Koronare Herzkrankheit und Migräne: Gibt es einen Zusammenhang?

Original Titel:
Shared genetic risk between migraine and coronary artery disease: A genome-wide analysis of common variants

Migräne und die koronare Hezkrankheit (KHK) weisen Gemeinsamkeiten auf, wie die vorliegende Studie zeigte. Bei beiden Erkrankungen häufen sich nämlich Veränderungen in den gleichen Bereichen der Erbinformation. Diese Veränderungen waren jedoch in manchen dieser Bereiche bei den beiden Erkrankungen gegensätzlicher Natur.


Seit Langem steht zur Diskussion, ob Migräne vorrangig eine Gefäßerkrankung oder eine neuronale Erkrankung ist. Typischerweise wird eine Erklärung auf Basis der Hirnforschung bevorzugt akzeptiert, jedoch gibt es verschiedene Argumente, dass eine Erkrankung des Blutgefäßsystems zumindest nicht vorschnell außer Acht gelassen werden sollte. So treten mit Migränen gehäuft auch andere Gefäßerkrankungen auf. Beispielsweise haben Menschen, die unter Migräne leiden, ein zweifach erhöhtes Risiko für Schlaganfälle. Dies betrifft besonders solche Patienten, die eine Migräneaura erleben. In neueren Studien (Sacco und Kollegen, 2015 im medizinwissenschaftlichen Journal European Journal of Neurology erschienen; Kurth und Kollegen, 2016 im Fachjournal BMJ erschienen) wurde ein vergleichbares Risiko für die koronare Herzkrankheit (KHK) gezeigt. Außerdem gibt es bei Menschen mit Migräne überdurchschnittlich häufig Fälle von Gefäßerkrankungen in der Familie – es liegt also nahe, eine gemeinsame vererbliche Basis dieser Erkrankungen zu vermuten. Auch jene Bereiche der Erbinformation, die typischerweise bei Migränepatienten Veränderungen im Vergleich zu Menschen ohne Migräne enthalten, deuten auf eine Gefäßbeteiligung hin. In diesen Abschnitten sind nämlich besonders solche Gene enthalten, die als Bauanleitungen für Eiweißstoffe in Gefäßgewebe dienen.

Gibt es genetische Gemeinsamkeiten zwischen KHK und Migräne?

Eine neue Studie, durchgeführt unter Leitung von Dr. Winsvold und Dr. Bettella von der Universität von Oslo in Norwegen, untersuchte daher nun, wie stark die Erbinformationen, die bei den Erkrankungen Migräne und KHK auffällig sind, überlappen. Die Analyse der Daten zweier großer Studien zu KHK und Migräne sollte zusätzlich auch ermitteln, ob eine den beiden Krankheiten gemeinsame genetische Basis gefunden werden kann. Zur Analyse wurden die Daten zweier Studien zur KHK (C4D: 15420 Patienten, 15062 Kontrollen und CARDIoGRAM: 22233 Patienten, 64762 Kontrollen) und einer Migräne-Studie (22120 Patienten, 91284 Kontrollen) genutzt.

Forscher identifizierten Bereiche der Erbinformation, die bei beiden Erkrankungen eine Rolle spielten

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass bestimmte genetische Veränderungen, die bei der KHK gehäuft auftraten, auch häufig mit der Migräne zusammenhingen. Eine solche Überlappung wurde in beiden KHK-Studien unabhängig voneinander gefunden – schien also durchaus einem generellen Muster der Gemeinsamkeiten zwischen Gefäßerkrankung und Migräne zu entsprechen. Drei spezifische Genabschnitte waren für den Großteil dieser Übereinstimmungen verantwortlich – die Forscher fanden also eine gemeinsame Basis der Erkrankungen in wenigen, klar umgrenzten Bereichen unserer Erbinformation. Interessanterweise zeigte sich dabei, dass die Art der Veränderungen im Genmaterial an zwei dieser drei Stellen bei Migräne und der KHK in unterschiedliche Richtung tendierten. Der eventuell krankmachende Effekt einer Erkrankung hätte also möglicherweise einen schützenden Effekt bei der anderen Erkrankung. Solche Ergebnisse bieten nun natürlich keine Erklärung für ein gemeinsames Auftreten der beiden Erkrankungen – gegensätzliche Effekte der genetischen Grundlagen würden ja durch das Auftreten der einen Erkrankung die andere ausschließen. Allerdings zeigten eben nur 2 der 3 besonders stark überlappenden Bauplanabschnitte gegensätzliche Effekte.

Grundlegend zeigte sich in dieser Studie, dass Studien zur Häufung bestimmter Erkrankungen nicht einfach nur einer Risikovorhersage dienen. Zwar deutet sich hiermit an, dass KHK-Patienten verstärkt auch auf ihre eventuellen Risikofaktoren für Migräne achten sollten, gerade, wenn es in ihrer Familie bereits Herz- und Gefäßerkrankungen und Migräne gab. Allerdings fand sich nun hier auch ein besonders spannendes Ergebnis, das zeigt, wie unser Körper wie eine komplizierte Wippe den Einfluss eines Elements gegen ein weiteres ausspielen kann – was uns anfällig für eine Erkrankung macht, kann manchmal schützend gegen eine andere wirken. Wie genau die Erbinformation und die daraus erstellten Eiweißstoffe auf Migräne und KHK einwirken, muss nun Gegenstand weiterer Studien sein – um nicht nur oberflächlich ein komplexes Wechselspiel erahnen, sondern es auch heilend beeinflussen zu können.

© Alle Rechte: HealthCom