Gegen das lange Leiden nach Virusinfektionen

Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) bündelt seine Einrichtungen zur Erforschung und Versorgung von Post-COVID in einem Interdisziplinären Zentrum für Postinfektiöse Langzeitfolgen. Das Zentrum verbindet verschiedene Disziplinen einschließlich sozialmedizinischer Beratung und telemedizinische Betreuung und dient als Plattform für versorgungsorientierte Forschungsprojekte.

Jena (UKJ/vdG) Vor genau fünf Jahren stufte die WHO COVID-19 zur Pandemie ein, der erste Lockdown in Deutschland wurde verhängt und im UKJ wurden die ersten Coronapatienten behandelt. Der Gesundheitsnotstand ist offiziell längst beendet – viele Infizierte jedoch befinden sich weiterhin in einer gesundheitlichen Notlage, sie leiden unter den als Post-COVID bezeichneten Langzeitfolgen. In Thüringen waren von den 900.000 Menschen, für die eine Corona-Infektion dokumentiert ist, etwa 50.000 bis 60.000 von Post-COVID betroffen. Drei Viertel davon sind inzwischen genesen. Rund 5000 der noch immer Erkrankten leiden an schwersten Form der neuroimmunologischen Langzeitfolgen, der als ME/CFS bezeichneten schweren Erschöpfung.

Das UKJ zählte zu den ersten Kliniken bundesweit, die spezialisierte interdisziplinäre Angebote für Betroffene aufbaute. Gestützt von der Expertise seines Sepsis-Schwerpunktes und getrieben vom großen Versorgungs- und Forschungsbedarf, entstanden hier in den vergangenen Monaten und Jahren eine ganze Reihe von Einrichtungen und Projekten, um die Mechanismen von Post-COVID zu verstehen und die Behandlung zu verbessern. Das UKJ bündelt diese Forschungs- und Versorgungsinitiativen jetzt in einem Interdisziplinären Zentrum für Postinfektiöse Langzeitfolgen – IZPL.  „Es dient als zentrale Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten, die an lange anhaltenden Leistungseinschränkungen nach Virusinfektionen leiden. Zudem stellt es eine neue Plattform dar, um neue Forschungsprojekte zu initiieren mit dem Ziel, die Erkrankung besser zu verstehen neue Behandlungsansätze zu entwickeln“, so der Leiter des Zentrums, Prof. Dr. Andreas Stallmach.

Etwa 3000 Patientinnen und Patienten werden derzeit im Zentrum betreut, sie kommen vor allem Mitteldeutschland, aber auch aus dem gesamten Bundesgebiet. Das interdisziplinäre tagesklinische Behandlungskonzept berücksichtigt die verschiedenen Aspekte der Erkrankung, die gekennzeichnet ist von einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit im körperlichen, kognitiven oder psychisch-mentalen Bereich – und oft von einer Kombination davon. Das dreitägige Programm umfasst eine ausführliche internistische, rehabilitationsmedizinische du neuropsychologische Diagnostik. Die Behandlung richtet sich vor allem auf die Stärkung der Eigenverantwortung: Die Patientinnen und Patienten erhalten Anleitungen zum Krankheitsmanagement durch Pacing, zum Schlafmanagement, Übungen für die kognitive Rehabilitation und Unterstützung in der Krankheitsakzeptanz. Bei Bedarf ist auch die Behandlung Gedächtniszentrum und eine telemedizinische Nachbetreuung in Videosprechstunden möglich. Andreas Stallmach: „In der Verbindung der verschiedenen Disziplinen einschließlich sozialmedizinischer Beratung und telemedizinischer Betreuung ist dieses Behandlungskonzept bundesweit einzigartig.“

Assoziiert mit dem Zentrum sind mehrere Forschungsprojekte zu den Langzeitfolgen von Virusinfektionen. Das WATCH-Projekt testet die drei Behandlungssäulen in einem neuartigen mobilen Versorgungsansatz im Post-COVID-Bus. Auch an einem Verbund zur Erforschung von ME/CFS und an zwei Projekten, die mobile Gesundheitsdaten für die Verlaufsbeobachtung und eine personalisierte Behandlung nutzen, ist das Zentrum beteiligt. „Wir mussten durch die Pandemie lernen, dass die Langzeitfolgen von Infektionen ein relevantes Problem sind. Die Krankheitsmechanismen sind noch kaum verstanden,“ betont Stallmach. „Eingebunden in große wissenschaftliche Netzwerke und Studien will das IZPL zur Beantwortung dieser Fragen beitragen, damit wir Menschen mit Langzeitfolgen nach einer Infektion mit Corona, auch mit Influenza oder dem Eppstein-Barr-Virus oder nach einer Sepsis besser helfen können.“

Weiterführende Informationen:

Forschungsprojekte

  • BioSig-PEM: Ein Forschungsverbund in Jena, Kiel, Berlin und München untersucht die mit ME/CFS bezeichnete schwere Erschöpfung sowie die Symptomverschlimmerung nach Belastung, die als Langzeitfolge nach einer Infektion auftreten kann. Die Forschenden wollen insbesondere besser verstehen, warum die Betroffenen nach Belastungen eine deutliche Verschlimmerung erleiden und so zur Entwicklung neuer, individuell angepasster diagnostischer und therapeutischer Ansätze beitragen. Das Bundesforschungsministerium fördert den Verbund mit 2,5 Mio. Euro.
    Mehr: Woher kommt die chronische Erschöpfung?
  • REMIT: Unter Leitung des Universitätsklinikums Jena entwickelt ein Forschungsverbund eine mobile Anwendung, die Beschwerden und Befinden von Post-COVID-Betroffenen erfasst. Die App soll diese Daten an die behandelnden Praxen und Kliniken übermitteln, wo sie die Diagnostik und Therapie unterstützen, und personalisierte Rückmeldung geben. Das Bundesgesundheitsministerium fördert das Projekt mit drei Millionen Euro.
    Mehr: Post-COVID-App für Patienten, Praxen, Kliniken
  • SYNOSYS.PC: Ein Forschungsverbund in Dresden und Jena verknüpft die Daten von 500.000 Nutzern der Corona-Datenspende-App mit klinischen Studien, die am im IZPL durchgeführt werden. Ziel ist es, Verhaltensmuster, Risikofaktoren für die Verschlimmerung von Symptomen und Genesungstrends bei Long COVID-Patienten zu ermitteln. Das Bundesgesundheitsministerium fördert das Projekt mit 2,3 Millionen Euro.
    Mehr: SynoSys erhält Millionenförderung für Spitzenforschung im Bereich Long COVID — TU Dresden
  • WATCH: Seit November 2023 fährt der Bus des WATCH-Projektes als mobile Post-COVID-Ambulanz durch Thüringen. Das Ziel des am Universitätsklinikum Jena koordinierten Projektes ist die Entwicklung neuer Versorgungsformen für Post-COVID-Betroffene insbesondere im ländlichen Raum. Dazu kombiniert das Versorgungsforschungsprojekt die wohnortnahe Untersuchung mit einer umfassenden telemedizinischen Betreuung. Der Innovationsfonds des G-BA fördert die neun Partnerinstitutionen mit insgesamt 5,8 Millionen Euro.
    Mehr: WATCHNoch immer großer Behandlungsbedarf bei Post-COVID-Patienten

Forschungsergebnisse des UKJ zu PostCOVID (Auswahl)

  • Das interdisziplinäre Team des Post-COVID-Zentrums am Universitätsklinikum Jena erforscht nicht nur die Entstehungsmechanismen und bessere Versorgungsformen der Erkrankung. Um den Umgang mit Post-COVID in der ärztlichen und klinischen Praxis zu erleichtern und den Betroffenen effizienter helfen zu können, arbeitet das Zentrum auch an einem verbindlichen Diagnoseschlüssel und an Leitlinien für die Behandlung mit.
    Mehr: Die Praxis fit machen für Post-COVID
  • In einer Langzeitauswertung des Post-COVID-Zentrums am Universitätsklinikums Jena zeigten über 90% der mehr als 1000 betrachteten Patienten vielfache Langzeitsymptome nach einer COVID-19-Erkrankung. Weit über die Hälfte berichtete von Erschöpfung und Konzentrationsschwäche, die über die Zeit leicht abnahmen. Auch nach über einem Jahr leidet etwa ein Fünftel der Betroffenen an ME/CFS, einer durch Infektionen ausgelösten schweren neuroimmunologischen Erschöpfungserkrankung. Das Autorenteam betont, dass spezifische interdisziplinäre Therapiekonzepte und deren Evaluierung dringend notwendig sind.
    Mehr: Long-COVID: Besserung ist erreichbar, aber nicht bei allen Betroffenen
  • Charakteristisch für die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme bei Long COVID ist eine verlangsamte Informationsverarbeitung. Mit diesem Ergebnis können neuropsychologische Studien des Universitätsklinikums Jena die von Betroffenen oft berichtete kognitive Beeinträchtigung objektiv belegen. Damit wird auch eine Zielgröße für therapeutisches Training und ein Kriterium für die Effektivität von Therapieansätzen aufgezeigt.
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