Diabetesforschung: Neues Modell für Studien der Betazellfunktion

Wissenschaftler haben ein genetisch modifiziertes Schweinemodell für die altersabhängige in vivo Markierung von Insulingranula entwickelt.

Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse produzieren, speichern und sezernieren das blutzuckersenkende Hormon Insulin. Eine gestörte Funktion dieser Zellen gehört zu den Hauptursachen für Typ-2 Diabetes, von der weltweit mehrere hundert Millionen Menschen betroffen sind. Jede Betazelle enthält mehrere tausend Organellen, sogenannte insulinsekretorische Granula (SG), die Insulin freisetzen, wenn der Blutzuckerspiegel erhöht ist. Allerdings wird nur ein kleiner Teil dieser Granula freigesetzt, und zwar vorzugsweise diejenigen, die erst kürzlich in den Zellen gebildet wurden. Die Mechanismen dieses Prozesses sind noch nicht vollständig geklärt. Hinzu kommt, dass das derzeitige Verständnis der Betazellfunktion größtenteils aus Studien an isolierten ex vivo Inseln von Nagetiermodellen stammt. Um diese translationale Lücke zum Menschen zu überwinden, hat ein Wissenschaftler-Team um Eckhard Wolf, Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie an der LMU, gemeinsam mit Forschern des Paul-Langerhans-Instituts des Helmholtz Zentrums München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und der Medizinischen Fakultät der TU Dresden (PLID) ein transgenes Schweinemodell entwickelt, das erstmals eine lebensnahe Darstellung des Insulinumsatzes unter Blutzuckerwerten im Normbereich ermöglicht.

Als ersten Schritt fügten die Wissenschaftler dazu in das Insulin-Gen einen sogenannten SNAP-Tag ein, mit dem Insulin-Granula über längere Zeiträume mit verschiedenfarbigen Fluoreszenzfarbstoffen markiert werden können. „Als nächstes haben wir diesen Vektor in Schweinezellen übertragen. Diese wurden für den somatischem Zellkerntransfer verwendet, um Schweine zu erzeugen, die das getaggte Gen in ihren Betazellen exprimieren“, erklärt PD Dr. Elisabeth Kemter, Mitarbeiterin in Wolfs Team und eine der Erstautoren der Studie. Die so entstandenen SOFIA (Study OF Insulin granule Aging)-Schweine mit der höchsten SNAP-Expressionsrate in den Betazellen charakterisierten die Wissenschaftler dann in weiteren Experimenten.

„Wichtig ist, dass die Ultrastruktur der Betazellen von SOFIA-Schweinen vergleichbar ist mit der von Schweinen, die kein Insulin-SNAP exprimieren. Auch die Insulin SG, Mitochondrien und das endoplasmatische Retikulum erschienen normal, ohne Anzeichen von Stress oder strukturellen Veränderungen“, sagt Dr. Andreas Müller, Mitarbeiter im Team von Michele Solimena am PLID und ebenfalls Erstautor der Studie. Zudem haben SOFIA-Schweine auch eine normale Glukosehomöostase und Insulinsekretion.

Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die sequentielle in vivo Anwendung von zwei SNAP-Farbstoffen unterschiedlicher Wellenlänge zu Insulin SG Pools unterschiedlicher Farbe in den Betazellen des Schweines führte, was letztlich ermöglicht, den Insulinumsatz in einer lebensnahen Umgebung zu verfolgen. Dabei zeigte sich, dass die Zeitspanne des Umsatzes von alten und neuen Insulingranula in vivo deutlich kürzer war, als man dies in bisherigen Experimenten an in vitro kultivierten Pankreasinseln von Nagern angenommen hatte.

Das Forscherteam ist überzeugt, dass die erfolgreiche Erzeugung und Charakterisierung des neuen Modells einen bedeutenden Fortschritt bei der Überwindung der derzeitigen Einschränkungen der Betazellforschung ermöglicht. So sollen SOFIA-Schweine mit verschiedenen Schweinemodellen für Diabetes mellitus gekreuzt werden, um die Syntheserate und den Turnover der Insulin SG in dieser pathologischen Situation zu untersuchen.

Originalpublikation:

Elisabeth Kemter, Andreas Müller, Martin Neukam, Anna Ivanova, Nikolai Klymiuk, Simone Renner, Kaiyuan Yang, Johannes Broichhagen, Mayuko Kurome, Valeri Zakhartchenko, Barbara Kessler, Klaus-Peter Knoch, Marc Bickle, Barbara Ludwig, Kai Johnsson, Heiko Lickert, Thomas Kurth, Eckhard Wolf, Michele Solimena
Sequential in vivo labeling of secretory granule pools in INS-SNAP transgenic pigs
PNAS 2021