Rechnet sich der frühe Rhythmuserhalt bei Vorhofflimmern? Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse aus der EAST – AFNET 4 Studie

Menschen mit Vorhofflimmern profitieren von einer frühen rhythmuserhaltenden Therapie. Die europaweite EAST – AFNET 4 Studie belegte, dass im Vergleich zur üblichen Behandlung herz-kreislauf-bedingte Todesfälle, Schlaganfälle und andere Komplikationen um 20 Prozent reduziert werden können. Wie hoch sind jedoch die Kosten der neuen Behandlungsstrategie? Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse ergibt: Die gesundheitlichen Vorteile des frühen Rhythmuserhalts könnten mit akzeptablen Zusatzkosten erreicht werden. Die Analyse wurde am 27.03.2023 im EP Europace Journal, einer Fachzeitschrift der European Society of Cardiology (ESC), veröffentlicht [1].

Vorhofflimmern ist eine zunehmende Volkskrankheit. In Europa wird die Zahl der Vorhofflimmerpatient:innen bis 2060 auf rund 18 Millionen steigen. Die Betroffenen haben ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und andere schwere Komplikationen, die mit hohen Behandlungs- und Pflegekosten einhergehen und zu einer zunehmenden finanziellen Belastung der Gesundheitssysteme führen werden.

Die EAST – AFNET 4 Studie (Early Treatment of Atrial Fibrillation for Stroke Prevention) belegt, dass eine frühe rhythmuserhaltende Therapie mittels Antiarrhythmika oder Katheterablation, wenn sie im ersten Jahr nach der Diagnose Vorhofflimmern begonnen wird, die Prognose von Betroffenen mit kardiovaskulären Risikofaktoren verbessert [2]. Eine frühzeitige rhythmuserhaltende Therapie mit Medikamenten und/oder Ablation führte im Vergleich zur üblichen Behandlung zu weniger herz-kreislauf-bedingten Todesfällen, Schlaganfällen und Krankenhausaufenthalten wegen Verschlechterung einer Herzschwäche oder akutem Koronarsyndrom. In der Studie wurden 2789 Patient:innen mit kürzlich diagnostiziertem Vorhofflimmern (innerhalb eines Jahres nach Diagnose) und kardiovaskulären Risikofaktoren in den beiden Studiengruppen „früher Rhythmuserhalt (early rhythm control (ERC))“ und „übliche Behandlung (usual care (UC))“ über einen Zeitraum von fünf Jahren behandelt und beobachtet.

„Der gesundheitliche Nutzen des frühen Rhythmuserhalts ist erwiesen. Allerdings wurde die Wirtschaftlichkeit der neuen Behandlungsstrategie bisher nicht überprüft. In der aktuellen Analyse haben wir zum ersten Mal die Kosteneffektivität der frühen rhythmuserhaltenden Therapie gegenüber der üblichen Behandlung untersucht.“ erklärt Sophie Gottschalk vom Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg.
Die Kosteneffektivitätsanalyse wurde anhand der Studiendaten der 1664 EAST – AFNET 4 Teilnehmer:innen aus Deutschland und aus Krankenversicherungsperspektive durchgeführt. Für die Berechnung der Kosten wurden die beiden Hauptkostenfaktoren Krankenhausaufenthalte und Medikation berücksichtigt. Als Maß für den Behandlungseffekt wurden in der Kosteneffektivitätsanalyse zum einen die Zeit bis zum Auftreten eines primären Ereignisses (Tod, Schlaganfall, Krankenhausaufenthalt wegen Verschlechterung einer Herzschwäche oder akutem Koronarsyndrom) und zum anderen die im Beobachtungszeitraum überlebte Zeit herangezogen. Für beide Behandlungseffekte wurden sogenannte inkrementelle Kosteneffektivitätsrelationen (ICERs) berechnet. Sie sind in der aktuellen Analyse ein Maß für die Zusatzkosten, die für ein zusätzliches Jahr ohne kardiovaskuläre Komplikationen beziehungsweise für ein zusätzliches Lebensjahr aufgebracht werden müssen.

In manchen Gesundheitssystemen, beispielsweise in Großbritannien, dienen ICERs als Entscheidungshilfe, ob eine neue Therapie vom Gesundheitssystem bezahlt werden soll oder nicht. Die Entscheidung hängt dabei von der Zahlungsbereitschaft des Kostenträgers für die Erreichung eines zusätzlichen Gesundheitseffektes ab. Die maximale Zahlungsbereitschaft für den Gewinn eines Lebensjahrs oder ein Jahr ohne kardiovaskuläres Ereignis ist allerdings nicht klar definiert. Zudem stellt die ICER nur einen Durchschnittswert dar, der mit statistischer Unsicherheit behaftet ist. Aus diesen Gründen wurde in der aktuellen Analyse für hypothetische Zahlungsbereitschaftswerte berechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine frühe rhythmuserhaltende Therapie kosteneffektiv ist.

Die Analyse zeigt: Früher Rhythmuserhalt war mit durchschnittlichen Zusatzkosten von 1.924 Euro verbunden. Daraus ergeben sich ICERs von 10.638 Euro pro zusätzlichem Jahr ohne Ereignis beziehungsweise 22.536 Euro pro hinzugewonnenem Lebensjahr (s. Abbildung 1). Die Unsicherheitsanalyse zeigte, dass hohe Wahrscheinlichkeiten für die Kosteneffektivität der frühen rhythmuserhaltenden Therapie zu hypothetischen Zahlungsbereitschaften von ≥55.000 Euro pro ereignisfreiem Lebensjahr (≥95%) bzw. pro hinzugewonnenem Lebensjahr (≥80 %) erreicht werden können.
Der wissenschaftliche Leiter der EAST – AFNET 4 Studie, Prof. Paulus Kirchhof, Universitäres Herz- und Gefäßzentrum, UKE, Hamburg, fasst zusammen: „Die gesundheitlichen Vorteile des frühen Rhythmuserhalts sind durch die EAST – AFNET 4 Studie, multiple Subanalysen und in weiteren klinischen Datensätzen gut belegt. Diese Analyse legt nun nahe, dass die frühe rhythmuserhaltende Behandlung im deutschen Gesundheitssystem möglicherweise zu akzeptablen Zusatzkosten erreicht werden kann. Auch wenn eine Übertragbarkeit innerhalb Europas plausibel erscheint, sind weitere Analysen der Kosten einer frühen rhythmuserhaltenden Behandlung in anderen Ländern sinnvoll.“

Seit der Veröffentlichung des Hauptstudienergebnisses im Jahr 2020, wurden verschiedene Subgruppenanalysen der EAST – AFNET 4 Studiendaten durchgeführt. Eine davon zeigte, dass der in der EAST – AFNET 4 Studienpopulation erzielte klinische Nutzen der frühen systematischen rhythmuserhaltenden Therapie unabhängig war von unterschiedlichen Behandlungsmustern bei den antiarrhythmischen Medikamenten und der Ablation, die innerhalb der Leitlinien-Empfehlungen angewandt wurden [3]. Andere Subgruppenanalysen belegten den Nutzen des frühen Rhythmuserhalts für Menschen mit Vorhofflimmern und Herzschwäche [4], für Menschen mit asymptomatischem Vorhofflimmern [5], für unterschiedliche Formen des Vorhofflimmerns [6], für Menschen mit mehreren Begleiterkrankungen [7] und für Menschen mit vorherigem Schlaganfall [8). Der Sinusrhythmus wurde als entscheidender Faktor für die Wirksamkeit der frühen rhythmuserhaltenden Therapie identifiziert [9].

Die EAST-AFNET-4-Studie hat zahlreiche Partner in ganz Europa, darunter auch die European Heart Rhythm Association (EHRA) der ESC.

Literatur

[1] Gottschalk S, Kany S, König H-H, Crijns HJGM, Vardas P, Camm AJ, Wegscheider K, Metzner A, Rillig A, Kirchhof P, Dams J. Cost-effectiveness of early rhythm-control versus usual care in atrial fibrillation care: an analysis based on the German subsample of the EAST-AFNET 4 trial. EP Europace 2023. DOI: 10.1093/europace/euad051

[2] Kirchhof P, Camm AJ, Goette A, Brandes A, Eckardt L, Elvan A, Fetsch T, van Gelder IC, Haase D, Haegeli LM, Hamann F, Heidbüchel H, Hindricks G, Kautzner J, Kuck K-H, Mont L, Ng GA, Rekosz J, Schön N, Schotten U, Suling A, Taggeselle J, Themistoclakis S, Vettorazzi E, Vardas P, Wegscheider K, Willems S, Crijns HJGM, Breithardt G, for the EAST–AFNET 4 trial investigators. Early rhythm control therapy in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2020; 383:1305-1316. DOI: 10.1056/NEJMoa2019422

[3] Metzner A, Suling A, Brandes A, Breithardt G, Camm AJ, Crijns HJGM, Eckardt L, Elvan A, Goette A, Haegeli LM, Heidbuchel H, Kautzner J, Kuck KH, Mont L, Ng GA, Szumowski L, Themistoclakis S, van Gelder IC, Vardas P, Wegscheider K, Willems S, Kirchhof P. Anticoagulation, therapy of concomitant conditions, and early rhythm control therapy: a detailed analysis of treatment patterns in the EAST – AFNET 4 trial. EP Europace 2022; 24:552–564. DOI: 10.1093/europace/euab200

[4] Rillig A, Magnussen C, Ozga, Suling A, Brandes A, Breithardt G, Camm AJ, Crijns HJGM, Eckardt L, Elvan A, Goette A, Gulizia M, Haegeli LM, Heidbuchel H, Kuck KH, Ng GA, Szumowski L, van Gelder IC, Wegscheider K, Kirchhof P. Early rhythm control therapy in patients with heart failure. Circulation 2021;144(11):845-858. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.121.056323

[5] Willems S, Borof K, Brandes A, Breithardt G, Camm AJ, Crijns HJGM, Eckardt L, Gessler N, Goette A, Haegeli LM, Heidbuchel H, Kautzner J, Ng GA, Schnabel R, Suling A, Szumowski L, Themistoclakis S, Vardas P, van Gelder IC, Wegscheider K, Kirchhof P. Systematic, early rhythm control therapy equally improves outcomes in asymptomatic and symptomatic patients with atrial fibrillation: the EAST-AFNET 4 Trial. Eur Heart J. 2022; 43:1219-1230. DOI: 10.1093/eurheartj/ehab593

[6] Goette a, Borof K, Breithardt G, Camm AJ, Crijns H, Kuck KH, Wegscheider K, Kirchhof P, MD. Presenting Pattern of Atrial Fibrillation and Outcomes of Early Rhythm Control Therapy. J Am Coll Cardiol. 2022; 80:283-95. DOI: 10.1016/j.jacc.2022.04.058

[7] Rillig A, Borof K, Breithardt G, Camm AJ, Crijns HJGM, Goette A, Kuck KH, Metzner A, Vardas P, Vettorazzi E, Wegscheider K, Zapf A, Kirchhof P. Early rhythm control in patients with atrial fibrillation and high comorbidity burden. Circulation. 15 Aug 2022. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.122.060274

[8] Jensen M, Suling A, Metzner A, Schnabel R, Borof K, Goette A, Haeusler KG, Zapf A, Wegscheider K, Fabritz L, Diener H-C, Thomalla G, Kirchhof P. Early rhythm-control therapy for atrial fibrillation in patients with a history of stroke: a subgroup analysis of the EAST- AFNET 4 trial. Lancet Neurol 2023; 22: 45–54. DOI: 10.1016/PIIS1474-4422(22)00436-7

[9] Eckardt L, Sehner S, Suling A, Borof K, Breithardt G, Crijns HJGM, Goette A, Wegscheider K, Zapf A, Camm AJ, Metzner A, Kirchhof P. Attaining sinus rhythm mediates improved outcome with early rhythm control therapy of atrial fibrillation: the EAST – AFNET 4 trial. Eur Heart J, 2022. DOI: 10.1093/eurheartj/ehac471

Twitter: @afnet_ev, hashtag #EASTtrial.

Finanzielle Unterstützung: AFNET, BMBF, DZHK, EHRA, Deutsche Herzstiftung, Abbott, Sanofi

EAST – AFNET 4 Studie

EAST – AFNET 4 ist eine wissenschaftsinitiierte Studie, in der zwei unterschiedliche Behandlungsstrategien bei Vorhofflimmern verglichen wurden. Die EAST – AFNET 4 Studie testete, ob eine frühe und umfassende rhythmuserhaltende Therapie bei Patient:innen mit Vorhofflimmern kardiovaskuläre Komplikationen besser verhindert als die übliche Behandlung.

Insgesamt 2789 Menschen mit frühem Vorhofflimmern (weniger als ein Jahr nach der ersten Diagnose) nahmen an der EAST – AFNET 4 Studie teil. Sie wurden von 2011 bis 2016 in 135 Kliniken und Praxen in elf europäischen Ländern in die Studie eingeschlossen. Die Studienteilnehmer:innen wurden einer der beiden Behandlungsgruppen „früher Rhythmuserhalt“ oder „übliche Behandlung“ nach dem Zufallsprinzip zugeordnet (Randomisierung). Die Patient:innen in beiden Gruppen erhielten eine leitlinienkonforme Therapie, bestehend aus der Behandlung ihrer kardiovaskulären Begleiterkrankungen, Blutgerinnungshemmung und Frequenzregulierung.

Alle Patient:innen der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ erhielten nach der Randomisierung zusätzlich Antiarrhythmika oder eine Katheterablation. Sobald bei einem Mitglied dieser Gruppe Vorhofflimmern erneut auftrat, wurde die Therapie intensiviert mit dem Ziel, den normalen Sinusrhythmus durch eine Katheterablation und/oder antiarrhythmische Medikamente wiederherzustellen und möglichst dauerhaft zu erhalten.

Patient:innen der Gruppe „übliche Behandlung“ erhielten nur dann eine rhythmuserhaltende Therapie, wenn diese notwendig war, um durch Vorhofflimmern verursachte Symptome zu bessern, die trotz leitlinienkonformer frequenzregulierender Behandlung auftraten.

Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET)

Das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) ist ein interdisziplinäres Forschungsnetz, in dem Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen aus Kliniken und Praxen deutschlandweit zusammenarbeiten. Ziel des Netzwerks ist es, die Behandlung und Versorgung von Patient:innen mit Vorhofflimmern in Deutschland, Europa und den USA durch koordinierte Forschung zu verbessern. Dazu führt das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. wissenschaftsinitiierte klinische Studien (investigator initiated trials = IIT) und Register auf nationaler und internationaler Ebene durch. Der Verein ist aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetz Vorhofflimmern hervorgegangen. Seit Januar 2015 werden einzelne Projekte und Infrastrukturen des AFNET vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) gefördert.

http://www.kompetenznetz-vorhofflimmern.de/