Multiple Sklerose

Neue Erkenntnisse zur Familienplanung und Behandlung mit Natalizumab

Original Titel:
Pregnancy decision-making in women with multiple sclerosis treated with natalizumab: I: Fetal risks.

Natalizumab ist ein hochwirksamer Wirkstoff für die Behandlung von Multipler Sklerose (MS). Bei einem Kinderwunsch gilt es die Risiken der Behandlung oder Nichtbehandlung für Mutter und Kind genau zu betrachten. Italienische Forscher kommen zu der Empfehlung, die Behandlung mit Natalizumab bis zu einem positiven Schwangerschaftstest fortzuführen.


Mehr als zwei Drittel der Menschen, die Multiple Sklerose (MS) haben, sind Frauen. Da die Diagnose oft zwischen 20 und 40 Jahren gestellt wird, können Kinderwunsch und Schwangerschaft auch eine Rolle bei der Behandlung spielen. Gerade ob, und wie während der Schwangerschaft behandelt werden kann, ist hier ein wichtiges Thema.

Nicht alle Wirkstoffe können während einer Schwangerschaft eingesetzt werden

Für bestimmte MS-Wirkstoffe, wie Interferon-beta, konnte gezeigt werden, dass die Behandlung auch während der Schwangerschaft fortgeführt werden kann. Andere sollten stattdessen früh genug vor einer Schwangerschaft abgesetzt werden. Für neuere Wirkstoffe wie Natalizumab ist das bisher nicht immer ausreichend untersucht. Italienische Forscher haben daher analysiert, wie das Risiko für Fehlgeburten und Geburtsfehler bei Kindern von Frauen mit MS ist, die mit Natalizumab behandelt wurden. Sie verglichen die Daten mit denen von Frauen, die mit Interferon-beta oder gar nicht behandelt wurden, und mit dem Vorkommen von Fehlgeburten und Geburtsfehlern in der allgemeinen italienischen Bevölkerung.

Die italienischen Forscher werteten Daten zu 92 Schwangerschaften von 83 Frauen zwischen 2009 und 2015 aus, die mit Natalizumab behandelt wurden. Die Frauen hatten den Wirkstoff bei einem positiven Schwangerschaftstest oder bereits vor der Schwangerschaft abgesetzt. Insgesamt war etwa bei drei Vierteln der Schwangerschaften das ungeborene Kind im Schnitt eine Woche lang dem Wirkstoff ausgesetzt.

Mehr Fehlgeburten im Vergleich zu anderen Behandlungen – jedoch nicht wirklich mehr als bei Allgemeinbevölkerung

Die statistische Auswertung der gesammelten Daten ergab einen Zusammenhang zwischen Natalizumab und Fehlgeburten. Im Vergleich zu MS-Patientinnen, die mit Interferon-beta oder gar nicht behandelt wurden, traten in der Studie unter der Behandlung mit Natalizumab Fehlgeburten viermal häufiger auf. Insgesamt lag die Rate aber bei 17 %, was nur knapp über der Häufigkeit von Fehlgeburten in der allgemeinen Bevölkerung liegt (14 %). Ob Geburtsfehler ebenfalls häufiger auftraten, als bei anderen MS-Patientinnen, konnten die Forscher in ihrer Auswertung nicht feststellen, hier sei weitere Forschung nötig. Was die Forscher allerdings feststellen konnten, war, dass sowohl bei Frauen, die mit Natalizumab behandelt wurden, als auch bei solchen, die mit Interferon-beta behandelt wurden, die Kinder nach der Geburt leichter und kleiner waren, als bei anderen Frauen.

Risiken können auch für die werdende Mutter bestehen

In einer weiteren Untersuchung schauten sich die italienischen Forscher außerdem das Risiko für einen Schub oder Krankheitsaktivität während einer Schwangerschaft an. Dabei verglichen sie Frauen, die gar nicht behandelt wurden, die mit Natalizumab behandelt wurden und solche, die mit den Krankheitsverlauf verändernden Wirkstoffen zum Spritzen, wie Interferon-beta, behandelt wurden.

Frühes Absetzen scheint am ehesten Einfluss auf Schübe in der Schwangerschaft zu haben

Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass bei Frauen, die zuvor mit Natalizumab behandelt wurden, während und nach der Schwangerschaft öfter Schübe auftraten. Dies hängt vermutlich mit einer höheren Krankheitsaktivität zusammen, wegen der diese Patientinnen zuvor erst überhaupt mit Natalizumab behandelt wurden. Die Forscher prüften auch, welche Faktoren darauf Einfluss haben könnten. Eine statistische Analyse zeigte, dass nur die Auswaschperiode, also die Zeit nach dem Absetzen, bis der Wirkstoff den Körper wieder verlassen hat, Einfluss auf das Risiko für Schübe in der Schwangerschaft hatte. Bei etwa 16 % der Frauen kam es zu einem Fortschreiten der Behinderung durch die Erkrankung, dies ließ sich aber durch eine zeitnahe Wiederaufnahme einer krankheitsverlaufverändernden Behandlung nach der Geburt reduzieren.

Empfehlung der Forscher: Natalizumab bis zum positiven Schwangerschaftstest anwenden

Die italienischen Forscher kommen zu dem Schluss, dass es bei der Behandlung mit Natalizumab vermutlich das beste Vorgehen ist, den Wirkstoff erst bei einem positiven Schwangerschaftstest abzusetzen. So könne das Risiko für einen Schub in der Schwangerschaft so gering wie möglich gehalten werden. Gleichzeitig soll die Empfängnis streng kontrolliert werden, damit auch die Risiken für das ungeborene Kind möglichst gering bleiben. Trotzdem sei weitere Forschung notwendig, gerade wenn es um das Risiko für Geburtsfehler nach einer vorausgehenden Natalizumab-Behandlung geht.

Plan Baby bei MS – Info- und Beratungskampagne der DMSG

Bei der Behandlung mit Natalizumab und einem Kinderwunsch oder einer Schwangerschaft sollten also sowohl Risiken für die Gesundheit des ungeborenen Kindes als auch für die Mutter in Betracht gezogen werden. Fragen und das beste Vorgehen sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Um Menschen mit MS bei den Themen Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein stärker zu unterstützen, hat die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft 2017 das Programm „Plan Baby bei MS“ gestartet. Interessierte können sich auch persönlich beraten lassen oder die Antworten auf die wichtigsten Fragen nachlesen.

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