Wenn soziales Miteinander zur Sackgasse wird

Autismusstörungen im Erwachsenenalter sind keine Seltenheit, der Bedarf an Diagnostik stark gefragt. Anlaufstelle ist eine Spezialambulanz am UKM. Eine neue Studie soll helfen, die Erkrankung besser zu verstehen.

Autismus – das fällt doch auf! Eine Diagnose mit 45 Jahren? Kaum vorstellbar. Die Realität sieht jedoch anders aus. „Wir kennen Betroffene, die eine Ausbildung machen oder studiert haben, und erst im Beruf mit erhöhten Anforderungen an die Sozialkompetenz auffällt, dass etwas nicht stimmt“, weiß Privat-Dozentin Dr. Katja Kölkebeck, Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKM (Universitätsklinikum Münster) und erklärt, dass Menschen mit Autismus ihre Defizite im Sozialverhalten bis zu einem gewissen Grad kompensieren können, in dem sie das richtige Verhalten kopieren. „Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weitergeht und Hilfe – sehr häufig auf Initiative von Angehörigen oder Arbeitskollegen – gesucht wird.“ Anlaufstelle im Münsterland ist die Spezialambulanz für Autismus im Erwachsenalter am UKM, wo Kölkebeck aktuell eine EEG-Studie gemeinsam mit Dr. Claudia Schulz vom Institut für Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchführt. Das Ziel: Die Erkrankung besser verstehen und damit Betroffenen schnelleren Zugang zu einer adäquaten Therapie ermöglichen.

Denn die Diagnose von dem Krankheitsbild des im Volksmund bekannten „Asperger-Syndroms“, laut Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation „Autismusspektrumstörungen mit hohem Funktionsniveau im Erwachsenenalter“ (ASS), ist nicht einfach, Fehldiagnosen sind keine Seltenheit. Letztendlich erfolgt sie über eine Symptomkonstellation. „Betroffenen fällt die zwischenmenschliche Kommunikation schwer, sie können nur schlecht Blickkontakt halten und Metaphern verstehen“, weiß Kölkebeck. „Außerdem haben sie oftmals Spezialinteressen, lernen zum Beispiel Bahnfahrpläne auswendig.“ Weder Laborproben noch Bildgebung liefern Anhaltspunkte zur Diagnose, sie dienen rein dem Ausschluss anderer Krankheiten.

In der aktuellen Studie wird Betroffenen eine Elektroden-Kappe angelegt und ihnen werden Gesichter mit verschiedenen Emotionen gezeigt. „Wir sind aufgrund der bisherigen Forschungslage davon ausgegangen, dass Menschen mit ASS grundlegende und weitreichende Probleme in der Erkennung von Gesichtern haben“, sagt Psychologin Schulz. „Jedoch konnten wir in einem sehr frühen Bereich der visuellen Verarbeitung eine ähnliche Verarbeitung wie bei neurotypischen Probanden feststellen.“ Weitere Messungen sind geplant, um über diese Erkenntnisse die Erkrankung besser zu verstehen, aber auch Diagnostik und Therapie zu verbessern. Die Notwendigkeit scheint gegeben: Etwa ein bis 2,7 Prozent der Bevölkerung sind von ASS betroffen, die Warteliste der Spezialambulanz am UKM ist lang. Nicht zuletzt, weil das Krankheitsbild vor 30 Jahren wenig bekannt gewesen ist und viele Betroffene im Kindesalter durchs Raster fielen. „Die Anpassungsprobleme ziehen Jahre später häufig sekundäre Krankheitssymptome wie Depressionen, Angststörungen oder psychosoziale Konflikte nach sich und überdecken die eigentliche Problematik. Daraus resultieren falsche Diagnosen und Therapien zum Nachteil der Betroffenen“, so Schulz.

Ab Herbst soll es am UKM eine Gruppentherapie für Autismus-Patienten geben; bisher erfolgt die Therapie im Münsterland über ambulante Praxen oder Einrichtungen. Neben einer individuellen Psychotherapie, in der Betroffene lernen, wie man mit seinen Problemen umgeht und den Alltag bestehen kann, wird gemeinsam trainiert, wie man soziale Signale sendet und erfasst, quasi eine Art soziales Kompetenztraining. Denn spezifische Medikamente zur Behandlung von ASS gibt es nicht.

Info: Spezialambulanz für Autismus im Erwachsenalter, Telefon 0251 – 83 56676