verstehen, was die Besonderheiten des ländlichen Raumes sind und wie hier die Gesundheitsversorgung für Menschen mit Adipositas aussehen müsste“, erklärt Lennart Gretschel.

„Adipositas ist trotz der Sichtbarkeit und der Stigmatisierung vielleicht eine der am meisten übersehenen Krankheiten“, erklärt der Projektleiter Dr. Stefan Reinsch. „Die Situation im ländlichen Raum – Ausdünnung der Versorgungsinfrastruktur in Folge der Wende, und ein Fortbestehen sozialer Praktiken wie fleischlastiger Ernährung – machen das Hinsehen und Verstehen der Lebensumstände der Menschen hier besonders wichtig.“

„Gleichzeitig hat die Forschung auch etwas mit uns gemacht. Sie hat nicht nur meine Einstellung zu Menschen mit Adipositas verändert, sondern auch meine Erwartungen an mich haben sich verändert. Ich möchte den Patienten mit Adipositas später als Hausärztin wertfrei und offen gegenübertreten – egal wie schwer es ist. Ich möchte da Hilfe anbieten, wo die Patienten es benötigen und auch der Lebensrealität außerhalb der Praxisräume einen Platz geben“, ergänzt Annika Wagner.

Bei dem Workshop an der Uni Halle-Wittenberg präsentierten Annika Wagner und Lennart Gretschel den Inhalt ihres Artikels, der sich zusammengefasst um Lebenswelten von Ärzten, Patienten und Menschen vor dem Hintergrund ländlicher Gegebenheiten, Besonderheiten, Kultur und der Wende 1990 und deren Folgen in den ländlichen Gebieten der neuen Bundesländer beschäftigt.

Bleibt die Frage, welche Maßnahmen aus ihrer Sicht und den Ergebnissen ihrer Befragung helfen können, um die Gesundheitsversorgung für Menschen mit Fettleibigkeit im ländlichen Raum verbessern können? „Das Zusammenspiel zwischen Arzt und Patient ist wichtig. Aber es kann schwierig sein, weil beide unterschiedliche Hintergründe haben. Missverständnisse und Kommunikationsprobleme können durch Fachbegriffe, unklare Symptome, Zeitmangel oder emotionale Befindlichkeit entstehen. Um die Kommunikation zu verbessern, sollten Arzt und Patient einander respektieren und offen für die Bedürfnisse und Hinweise des anderen sein. Der Arzt sollte für Nicht-Mediziner verständlich sprechen, der Patient Fragen stellen. Beide sollten sich der Einflussfaktoren auf die Kommunikation bewusst sein sowie bei Missverständnissen geduldig und verständnisvoll miteinander umgehen“, sagt Lennart Gretschel.

Hinsichtlich der Veranstaltung, bei der Forscher:innen und Praktiker:innen aus den Bereichen Anthropologie, Public Health, Medizin, Psychotherapie und verwandten Disziplinen zusammenkamen, fasst er zusammen: „Natürlich hat es etwas Überwindung gekostet, aber letztlich war es eine tolle Chance und Erfahrung, mit internationalen Wissenschaftlern aus verschiedensten Feldern in Kontakt zu treten, sich auszutauschen und unsere Ergebnisse einem so großen Publikum zugänglich zu machen.“ Und Annika Wagner führt weiter aus: „Wir haben nicht nur tolles Feedback bekommen und spannende Kontakte geknüpft, sondern durften nun noch tiefer in die Welt der Forschung und Sozialwissenschaften eintauchen.“

Auch Prof. Stephan Gretschel, Sprechern der IAG Adipositas/Metabolisches Syndrom in einer alternden Gesellschaft, sagt: „Ich freue mich natürlich sehr und bin stolz, dass Promovenden der MHB bei einem Workshop des Max-Planck-Instituts und der Universität Halle mit dem Eröffnungsvortag in der Sitzung ,Social causes of illness‘ vertreten waren. Es zeigt, was an unserer Hochschule alles möglich ist.“