Weltweites Konsortium veröffentlicht genetische Veränderungen bei 38 Tumorarten

Kieler Forschende haben als Teil des des umfassenden internationalen Pan-Cancer-Projects maligne Lymphome genetisch charakterisiert

Das internationale Konsortium Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes (PCAWG), kurz Pan-Cancer, hat vor kurzem eine Fülle von Erkenntnissen über die genetische Grundlage von Krebs vorgelegt. Insgesamt 22 Einzelbeiträge wurden in Zeitschriften des renommierten Fachmagazins Nature (Nature, Nature Genetics, Nature Biotechnology, Nature Communication, Nature Communications Biology) veröffentlicht. Diese Publikationen sind das Ergebnis der bisher umfassendsten Studie zur Genetik von Krebserkrankungen und ein wichtiger Meilenstein in der Krebsforschung. Beteiligt waren rund 1.300 Forscherinnen und Forscher aus 37 Ländern. Sie sequenzierten fast 2.700 Genome von 38 verschiedenen Tumortypen sowie die entsprechenden gesunden Gewebe. Aufbauend auf den Ergebnissen sollen neue Ansätze für Diagnose und Therapie entwickelt werden. Beteiligt waren auch Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, unter anderem Philip Rosenstiel, Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI).

Kein Tumor gleicht dem anderen. Meist liegt das an individuellen genetischen Abweichungen der jeweiligen Krebszellen. Daher hat sich das PCAWG-Konsortium zum Ziel gesetzt, aufzuspüren, welche Mutationen oder Muster in der Erbgutveränderung die Entstehung und das Wachstum von Krebs über Tumorarten hinweg fördern. Die PCAWG-Forscherinnen und Forscher griffen dazu auf die Daten des ICGC (International Cancer Genome Consortium) und des TCGA-Projekts (The Cancer Genome Atlas) zurück. In diesen Projekten sind die Genome und Transkriptome, also die Gesamtheit aller RNA-Moleküle, aus den Gewebeproben, vollständig sequenziert worden. Im Rahmen des Pan-Cancer-Projekts wurde das komplette Genom, einschließlich der Schlüsselregionen, die das An- und Ausschalten von Genen steuern, detailliert untersucht. Entstanden ist die bisher umfassendste genetische Landkarte über Krebs. Mit ihrer Hilfe erhoffen sich die Forschenden individuelle genetische Abweichungen von Tumor zu Tumor im Detail zu verstehen und Therapien künftig präziser an die individuelle Patientin und den individuellen Patienten anpassen zu können.

Professor Philip Rosenstiel, Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) ist stolz darauf einen kleinen Teil zu diesem Großprojekt beigetragen zu haben. „Diese Arbeit ist unglaublich wichtig und nur durch die Mithilfe von vielen Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt möglich“, betont Rosenstiel, Direktor des Instituts für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).  Innerhalb des Internationalen Krebs-Genom-Konsortiums (ICGC) hatten die Forschenden am Kieler IKMB jeweils 500 Genome und Transkriptome von malignen Lymphomen, also Lymphdrüsenkrebs, sequenziert. Diese Krebserkrankungen leiten sich von entarteten Zellen des Immunsystems, den Lymphozyten, ab. Maligne Lymphome kommen in sehr vielen unterschiedlichen Subtypen vor, entsprechend unterschiedlich ist auch die Prognose und geeignete Behandlung. „Mithilfe der nun vorliegenden Daten können neue molekulare Marker gefunden werden, mit deren Hilfe Ärztinnen und Ärzte zukünftig präziser Diagnosen stellen können und den individuellen Krankheitsverlauf besser vorhersagen können“, erklärt Rosenstiel. „Das Ziel ist es, Krebspatientinnen und -patienten basierend auf ihrem individuellen Tumorerbgut die am besten geeignete Therapie anbieten zu können. Ein Ansatz der Präzisionsmedizin, den wir auch in unserer Arbeit im Exzellenzcluster für Entzündungserkrankungen verfolgen.“

Über PCAWG

Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes (PCAWG), kurz Pan-Cancer Project, ist eine internationale Zusammenarbeit, die versucht, gemeinsame Mutationsmuster in mehr als 2.600 ganzen Krebsgenomen des International Cancer Genome Consortium (ICGC) und des Krebsgenomatlas (TCGA) zu identifizieren. Das in Nature veröffentlichte Ergebnis des Projekts spiegelt die Arbeit von mehr als 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 37 Ländern und mehr als 70 Institutionen wider. Die Studie verbessert das grundlegende Verständnis von Krebs erheblich und zeigt neue Wege für seine Diagnose und Behandlung auf.

Originalpublikation:

Campbell, P.J., Getz, G., Korbel, J.O. et al. Pan-cancer analysis of whole genomes. Nature 2020: 578, 82–93; doi: 10.1038/s41586-020-1969-6

Über den Exzellencluster PMI

Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz Lungenzentrum).

Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.