Ursachen und Therapieansätze für seltene neuronale Entwicklungsstörung gefunden

Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, den Krankheitsmechanismus einer genetisch bedingten, neuronalen Entwicklungsstörung zu entschlüsseln. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht. Das translationale Forschungsprojekt steht unter der Leitung von Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin Greifswald und des Centre Hospitalier Universitaire de Nantes (Frankreich) mit vielen anderen Partnern, unter anderem von der Universitätsmedizin Leipzig. Mit ihrer Studie hoffen die Forschenden einen Beitrag zum besseren Verständnis, zur Diagnostik und zukünftig zur Heilung solcher Störungen aber auch neurodegenerativer oder Tumorerkrankungen zu leisten.

Seltene Erkrankungen sind häufig ein Alptraum für Betroffene und ihre Familien. Sie sind schwer zu diagnostizieren, können schwerwiegende körperliche und geistige Beeinträchtigungen verursachen und Therapieoptionen sind rar. Pathogene Genvarianten in der zellulären Proteinabbaumaschine „Proteasom“ verursachen seltene sogenannte Proteasomopathien mit wenigen 100 diagnostizierten Patient*innen weltweit, viele davon Kinder. Die Diagnostik solcher Proteasomopathien ist schwierig, weil sie klinisch als zwei verschiedene Krankheiten wahrgenommen werden. Einerseits gibt es die Proteasomen-assoziierten autoinflammatorischen Syndrome (PRAAS) mit Fettstoffwechselstörungen und schwerer systemischer Entzündung, andererseits neuronale Entwicklungsstörungen (NDD) mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung, aber auch mit Fehlentwicklungen im Skelett, Herz oder Niere bei weitgehend fehlenden Entzündungszeichen. Während es für PRAAS bereits Diagnostik- und Therapieansätze gibt, war das für die NDD-Form bislang wenig untersucht.

Erstautor Frédéric Ebstein und seine Kolleginnen und Kollegen konnten jetzt zeigen, dass beiden klinischen Syndromen ähnliche molekulare Mechanismen zugrunde liegen. Auch bei Proteasomopathie-Patienten mit NDD konnten sie die Anschaltung von zellulären Stress- und Differenzierungssignalwegen und die Aktivierung des Immunsystems durch fehlregulierte Interferonsignalwege aufklären. Interferone sind immunologische Botenstoffe, die eine immunstimulierende und vor allem antivirale Wirkung entfalten. Die durch die defekten Proteasomen verursachte schlechtere Abbaukapazität führt zur Ansammlung von Proteinabfall in den Zellen, aber auch zur Fehlregulation von vielen durch das Proteasom kontrollierten Signalwegen. Der Rückstau des Proteinabfalls wiederum wird als Gefahrensignal erkannt und schaltet die Produktion von Interferonen an, die die angeborene Immunabwehrmaschinerie aktivieren. „Eine Interferonantwort ist an sich positiv, da sie die Abwehr gegen Eindringlinge fördert. Sie führt bei diesen Patienten jedoch zu einer Art Teufelskreis, weil sie eine unkontrollierte Interferonproduktion auslöst, die Entwicklungsvorgänge verzögert und neuronale Schäden verursacht“, erklärt Prof. Elke Krüger. Als Sensor für diese überschießende Antwort konnten die Autoren ein zentrales Signalenzym, die Proteinkinase R, identifizieren.

Die Studie eröffnet neue Wege, die Erkrankung zu diagnostizieren und wird dabei helfen, Betroffenen zukünftig eine wirksame Therapie anbieten zu können, da der Interferonsignalweg therapeutisch blockierbar ist. Darüber hinaus können die Erkenntnisse der Studie auch zum besseren Verständnis und zur Therapie altersbedingter Krankheiten wie Neurodegeneration oder Krebs genutzt werden, in denen der kontrollierte Proteinabbau über das Proteasom und der Interferonsignalweg ebenfalls gestört sein können. Diese Fragen werden in zukünftigen Studien weiter verfolgt.

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10.1126/scitranslmed.abo3189
Universitätsmedizin Greifswald | Institut für Medizinische Biochemie und Molekularbiologie
Artikel in bioworld.com