Neue Studie zeigt: Weniger Folgeschlaganfälle durch intensivere LDL-Cholesterinsenkung

Eine gestern Abend im „New England Journal of Medicine“ publizierte Studie [1] zeigte, dass Schlaganfallpatienten von einer Senkung des LDL-Cholesterins auf unter 70 mg/dl profitierten. Da fast jeder fünfte Schlaganfallpatient binnen fünf Jahren mit einem Folgeschlaganfall rechnen muss, ist jede wirksame Maßnahme zur Risikoreduktion willkommen. Doch wie tief soll man senken, „the lower, the better?“ – Nicht wirklich, denn letztlich fehlen Daten, welcher LDL-Cholesterin-Zielkorridor nach Schlaganfall oder TIA optimal ist.

Eine wichtige Maßnahme, um bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA (transitorische ischämische Attacke, auch „Mini-Schlaganfall genannt) ein Folgeereignis zu verhindern, ist neben der Blutdruckeinstellung und Beeinflussung der Gerinnung durch Plättchenfunktionshemmer oder orale Antikoagulantien die Lipidsenkung. Sie wird in der S3-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ [2] der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) allen Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA (ischämischen Ursprungs) mit Empfehlungsgrad A und Evidenzebene Ia empfohlen. Das angestrebte Ziel der Lipidsenkung war bislang relativ großzügig gehalten, in der Leitlinie ist nachzulesen: „Basierend auf den Ergebnissen kardiovaskulärer Studien sollte auch bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten ein LDL-Cholesterinwert < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l) angestrebt werden.“ Da Evidenzen zu diesem Zeitpunkt fehlten, wird die Empfehlung mit „good clinical practice“ begründet.

Eine gestern Abend im „New England Journal of Medicine“ publizierte Studie [1] zeigte, dass Patienten nach ischämischen Insult von einer Senkung des LDL-Cholesterins auf unter 70 mg/dl profitierten. Im Vergleich zu der Studiengruppe, deren LDL-C-Werte auf 90-110 mg/dl gesenkt wurde, wiesen die Patienten der „Niedrig-Cholesterin-Gruppe“ ein signifikant geringeres Risiko für nachfolgende kardiovaskuläre Ereignisse auf (der primäre Studienendpunkt umfasste u.a. ischämische Folge-Schlaganfälle, Myokardinfarkte und kardiovaskuläre Mortalität). Die randomisierte Studie war an 61 Zentren in Frankreich und 16 Zentren in Südkorea durchgeführt worden. In beiden Studienarmen wurden jeweils 1430 Patienten eingeschlossen, die in ihren Charakteristika sehr ähnlich waren. Der durchschnittliche LDL-Spiegel betrug in beiden Gruppen 135 mg/dl zu Studienbeginn. Das Studienziel erreichten 121 Patienten der „Niedrig-Cholesterin-Gruppe“ und 156 Patienten, bei denen eine moderatere LDL-C-Senkung auf 90-110 mg/dl erfolgt war. Die Patienten, die auf LDL-Werte unter 70 eingestellt wurden, profitierten also signifikant (8,5% vs. 10,9%; HR: 0,78, p=0,04).

Das Einstellen auf die LDL-Zielwerte war durch die Gabe eines Statins erreicht worden, bei 33,8% der Patienten der „Niedrig-Cholesterin-Gruppe“ wurde zusätzlich auch der Cholesterol-Resorptions-hemmer Ezetimib gegeben (vs. bei 5,9% der Patienten, die auf die höheren LDL-Werte eingestellt worden waren).

„Fast jeder fünfte Schlaganfallpatient muss innerhalb der nächsten fünf Jahre mit einem Folgeschlaganfall rechnen“ [3], erklärt Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener aus Essen, Pressesprecher der DGN. „Es ist also wichtig, alles zu tun, um das Rezidivrisiko dieser Patienten zu senken.“

Welche LDL-Spiegel ideal sind, muss aber noch weiter untersucht werden. Bei LDL-C-Werten unter 70 mg/dl zeigte die vorliegende Studie [1] eine 22%ige Risikoreduktion, also jeder 5. Folgeschlaganfall konnte verhindert werden. Zwar war das Risiko für Hirnblutungen in Folge in der „Niedrig-Cholesterin-Gruppe“ numerisch erhöht (18 Fälle vs. 13 Fälle in der Vergleichsgruppe), aber nicht signifikant. „Dass das Hirnblutungsrisiko unter der LDL-C-Senkung ansteigt, haben wir auch schon in anderen Studien gesehen. Wir können uns daher nicht unreflektiert der „the lower, the better“-Devise anschließen. Während beispielsweise die ESC/EAS-Fettstoffwechsel-Leitlinien [5] bei Hochrisikopatienten mit Lipidstörungen sowohl zur Primär- als auch zur Sekundärprävention Werte <55 mg/dl empfehlen, muss bedacht werden, dass eine solche radikale Senkung das Risiko für Hirnblutungen erhöhen kann und daher nicht einfach auf Schlaganfallpatienten übertragbar ist. Allerdings sollte die bisherige Empfehlung von 100 mg/dl in unserer S3-Leitlinie kritisch überdacht werden – eine Absenkung dieses Wertes auf 70 mg/dl ist vermutlich sinnvoll“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit.

Eine formale Einschränkung der vorliegenden Studie sei jedoch, dass sie vorzeitig abgebrochen wurde. Eigentlich sollte die Studie laufen, bis 385 primäre Endpunkte erreicht werden, der Sponsor brach sie aber bereits nach 277 erreichten Endpunkten ab, weil die Studie ansonsten drei Jahre länger hätte finanziert werden müssen. „Eine weitere Schwäche war, dass sie mit nur etwa 200 TIA-Patienten in jedem Studienarm entsprechend wenig Aussagekraft für diese Patientengruppe hat“, so Prof. Diener. „Für eine definitive Festlegung des Grenzwertes sind weitere Studien erforderlich.“

Literatur
[1] Amarenco P, Kim JS, Labreuche J et al. A Comparison of Two LDL Cholesterol Targets after Ischemic Stroke. NEJM November 18, 2019. DOI: 10.1056/NEJMoa1910355
[2] S3-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“, abrufbar unter: https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2014/PDFs_Download/030-133_lang_S3_…
[3] Stahmeyer JT, Stubenrauch S, Geyer S et al. Häufigkeit und Zeitpunkt von Rezidiven nach inzidentem Schlaganfall. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 42 | 18. Oktober 2019. https://cdn.aerzteblatt.de/pdf/116/42/m711.pdf?ts=09%2E10%2E2019+18%3A29%3A59
[4] François Mach, Colin Baigent, Alberico L Catapano et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS). European Heart Journal 2019. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz455