Plötzlicher Herztod – wem der Defi wirklich hilft
Der plötzliche Herztod verursacht großes Leid und wirft noch viele Fragen auf. Er ist deshalb ein Schwerpunkt in der Forschung des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung. Prof. Axel Bauer, Universitätsklinikum München und Medizinische Universität Innsbruck, erklärt, wer gefährdet ist und wie die Risikoabschätzung noch genauer werden kann.
Das Interview erscheint im Rahmen der Herzwochen 2019 der Deutschen Herzstiftung . Das diesjährige Thema lautet „Bedrohliche Rhythmusstörungen: Wie schütze ich mich vor dem plötzlichen Herztod?“
DZHK: Wer ist gefährdet, am plötzlichen Herztod zu versterben?
Axel Bauer: Die Identifikation von Patienten, die vom plötzlichen Herztod bedroht sind, gilt als ein ungelöstes Problem in der Kardiologie. Es gibt jedoch bekannte Hochrisikogruppen. Das sind beispielsweise Patienten, deren Pumpleistung stark eingeschränkt ist. Das Risiko am plötzlichen Herztod zu versterben ist in dieser Gruppe relativ hoch. Die Mehrzahl der vom plötzlichen Herztod Betroffenen gehört jedoch keiner der bekannten Risikogruppen an.
Das klingt paradox, wie kann das sein?
Das ist der Unterschied zwischen relativen und absoluten Zahlen. Es sterben relativ viele Menschen in einer Risikogruppe. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich absolut gesehen die meisten Opfer in dieser Gruppe befinden müssen. In der Tat gehören die meisten Opfer des plötzlichen Herztodes keiner der bekannten Gruppen an. Und überhaupt, viele Menschen sterben plötzlich, ohne dass sie wussten, dass sie herzkrank sind.
Um welche Größenordnungen handelt es sich?
Der plötzliche Herztod lässt sich zahlenmäßig schwer fassen, aber wir gehen in Deutschland von rund 70.000 Opfern pro Jahr aus. Die meisten Personen können wir nicht rechtzeitig identifizieren.
Es gibt also „versteckte“ Herzkrankheiten, die anfällig für den plötzlichen Herztod machen. Welche sind das und kann man denen vorbeugen?
Die meisten plötzlichen Herztodesfälle lassen sich, in welcher Form auch immer, auf eine zugrundeliegende koronare Herzerkrankung, also eine Durchblutungsstörung des Herzens, zurückführen. Diese kann vorliegen, ohne dass der Patient sie bemerkt. Dementsprechend gelten für die Prophylaxe des plötzlichen Herztodes dieselben Empfehlungen, die generell für den Erhalt der Herzgesundheit ausgesprochen werden. Das bedeutet also, man sollte sich gesund ernähren, Sport treiben, Blutfette und Blutdruck optimal einstellen, Diabetes erkennen und behandeln. Ein Ruhe-EKG beim Hausarzt kann zwar manchmal Auffälligkeiten zeigen, die auf ein Risiko hindeuten, die gesamte Bevölkerung flächenmäßig zu screenen, kann aber nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft nicht empfohlen werden. Dies würde zu viele falsch positive Befunde ergeben.
Gibt es Familien, bei denen der plötzliche Herztod häufiger vorkommt?
Ja, es gibt durchaus angeborene und vererbte Erkrankungen wie zum Beispiel die hereditären Kanalopathien. Das sind Erkrankungen, welche die Funktion der Ionenkanäle am Herzen betreffen, also fundamental die Elektrophysiologie des Herzens beeinflussen. Dazu gehört beispielsweise das Long-QT-Syndrom. Oder es gibt die hypertrophe Kardiomyopathie, eine angeborene Verdickung des Herzmuskels. Sie kennen sicher die Medienberichte von jungen Sportlern, die beim Training plötzlich versterben. Oftmals haben diese jungen Personen eine nicht erkannte angeborene Herzerkrankung. So etwas ist sehr tragisch, zahlenmäßig ist das aber die kleinste Gruppe der vom plötzlichen Herztod Betroffenen.
Ein implantierter Defibrillator kann vor dem plötzlichen Herztod schützen, indem er das Herz durch einen kleinen Stromstoß wieder in den Takt bringt. Wann ist er sinnvoll?
Nur bei Patienten mit einem hohen Risiko für lebensbedrohliche Rhythmusstörungen ist das sinnvoll. Das sind zum einen Patienten, die schon einmal ein ernsthaftes Rhythmusereignis hatten, die also den plötzlichen Herztod überlebt haben, weil die Ehefrau oder der Ehemann wiederbelebt hat oder der Notarzt sehr schnell vor Ort war. Dann gibt es bestimmte Gruppen von Patienten mit kardialen Erkrankungen, von denen bekannt ist, dass sie ein hohes Risiko in sich tragen. Das sind im Wesentlichen die schon genannten Patienten mit einer hochgradig eingeschränkten Herzleistung. Bei diesen empfehlen die Leitlinien eine prophylaktische Defibrillatorimplantation. Leider ist diese Art der Risikoeinschätzung ziemlich ungenau, und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen erleiden nur wenige Patienten, welchen unter dieser Indikation ein Defibrillator implantiert wird, eine bösartige Rhythmusstörung. Zum andern haben die meisten Patienten, die am plötzlichen Herztod versterben, eine Pumpfunktion, die zu gut ist, als dass sie sich für einen Defibrillator qualifizieren würden. In klinischen Studien des DZHK versuchen wir, beide Gruppen im Hinblick auf ihr Risiko noch besser zu charakterisieren und zu therapieren. Denn ein implantierter Defibrillator hat durchaus ernsthafte Nebenwirkungen oder Komplikationen. So kann es zu unnötigen Stromstößen oder Infektionen kommen.
Wie wollen Sie herausfinden, wem der Defi wirklich hilft?
Eine unserer Studien beschäftigt sich mit der klassischen Risikogruppe, den Patienten mit eingeschränkter Pumpleistung. Wir wissen, dass das Risiko in dieser Gruppe heterogen ist. Wir haben sogenannte digitale Biomarker entwickelt, die aus Signalen des Herzens wie dem EKG, das Risiko für bösartige Rhythmusstörungen ermitteln können. In einer kürzlich vorgestellten europaweiten Studie konnten wir zeigen, dass ein von uns entwickelter Biomarker in der Lage ist, Patienten zu identifizieren, die von einem Defibrillator tatsächlich profitieren.
Und was ist mit den Patienten, von denen man bislang dachte, dass sie wenig gefährdet sind?
Diese untersuchen wir auch. Das sind zum Beispiel Patienten, die sich nach einem Herzinfarkt scheinbar gut erholt haben und deren Pumpleistung eben nicht hochgradig eingeschränkt ist. Dennoch gibt es in dieser großen Patientengruppe viele Patienten mit hohem Risiko. Diese identifizieren wir ebenfalls mit unseren Biomarken. In Rahmen der SMART-MI-Studie implantieren wir diesen Hochrisikopatienten einen sogenannten Ereignismonitor. Das ist ein kleiner länglicher Chip, den man unter die Haut „injiziert“ und der es erlaubt, den Patienten mehrere Jahre telemetrisch zu überwachen. Im Falle von Auffälligkeit können wir den Patienten einbestellen und das zugrundeliegende Problem behandeln.
Gibt es Mythen, die sich um den plötzlichen Herztod ranken?
Überlegt. Hm, eigentlich eher um den implantierten Defibrillator. Manche Patienten haben Angst, dass dieser sie zu einem ewigen Leben verdammt, indem er das Herz immer weiter stimuliert. Hier kann man den Patienten beruhigen. Auch mit Defibrillator kann man sterben, denn die mechanische Herzleistung kann unabhängig von einer elektrischen Stimulation versagen. Es kann jedoch in einer Palliativsituation wichtig sein, die Schockfunktion des Defibrillators auszustellen.