Die Schlaganfallversorgung muss auch während der SARS-CoV-2- Pandemie ohne Qualitätseinbußen gewährleistet sein!

Die Stroke Units stehen damit vor der Herausforderung, u.U. mehr Patienten behandeln zu müssen, und zwar zeitgleich Coronavirus-infizierte sowie nicht-infizierte, was rein organisatorisch eine Herausforderung darstellt. Eine Aufweichung des hohen Therapiestandards für Schlaganfälle sei nicht hinnehmbar, auch nicht der Verzicht auf Nachsorge und Rehabilitationsmaßnahmen.

Etwa 270.000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland einen Schlaganfall. Die Erkrankung ist lebensbedrohlich, hinzukommt, dass die Minderdurchblutung des Gehirns dauerhafte Schäden nach sich ziehen kann und eine der Hauptursachen für bleibende Behinderungen ist. Eine schnelle Versorgung der Betroffenen – hier gilt das Motto „time is brain“ – auf einer Stroke Unit, einer auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisierten Abteilung, ist essentiell. Sie rettet Leben und Lebensqualität.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) sieht mit Sorge, dass im Rahmen der aktuellen SARS-CoV-2- Pandemie zunehmend Stroke-Unit-Betten in Beatmungsbetten umgewandelt werden. Das könnte perspektivisch die Versorgung von Schlaganfallpatienten gefährden. „Bei allem Verständnis für notwendige Umstrukturierungsmaßnahmen in dieser beispiellosen Krise, darf es nicht sein, dass ein Schlaganfallpatient im April 2020 eine schlechtere Prognose als im April 2019 hat, weil Stroke-Unit-Kapazitäten abgebaut werden“, erklärte Professor Dr. Götz Thomalla, Sprecher der DGN-Kommission Zerebrovaskuläre Erkrankungen, vom UKE Hamburg.

Im Gegenteil, die Stroke Units müssten nun gestärkt werden, weil sie nun sowohl Covid-19-positive als auch -negative Patienten zu versorgen haben, was eine räumliche Trennung der Patienten sowie einen höheren Hygiene- und Personalaufwand erfordert. Hinzu komme, dass Daten aus China und Italien [1, 2] darauf hindeuten, dass es zu einer möglichen Häufung von Schlaganfällen und anderen vaskulären Komplikationen bei Patienten kommen kann, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Eine solche Häufung ist auch im Kontext anderer Virusinfektionen bekannt. „Vor diesem Hintergrund ist ein Abbau von Stroke-Unit-Betten unverantwortlich, denn wir müssen mit einer Zunahme der Patientenzahlen rechnen. Diese können nur auf einer Stroke Unit optimal versorgt werden, eine Aufweichung des Therapiestandards ist nicht hinnehmbar“, so der Hamburger Neurologe.

Im Moment ist allerdings ein gegenläufiger Trend zu beobachten, der Schlaganfallexperten stark beunruhigt: Derzeit wird ein Rückgang an Patienten beobachtet, vor allem solcher, die mit einem leichten Schlaganfall oder „Mini-Schlaganfall“ (transitorische ischämische Attacke/TIA) eingeliefert werden. „Über die Gründe kann man im Moment nur spekulieren, allerdings haben wir die Sorge, dass Patienten es aus Angst vor einer SARS-CoV-2-Ansteckung vermeiden bzw. hinauszögern, zum Arzt zu gehen. Eine TIA geht meistens von selbst wieder vorbei, doch das Tückische ist: Unbehandelt ist das Risiko, zeitnah einen zweiten schweren Schlaganfall zu erleiden, als hoch einzustufen. Es ist daher wichtig, dass auch diese Patienten bei einem Spezialisten vorstellig werden“, mahnt DGN-Generalsekretär Professor Dr. Peter Berlit. Grundsätzlich sollte jeder, der – und sei es nur vorübergehend – Schlaganfallsymptome wie z.B. Lähmungen, Sprachstörungen oder Sehstörungen an sich wahrnimmt, den Notruf 112 wählen. Auch die Deutsche-Schlaganfall-Gesellschaft mahnt an, in Krisenzeiten Schlaganfallsymptome ebenso ernst zu nehmen wie sonst [3].

Doch es gibt noch eine weitere Problematik vor dem Hintergrund der „Corona-Krise“: Zu einer optimalen, leitliniengerechten Versorgung der Patienten gehört nicht nur die Notfalltherapie, sondern auch die Sekundärprävention und Rehabilitation. Gerade letztere gerät in der aktuellen Situation immer stärker unter Druck, da der Fokus allein auf die Akuttherapie gerichtet ist und Ressourcen von der Reha- in die Notfallversorgung verschoben werden. Doch eine Reha nach Schlaganfall ist keine elektive Therapie, die länger hinausgeschoben werden kann. „Die Betroffen benötigen die Rehabilitationsmaßnahmen unmittelbar nach der Therapie im Krankenhaus, um die langfristigen Folgen des Schlaganfalls möglichst gering zu halten, sie gehören zum Therapiestandard. Die DGN setzt sich daher dafür ein, dass die komplette Schlaganfallversorgung auch während der SARS-CoV-2- Pandemie ohne Qualitätseinbußen gewährleistet ist“, erklärt DGN-Generalsekretär Professor Berlit abschließend.

Literatur

[1] NeurologyToday®: COVID-19: Neurologists in Italy to Colleagues in US: Look for Poorly-Defined Neurologic Conditions in Patients with the coronavirus https://journals.lww.com/neurotodayonline/blog/breakingnews/pages/post.aspx?PostID=920Acute

[2] Cerebrovascular Disease Following COVID-19: A Single Center, Retrospective, Observational Study(Preprint bei The Lancet) https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3550025

[3] Auch in Krisenzeiten Schlaganfallsymptome ernst nehmen. Pressemeldung der DSG. Abrufbar unter https://www.dsg-info.de/images/stories/DSG/Presse/PDF/2020/PM-4-Schlaganfall-und-Corona-Krise042020.pdf