Zi-Studie zur Versorgung onkologischer Erkrankungen in Deutschland 2010 bis 2019

Anzahl diagnostizierter Krebserkrankungen nimmt in der Dekade vor der Pandemie stetig zu // 3,3 Millionen gesetzlich Versicherte 2019 mit Krebsdiagnose // Männer stärker betroffen als Frauen

Von den insgesamt 61,5 Millionen gesetzlich Krankenversicherten ab 15 Jahren hatten 2019 knapp 3,32 Millionen Menschen mindestens in zwei Quartalen eine als gesichert dokumentierte Krebsdiagnose. Das entspricht einer altersstandardisierten Diagnoseprävalenz von 5,2 Prozent für alle Krebserkrankungen ohne den hellen Hautkrebs. 2010 lag diese noch bei 4,1 Prozent. Vor allem ältere Menschen erkranken an Krebs. Die altersspezifische Diagnoseprävalenz für alle untersuchten Krebserkrankungen steigt bis zur Altersgruppe der 80- bis 84-Jährigen an (15 bis 19 Jahre: 0,2 Prozent, 80 bis 84 Jahre: 16,6 Prozent im Jahr 2019). Diese Verteilung über alle Altersgruppen hinweg ist bei fast allen Krebsarten zu beobachten. Ausnahmen bilden Hoden-, Gebärmutterhals- und Schilddrüsenkrebs. Hier wird jeweils der Altersgipfel bereits deutlich früher erreicht.

Männer sind von den meisten geschlechtsunabhängigen Krebsarten häufiger betroffen als Frauen. Zwischen den Krebsarten sind allerdings substanzielle Unterschiede im Ausmaß des Geschlechterverhältnisses zu erkennen: Während der Unterschied beim malignen Melanom 2019 nur sehr gering war, fiel das Prävalenzverhältnis beim Harnblasenkrebs deutlich zuungunsten der Männer aus. Weitaus mehr Frauen leiden demgegenüber an Schilddrüsenkrebs.

Das sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen Versorgungsatlas-Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zur vertragsärztlichen und
-psychotherapeutischen onkologischen Versorgung in Deutschland. Es handelt sich um die bisher umfangreichste krankenkassenübergreifende Bestandsaufnahme der onkologischen Versorgung in der ambulanten Versorgung. „2019 war Krebs in Deutschland für etwa ein Fünftel der in vollständiger Gesundheit gelebten verlorenen Lebensjahre verantwortlich. Krebserkrankungen haben daher einen erheblichen Einfluss auf die Gesamtkrankheitslast und den Versorgungsbedarf der Bevölkerung in Deutschland. Angesichts der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts müssen wir leider davon ausgehen, dass der Anteil der Personen, die mit einer Krebsdiagnose leben, weiter ansteigen wird. Diese Patientinnen und Patienten werden auch vermehrt die ambulante vertragsärztliche und -psychotherapeutische Versorgung in Anspruch nehmen. Das ist eine große Herausforderung, auf die sich das gesamte Spektrum des Gesundheitssystems in Deutschland vorausschauend vorbereiten muss. Die jetzt vorgelegte Bestandsaufnahme ist auch ein wichtiger Ausgangspunkt, um später die Effekte der Pandemie auf die onkologische Versorgung beurteilen zu können. Dafür ist es jetzt aber noch zu früh“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.

Krebserkrankungen sind durch ein unkontrolliertes Zellwachstum gekennzeichnet. Krebs kann grundsätzlich in allen Organen des menschlichen Körpers auftreten. Je nachdem, welches Organsystem betroffen ist, handelt es sich bei Krebserkrankungen um sehr heterogene Krankheitsbilder. In einer ersten Abstufung lassen sich Krebserkrankungen des Körpergewebes, sogenannte solide Tumore, und Krebserkrankungen des Blut- und blutbildenden Systems, hämatologische Tumore, unterscheiden.

Für 20 verschiedene Krebsentitäten und -entitätsgruppen ist die rohe und die altersstandardisierte administrative Prävalenz für Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab 15 Jahren berechnet worden. Datengrundlage der Auswertung waren die bundesweiten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten gemäß § 295 SGB V der Jahre 2010 bis 2019. Der Datensatz umfasst alle GKV-Versicherten, die im entsprechenden Zeitraum mindestens einen abrechnungsfähigen Arzt- bzw. Psychotherapeutenkontakt hatten. Für die vier häufigsten Krebsarten wurde die rohe und altersstandardisierte administrative Inzidenz im Jahr 2017 ermittelt und für diese im Zeitraum 2017 bis 2019 die krebsassoziierte Inanspruchnahme ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungserbringender sowie das Fachgruppenspektrum untersucht. Deutliche Unterschiede zeigen sich beispielsweise bei der Beteiligung von Fachinternist:innen. Während weniger als ein Drittel der Brustkrebs- und Prostatakrebspatient:innen in fachinternistischer Behandlung waren, waren es bei den Darm- und Lungenkrebspatient:innen bis zu fast zwei Drittel.

„Hier zeigen sich unterschiedliche Muster im Vergleich der Krebsarten im Zeitablauf. Generell spielt die Behandlung und Begleitung durch Hausärztinnen und Hausärzte eine große Rolle. Der hausärztliche Behandlungsbeitrag hat in der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Brustkrebs bzw. Prostatakrebs in den Jahren nach der Diagnose deutlich zugenommen, radiologische Leistungen waren hingegen rückläufig. Für Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs oder Lungenkrebs ist der hausärztliche Behandlungsbeitrag sowie die ambulante Versorgungsleistung insgesamt dagegen eher rückläufig gewesen, während z. B. der internistische Versorgungsanteil gestiegen ist. Diese Muster müssen noch genauer auch im Hinblick auf die Arbeitsteilung zwischen Praxen und Krankenhäusern untersucht und mit den Erfahrungen von Vertretern dieser Fachrichtungen abgeglichen werden. Außerdem wird zu prüfen sein, inwiefern die Pandemiejahre an dieser Fachgruppenverteilung in der ambulanten Versorgung und Nachsorge zu Änderungen führen“, ergänzte von Stillfried.

Originalpublikation:

Kohring C, Holstiege J, Akmatov MK, Dammertz L, Heuer J, Bätzing J. Vertragsärztliche und -psychotherapeutische onkologische Versorgung in Deutschland – Trends im Zeitverlauf 2010 bis 2019. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 21/11. Berlin 2021. https://doi.org/10.20364/VA-21.11

Weitere Informationen:

https://www.versorgungsatlas.de – Der Versorgungsatlas ist ein Angebot des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi). Der Versorgungsatlas stellt Informationen aus der medizinischen Versorgungsforschung bereit. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Untersuchung und kartografischen Darstellung regionaler Unterschiede. Dadurch sollen Verbesserungen der Gesundheitsversorgung in den Regionen angeregt und gefördert werden.