Multiple Sklerose: Hilfe zur zellulären Selbsthilfe

Körpereigener Mechanismus der Hirnregeneration entschlüsselt

Bei Krankheiten wie der Multiplen Sklerose ist die isolierende Ummantelung von Nervenzellen geschädigt. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben jetzt herausgefunden, wie der Körper seinen eigenen Reparaturmechanismus in Gang setzt, um diese Schäden zu begrenzen. Die Ergebnisse bilden die Basis für die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung der Multiplen Sklerose. Sie wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications* veröffentlicht.

Es ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems: Geschätzt mehr als 200.000 Menschen sind in Deutschland von Multipler Sklerose betroffen. Sie leiden an Seh- und Empfindungsstörungen sowie Einschränkungen der Koordinationsfähigkeit bis hin zu Lähmungen. Grund für diese Symptome ist eine gestörte Weiterleitung von Signalen im Gehirn oder Rückenmark: Bei Multipler Sklerose greift das körpereigene Immunsystem die sogenannten Myelinscheiden an, die die Nervenzellen ummanteln und elektrisch isolieren. Ohne intakte Myelinscheiden ist die Kommunikation zwischen Nervenzellen beeinträchtigt. Weltweit suchen Wissenschaftler nach Möglichkeiten, die Myelinscheiden bei Menschen mit Multipler Sklerose wieder zu reparieren, um deren neurologische Symptome zu lindern. Diesem Ziel sind Forschende der Charité nun einen entscheidenden Schritt nähergekommen.

Dazu haben sie die Selbstheilungskräfte des Körpers genauer untersucht. Denn: Das zentrale Nervensystem ist unter bestimmten Bedingungen durchaus in der Lage, geschädigte Myelinscheiden auszubessern. Auf spezifische molekulare Signale hin können sich Stammzellen zu Myelin-Reparaturzellen, den sogenannten Oligodendrozyten, umwandeln. Sie wandern dann aus einer kleinen Nische im Gehirn an den Ort der Schädigung, wo sie die elektrische Isolierung der Nervenzellen wiederherstellen. Die molekularen Signale, die diesen körpereigenen Regenerationsmechanismus in Gang setzen, waren bisher kaum bekannt. „Wir haben jetzt herausgefunden, dass der Eiweißstoff Chi3l3 eine zentrale Rolle für die Myelin-Reparatur spielt“, sagt Dr. Sarah-Christin Staroßom vom Institut für Medizinische Immunologie der Charité. Die Erstautorin der Studie forscht im Exzellenzcluster NeuroCure und am Experimental and Clinical Research Center (ECRC). Dr. Staroßom erklärt: „Das Protein Chi3l3 bewirkt, dass sich neuronale Stammzellen zu Myelin-Reparaturzellen entwickeln, die die elektrische Isolierung der geschädigten Nervenzellen wiederherstellen.“

Das Forscherteam konnte im Mausmodell zeigen, dass eine Verringerung der Chi3l3-Menge im Gehirn die körpereigene Regeneration von Myelinscheiden erheblich beeinträchtigt. Umgekehrt führte eine Infusion des Proteins zu einer vermehrten Bildung von Myelin-Reparaturzellen. In der Petrischale konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Reaktion auch bei menschlichen Zellen beobachten. „Dieses Wissen wollen wir nun nutzen, um eine neue Generation von Medikamenten für die Behandlung der Multiplen Sklerose zu entwickeln“, erklärt Dr. Staroßom. „Im nächsten Schritt werden wir deshalb weiter erforschen, ob sich die neurologischen Symptome bei Multipler Sklerose mithilfe von Chi3l3 oder verwandten Proteinen lindern lassen.“

*Starossom SC et al., Chi3l3 induces oligodendrogenesis in an experimental model of autoimmune neuroinflammation. Nat Commun 2019 Jan 15. doi: 10.1038/s41467-018-08140-7

Bildunterschrift: Myelin-Reparaturzellen (Oligodendrozyten) einer Maus in der Kulturschale. Sie stellen Myelin her (grün), das sie für die Reparatur der Nervenzell-Ummantelung verwenden. Zellkerne sind blau angefärbt. Copyright: Staroßom/Charité

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Myelin-Reparaturzellen (Oligodendrozyten) einer Maus in der Kulturschale (Copyright: Staroßom/Charité) (1.6 MB)

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Originalpublikation
Institut für Medizinische Immunologie