Die Müllabfuhr der Zellen unterstützen

Der bislang wichtigste Weg in der Krebstherapie war die Blockade krankheitsauslösender Proteine. An einer neuen Strategie arbeiten nun Molekularmediziner/innen der ÖAW. Die Forscher/innen setzen dabei auf die zelleigene Müllabfuhr, die von neuartigen Medikamenten davor bewahrt werden soll, durch schadhafte Proteine ausgebremst zu werden. Sie berichten darüber im Wissenschaftsmagazin Molecular Cell.

Die gezielte Krebstherapie der letzten zwei Jahrzehnte wirkt zumeist über die Blockade von krankheitsauslösenden Proteinen. Hierzu bauen Medikamentenentwickler ein chemisches Molekül, das fest an den aktiven Teil eines schadhaften Proteins bindet und somit dessen Funktion beeinträchtigt. Leider verfügen nicht alle Proteine der Zelle über geeignete Bindungsstellen, weshalb nur rund 20 Prozent über diese Strategie blockiert werden können.

Abbauen statt Abfangen

Ein erfolgversprechender Ansatz in der Medikamentenentwicklung ist es nun, nicht auf Blockade, sondern auf Entsorgung zu setzen. Eine neue Klasse chemischer Moleküle wird dazu gebracht, schadhafte Proteine nicht nur unschädlich zu machen, sondern gleich gänzlich abzubauen. Diese „degrader“ bringen ihr Zielprotein dabei in die Nähe einer sogenannten Ubiquitin Ligase, welche das Protein für den Abbau durch die zelleigene „Müllabfuhr“ markiert. Grundsätzlich passiert solch ein Proteinabbau ganz natürlich in unserem Körper. Im Krankheitsfall wird dieser Mechanismus aber oft in seiner Funktion beeinträcht. Die neue Behandlungsstrategie zeichnet sich dadurch aus, dass damit die „Müllabfuhr“ mit hoher Genauigkeit beeinflusst werden kann.

Schritt für Schritt verstehen, wie Tumordriver entsorgt werden können

Zur Entwicklung geeigneter Medikamente ist es nötig, alle Vorasusetzungen in einer Zelle zu kennen, die für den Abbau von krankheitserregenden Proteienen wichtig sind. Georg Winter und sein Team am CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben nun die entsprechenden Reaktionswege – begonnen von der Identifizierung der Gene bis hin zur Herstellung der notwendigen Marker-Proteine und einer entsprechenden Umgebung in der Zelle – systematisch untersucht. „Wir haben eine breite Auswahl von fünf Molekülen untersucht, die klinisch relevante Proteine wie BRD4, CDK9 oder GSPT1 abbauen. Und mit Hilfe genetischer Methoden konnten wir aufzeigen, welche Gene der Zelle für die Aktivität dieser Moleküle benötigt werden“, erklärt Dr. Cristina Mayor-Ruiz, Postdoktorandin am CeMM und Ko-Erstautorin der Studie.

Neue Medikamente erhalten die Dynamik der zelleigenen Müllabfuhr

Die Ergebnisse zeigen, dass besonders zentrale Regulatoren der zelleigenen Müllabfuhr die neue Medikamentenklasse wirksam machen. „Wenn diese Regulatoren beeinträchtigt sind, verlieren Ubiquitin Ligasen ihre Fähigkeit, flexibel auf die Bedürfnisse der Zelle zu reagieren. In Folge der verlangsamten Dynamik markieren sich die Ligasen selbst zur Zerstörung, was die Wirksamkeit der neuen Medikamente unterbindet“, fügt Martin Jäger, Doktorand am CeMM und ebenso Ko-Erstautor, hinzu.Die Erkenntnisse über gemeinsame genetische Voraussetzungen der fünf unterschiedlichen Moleküle können dazu beitragen, in Zukunft neue und bessere Medikamente zu entwickeln. „Jetzt da man beginnt diese neue Wirkstoffklasse in der klinischen Krebsforschung zu testen, wird es ungemein wichtig sein, potenzielle Resistenzen frühzeitig aufzudecken und womöglich von vornherein zu verhindern. Unsere Erkenntnisse können dazu herangezogen werden, Patienten das für sie am besten geeignetste Medikament zu verschreiben. Gleichzeitig lernen wir dabei aber auch ganz grundlegende Aspekte über die Dynamik der zelleigenen Abbausysteme neu zu verstehen“, schließt Dr. Georg Winter, Forschungsgruppenleiter am CeMM.

DIE PUBLIKATION

“Plasticity of the cullin-RING ligase repertoire shapes sensitivity to ligand-induced protein degradation“, Cristina Mayor-Ruiz, Martin G. Jaeger, Sophie Bauer, Matthias Brand, Celine Sin, Alexander Hanzl, André C. Mueller, Jörg Menche, Georg E. Winter wurde wurde am 22. August 2019 in Molecular Cell veröffentlicht. https://doi.org/10.1016/j.molcel.2019.07.013
DOI: 10.1016/j.molcel.2019.07.013

Die Studie wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert. Cristina Mayor-Ruiz wird durch ein EMBO long-term Stipendium (EMBO-LTF ALTF 676-2017) und Martin Jäger durch ein Boehringer Ingelheim Fonds (BIF) PhD Stipendium unterstützt.