COVID-19-Wirkstoff erfolgreich bei Organoiden eingesetzt

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der ÖAW verwendet erstmals Organoide, um zu zeigen, wie SARS-Cov-2 Blutgefäße und Nieren befällt, und wie sich der Virenbefall durch einen in Wien entwickelten Wirkstoff ausbremsen lässt. Über dieses Projekt berichtet die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift Cell.

Im Zuge der aktuellen Krise durch das Coronavirus arbeiten Forscherteams weltweit an Strategien zur Eindämmung dieser Pandemie. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Um die Gesundheitssysteme der Welt vor dem Kollaps zu bewahren, braucht es rasch Medikamente, die vor allem bei schweren Verläufen zum Einsatz kommen können. Forscher/innen des IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) verfolgen mit einem internationalen Team unter der Leitung von IMBA-Forscher und Gründungsdirektor Josef Penninger einen besonders vielversprechenden Ansatz rund um das Enzym ACE2 (Angiotensin Converting Enzym 2). Ein Therapieansatz wurde nun an an COVID-19 „erkrankten“ Organoiden im Labor erprobt. Aktuelle Ergebnisse dieser Studie erhärten die Wirksamkeit von humanem rekombinanten ACE2 (hrACE2), wie sich an aktuellen Studien an Zellkulturen und menschlichen Organoiden nachweisen ließ.

Organoide im Corona-Einsatz

Organoide sind winzige, organähnliche Strukturen, die man aus menschlichen Stammzellen kultivieren kann, um Krankheiten zu modellieren und Medikamente im menschlichen Zellverband zu testen. Auch Infektionskrankheiten lassen sich daran studieren. Am IMBA, einem der führenden Zentren dieser Technologie in Europa, wurde etwa an Gehirn-Organoiden erforscht, wie bestimmte Viren Fehlbildungen im Gehirn auslösen.

In der aktuellen Studie verwendeten die Wissenschaftler/innen Blutgefäß-Organoide, die bereits 2018 am IMBA entwickelt wurden sowie Nieren-Organoide. Es zeigte sich, dass das Virus die Organoide direkt infizieren und sich in diesen Geweben vervielfältigen kann. Dies liefert wichtige Informationen über die Entwicklung der Krankheit und die Tatsache, dass schwere Fälle von COVID-19 mit Multiorganversagen und Anzeichen von Herz-Kreislauf-Schäden einhergehen. Die Gabe des Wirkstoffes hrACE2 reduzierte die SARS-CoV-2-Infektion in diesen künstlich hergestellten menschlichen Geweben. In Zellkulturen konnte die Viruslast durch hrACE2 um den Faktor 1.000-5.000 gemindert werden.

Wissen als Startvorteil

Bereits 2005 publizierte das IMBA fundamentale Erkenntnisse über ein verwandtes Coronavirus, das 2003 für einen globalen Ausbruch der Lungenkrankheit SARS sorgte. Auf der Forschung von damals konnte im Angesicht der neuen Pandemie rasch aufgebaut werden, denn es zeigte sich, dass das neue SARS-CoV-2-Virus denselben Mechanismus verwendet, um in die Zelle einzudringen. Wie bei dem SARS-Virus ist auch bei SARS-Cov-2 das Protein ACE2 die Eintrittspforte für Viren, um Zellen in der Lunge zu infizieren. Gleichzeitig hat ACE2 eine zweite wichtige Funktion als Blutdruckregulator. SARS-CoV-2 ist mit dem damaligen SARS-Virus eng verwandt und es zeigte sich, dass dessen typische „Spikes“, Strukturen aus Proteinen an der Oberfläche des Virus, sogar noch zielgerichteter an die ACE2-Rezeptoren der Zelloberfläche andocken. Diese Andockstellen befinden sich nicht nur in der Lunge, sondern auch am Herzen, in den Blutgefäßen, im Darm und den Nieren, was schwere Krankheitsverläufe von COVID-19 durch Organversagen und Sepsis erklären kann. Während klinische Studien nun anlaufen, bieten Organoide den Forscher/innen ein alternatives menschliches Modellsystem, um mögliche Therapien gegen COVID-19 vorab im Labor zu testen.

Ein Wirkstoff – doppelter Schutz

Den Wissenschaftler/innen zufolge könnte hrACE2 auf zweifache Weise wirken. Zum einen kann es die Viren binden und wie eine Art Schwamm aufsaugen, sodass sie keine Zellen mehr infizieren können. Zum anderen bietet es bei einer Infektion aktiv Schutz gegen Lungenversagen.

Unsere früheren Arbeiten am IMBA haben dazu beigetragen, ACE2 schnell als Eintrittspforte für SARS-CoV-2 identifizieren zu können, was viel über die Krankheit erklärt“, sagt Josef Penninger. „Jetzt wissen wir, dass eine lösliche Form von hrACE2 das Virus aus menschlichen Organoiden ‚absaugt‘. Ein Organoid ist zwar kein Patient“, so Penninger weiter, „allerdings erlaubt es uns, gezielt und unter kontrollierten Bedingungen zu studieren, wie das Virus menschliches Gewebe befällt und wie man es dabei stoppen kann.“ Als nächster Schritt gilt es nun, die bereits gewonnenen Daten mit Ergebnissen aus klinischen Studien abzugleichen.

Publikation:
„Inhibition of SARS-CoV-2 infections in engineered human tissues using clinical-grade soluble human ACE2“, Monteil et al., Cell, 2020; DOI: 10.1016/j.cell.2020.04.004