Multimorbidität braucht bessere Kommunikation und individuellere Versorgung

Handlungsfeldanalyse der Stiftung Gesundheitswissen zeigt mögliche Ansätze

Berlin – Im Alter an drei oder mehr chronischen Krankheiten zu leiden, ist in Deutschland nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Allerdings betrifft dies auch zunehmend Menschen in mittleren Lebensjahren. Die anlässlich des Welttages der Patientensicherheit veröffentlichte Untersuchung „Multimorbidität im mittleren Alter“ der Stiftung Gesundheitswissen und des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe Universität Frankfurt am Main ist deshalb der Frage nachgegangen, welche Hürden in der täglichen Versorgung bestehen und wie diese verringert werden können – nicht zuletzt, damit mit den Erkenntnissen auch die Sicherheit in der Versorgung von multimorbiden Patienten verbessert werden kann.

Von Multimorbidität spricht man, wenn bei einem Patienten zwei oder mehr chronische Erkrankungen gleichzeitig auftreten, von denen jede für sich vergleichbare Aus-wirkungen auf die individuelle Krankheitslast hat. Dabei korrelieren Multimorbidität und Alter miteinander, das heißt die Zahl der Krankheiten und der Anteil der Erkrankten mit Multimorbidität nehmen mit dem Alter erheblich zu. Allerdings sind Mehrfach-erkrankungen nicht nur ein Merkmal älterer Menschen. Mehr als die Hälfte der Personen mit Multimorbidität waren in vielen Studien jünger als 65 Jahre. Sie stehen im Alltag und in der Versorgung vor besonderen Herausforderungen. „Eine Vielzahl an Arztbesuchen, eine oft dauerhafte Medikamenteneinnahme oder regelmäßige Messungen, müssen mit den Verpflichtungen aus Arbeits- und Familienalltag vereinbart werden. Hinzu kommen die Einschränkungen, die die eigentliche Krankheit mit sich bringt“, erklärt PD Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen.

Darüber hinaus ist die Versorgung oft sehr komplex. Meist sind mehrere Mediziner beteiligt – jeder mit eigenem Therapieplan und verschiedenen Medikamenten. „Bei dieser Vielzahl an verschiedenen Dingen, die es bei der Behandlung und der Einnahme von Medikamenten oder anderen Therapeutika zu beachten gibt, fällt es Patienten wie Ärzten oft schwer, den Überblick zu behalten“, so Suhr weiter. Aus diesem Grund hat die Stiftung Gesundheitswissen gemeinsam mit dem Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main eine Studie zu Multimorbidität im mittleren Lebensalter durchgeführt. Ziel war es, Herausforderungen in der täglichen Versorgung zu identifizieren, die Menschen mit Mehrfacherkrankungen belasten und eine Über-, Unter- oder Fehlversorgung begünstigen können. Die Handlungsfeldanalyse „Multimorbidität im mittleren Alter“ kann so auch Anregungen geben, wie die Versorgungslage und somit auch die Sicherheit in der Versorgung von multimorbiden Patienten verbessert werden kann. „Denn eine verbesserte Versorgung von Menschen mit Mehrfacherkrankungen ist auch eine Frage der Patientensicherheit“, so Suhr.

Alltag, Freizeit und Beruf als besondere Herausforderungen

Ist man im mittleren Alter von mehreren Erkrankungen betroffen, kommt man schlechter im Alltag zurecht als Einfach-Erkrankte oder gesunde Menschen im gleichen Alter. Zudem treten auch häufiger psychische Erkrankungen auf. Die Grunderkrankungen belasten die Betroffenen im Alltag, mitunter fehlen auch Zeit und Energie, um soziale und familiäre Kontakte zu pflegen. Die Erkrankungen selbst können sich auch negativ und belastend auf das familiäre und soziale Umfeld auswirken. Oft werden Hobbies aufgegeben, da die Einschränkungen zu groß sind. Natürlich hat das auch Auswirkungen auf das Berufsleben: Mehrfach-Erkrankte sind seltener berufstätig oder arbeiten nicht in Vollzeit, die Karrierechancen sind dadurch ebenfalls öfter eingeschränkt. Dadurch können sich auch finanzielle Einbußen ergeben.

Multimorbidität erfordert individuellere Versorgung und eine bessere Kommunikation

Durch die Beteiligung verschiedener Versorger bei der Behandlung von Mehrfacherkrankungen ist es besonders wichtig, dass die Versorgung keine langen Unterbrechungen hat und alle Beteiligten stärker miteinander arbeiten und gut kommunizieren, z. B. über etwaige neue Medikamente. Das kann Fehlbehandlungen vermeiden und die Sicherheit der Behandlung verbessern. Ein betreuender Versorger oder eine betreuende Versorgerin können hier als Hauptansprechpartner fungieren, bei dem alle relevanten Informationen zusammenlaufen. Außerdem wünschen sich Patienten eine individuellere und ganzheitliche Versorgung, d.h., dass die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Betroffenen bei Behandlungen mit einbezogen werden. Bestehende Angebote sollten weiterentwickelt und ausgeweitet werden und die Zugänge zur Versorgung schneller und einfacher gestaltet werden, etwa durch zeitnahe Termine. Nicht zuletzt kann auch durch mehr Aufklärung zur Entstehung von chronischen Erkrankungen geleistet werden, damit Menschen ihre Gesundheit verbessern können und (Mehrfach)Erkrankungen vielleicht gar nicht erst zustande kommen.

Die Schlussfolgerungen der Handlungsfeldanalyse im Überblick:

1.    Mehr und frühzeitige Aufklärung
2.    Kontinuierlichere Versorgung
3.    Individuellere und an Patientinnen und Patienten orientierte Versorgung
4.    Schnellerer und einfacherer Zugang zu Versorgung
5.    Weiterentwicklung und Ausweitung von Angeboten
6.    Finanzielle und organisatorische Unterstützung

Alle Ergebnisse sind in einem Booklet zusammengefasst: Handlungsfeldanalyse „Multimorbidität im mittleren Alter“ 

Hintergrund zur Untersuchung „Multimorbidität im mittleren Alter“:

Für die Handlungsfeldanalyse wurde zunächst Literatur zum Thema gesichtet, um einen Überblick zum Thema Mehrfacherkrankungen bei Menschen im Alter zwischen 30-60 Jahren zu bekommen. Zudem wurde untersucht, wie sich eine gelungene bzw. problematische Versorgungsbewältigung auf den Alltag dieser Patienten auswirkt. In einem zweiten Schritt wurden zunächst 15 Patienten und anschließend 14 Versorger zu Ihren Erfahrungen mit Multimorbidität befragt.
=> Mehr zum Projekt und zu den Ergebnissen finden Sie hier.