Körpereigene Killerzellen als Waffe gegen Krebs
Was gegen Blutkrebs schon funktioniert, soll bald auch gegen andere Tumoren helfen
Gentechnisch veränderte Immunzellen sind eine scharfe Waffe gegen Blut- und Lymphdrüsenkrebs. Der Zelltherapie-Schwerpunkt des Universitätsklinikum Frankfurt sucht nach Wegen, auch andere Tumoren mithilfe der körpereigenen Abwehrtruppen zur Strecke zu bringen. Dazu wird in Frankfurt erforscht, wie bösartige Zellwucherungen um sich herum ein Milieu schaffen, das das Immunsystem kaltstellt und so Zelltherapeutika inaktiviert.
Um bösartig veränderte Körperzellen umzubringen, kann man sie mit tödlichen Strahlen beschießen oder mit Giftstoffen malträtieren. Handelt es sich um einen abgegrenzten Tumor, kann man auch versuchen, ihn mit einem Skalpell herauszuschneiden. Oder aber man nutzt eine Waffe, die über Millionen von Jahren dafür optimiert wurde, Gefahren vom Organismus abzuwenden: das Immunsystem.
Denn der körpereigene Abwehrschirm ist nicht nur dazu da, um Viren oder Bakterien zu bekämpfen. Er sortiert auch permanent Zellen aus, die nicht nach Plan funktionieren und uns gefährlich werden könnten – etwa indem sie sich unkontrolliert zu teilen beginnen. Doch dieser Schutz ist nicht perfekt: Hin und wieder gelingt es entarteten Zellen, dem wachsamen Blick des Immunsystems zu entkommen.
Das hängt auch damit zusammen, dass Immunzellen bildlich gesprochen zur Vorsicht erzogen wurden: »Sie sind strikt darauf geeicht, nicht gegen körpereigene Strukturen vorzugehen«, betont Prof. Thomas Oellerich, der am Universitätsklinikum Frankfurt die Klinik für Hämatologie und Onkologie leitet. »Denn ansonsten könnten sie im Organismus enorme Schäden anrichten. Sie attackieren daher in der Regel nur, was sie als fremd identifiziert haben.«
Immunzellen werden gegen Krebs »programmiert«
Doch Krebs unterscheidet sich von gesundem Gewebe meist lediglich durch einige Veränderungen im Erbgut. Dadurch ist er schwer zu erkennen. Dennoch gilt das Immunsystem Expertinnen und Experten heute als einer der wichtigsten Hoffnungsträger im Kampf gegen Tumorerkrankungen. Denn inzwischen ist es möglich, die körpereigene Abwehr ganz gezielt gegen bestimmte Merkmale von Krebszellen zu programmieren.
Immunzellen verfügen über spezielle Rezeptoren, mit denen sie ihre Gegner ausfindig machen. Sie bestehen aus einer Art Antenne, die auf der Zelloberfläche sitzt, und einer Inneneinheit. Wenn die Antenne bestimmte Merkmale auf der Oberfläche einer anderen Zelle entdeckt – beispielsweise solche, die auf den Befall mit einem Virus schließen lassen –, dann schlägt sie Alarm. Sie informiert die Inneneinheit, die daraufhin die Immunzelle in den Kampfmodus versetzt, so dass diese ihren Gegner vernichtet.
»Inzwischen ist es möglich, diese Rezeptoren genetisch zu manipulieren«, erklärt Oellerich. »Dabei wird die Antenne so verändert, dass sie auf die Oberflächenmoleküle von Krebszellen anspricht und dann durch die Inneneinheit die Immunzelle aktiviert.« In der Medizin spricht man von chimären Antigen-Rezeptoren, abgekürzt CAR. Mit ihrer Hilfe lassen sich lebensbedrohliche Krankheiten heilen. Ein Beispiel ist die akute lymphatische Leukämie (ALL), eine Blutkrebs-Form, die meist im Kindesalter auftritt. Die siebenjährige US-Amerikanerin Emily Whitehead war 2012 die erste ALL-Patientin, die mit der CAR-Immuntherapie behandelt wurde. Bei der Erkrankung entarten Zellen, die normalerweise zu einer bestimmten Sorte weißer Blutzellen heranreifen, den B-Zellen.
Heilung lebensbedrohlicher Leukämieerkrankungen
B-Zellen und ihre Vorläufer tragen auf ihrer Oberfläche ein Protein namens CD19. Die Ärztinnen und Ärzte gewannen aus Emilys Blut Immunzellen, die dazu in der Lage sind, andere Zellen abzutöten: die zytotoxischen T-Zellen. Diese versahen sie mit einem Rezeptor, dessen Antennen ganz spezifisch auf das CD19-Protein ansprachen. »Diese CAR-T-Zellen vernichteten darauf sämtliche B-Zellen und ihre CD19-positiven Vorläufer, einschließlich der Blutkrebszellen«, sagt Oellerich. »Dadurch gelang es, den Krebs zu eliminieren.« Inzwischen wird auch die CAR-Modifikation von anderen Immunzellen klinisch erprobt, den natürlichen Killerzellen. Hieraus erhofft man sich weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Zelltherapie.
Emily Whitehead gilt heute als geheilt. Auch bei anderen Krebserkrankungen des blutbildenden Systems, den Lymphomen, haben CAR-T-Zellen die Heilungschancen deutlich verbessert. Das renommierte Wissenschaftsmagazin Science kürte die Immuntherapie gegen Krebs 2013 gar zum »Durchbruch des Jahres«. Allerdings ist die Behandlung nicht ohne Risiko: Anfangs kam es bei manchen Patientinnen und Patienten zu einer lebensbedrohlichen Überaktivierung des Immunsystems oder zu schweren Entzündungsreaktionen im Gehirn.
Der Zelltherapie-Schwerpunkt des Universitätsklinikums Frankfurt setzt dennoch große Hoffnungen in die neue Therapieform. »Bei bestimmten Blutkrebserkrankungen, die auf andere Behandlungsmethoden nicht ansprechen, ist sie bei uns inzwischen das Mittel der Wahl«, sagt der Onkologe. »Pro Jahr therapieren wir damit am Uniklinikum Frankfurt inzwischen rund 60 Patientinnen und Patienten. Durch eine engmaschige Überwachung der Betroffenen und Fortschritte im klinischen Management der CAR-Technologie haben wir die Nebenwirkungen heute zudem besser im Griff als bei der Einführung dieser neuen Therapieform.«
Ansatz versagt bei soliden Tumoren
Leider lässt sich dieser Ansatz bislang aber nur gegen wenige Krebsarten nutzen. Bei der Behandlung von Hirntumoren, Pankreas- oder Lungenkrebs kommt er bislang noch nicht zum Einsatz. Das hat mehrere Gründe: Einerseits ist es sehr schwierig, eine geeignete Oberflächenstruktur zu identifizieren, die auf Tumorzellen vorkommt, aber nicht auf gesunden Körperzellen. Man weiß also bei vielen Krebserkrankungen schlicht nicht, gegen welche Erkennungszeichen man die Antennen des Immunsystems programmieren soll.
Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Solide Tumoren sind oft so kompakt organisiert, dass sie es allein dadurch Immunzellen erschweren, in sie einzudringen. Andererseits verfügen sie zusätzlich über ausgefeilte Defensiv-Strategien: »Tumoren stellen die körpereigene Abwehr mit verschiedenen Maßnahmen regelrecht kalt«, sagt Oellerich. »Sie schaffen sich eine Mikroumgebung, die das Immunsystem unterdrückt.« Dazu gehört unter anderem die Sauerstoffarmut im Tumorgewebe – was Gift ist für die Immuntruppen. Außerdem produzieren sie Substanzen, die Abwehrzellen gezielt lahmlegen. Diese Eigenschaften erschweren es, CAR-Immunzellen auch als Therapie gegen solide Tumoren einzusetzen.
Hessisches Konsortium soll Forschung an CAR-Zellen vorantreiben
Prof. Oellerich ist dennoch optimistisch, dass sich diese Schwierigkeiten ausräumen lassen. Er hat gerade zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Frankfurt und Marburg, dem Georg-Speyer-Haus, dem Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen und dem Paul-Ehrlich-Institut ein Großprojekt im hessischen LOEWE-Programm zur Förderung von Spitzenforschung einwerben können. Der geförderte LOEWE-Schwerpunkt namens CARISMa soll die Zelltherapieforschung in der Onkologie an den Partnerstandorten miteinander vernetzen. Zentrales Ziel: die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten verschiedener onkologischer Erkrankungen mit CAR-Immunzellen.
Oellerich sieht als Sprecher des CARISMa-Konsortiums gute Chancen, dass dieses Ziel in den nächsten Jahren erreicht werden kann – nicht zuletzt, weil das angedachte Konsortium eine breite Expertise bündelt. So beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Georg-Speyer-Haus unter der Leitung von Prof. Dr. Florian Greten seit Jahren mit der Mikroumgebung von Tumoren. »Ihre Arbeiten haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir die Unterdrückung des Immunsystems durch den Krebs heute besser verstehen«, betont der Mediziner (siehe Seite 29: »Gefährliche Nachbarschaft«). Darüber hinaus wird momentan in der Neuroonkologie des Universitätsklinikum Frankfurt in enger Zusammenarbeit mit dem Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen und dem Georg-Speyer-Haus die erste Studie mit CAR-modifizierten natürlichen Killerzellen zur Therapie von Hirntumoren durchgeführt.
An der Universität Marburg konzentriert sich die onkologische Forschung unter anderem auf schwer zu behandelnde Tumorerkrankungen wie das Pankreaskarzinom. Auch hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Methoden sowie der untersuchten Aspekte bei der Tumorentstehung ergänzen sich die beiden hessischen Universitäten. »Von dieser Komplementarität versprechen wir uns einen großen Innovationsschub«, sagt Oellerich. »Gleichzeitig erhoffen wir uns aus der Kooperation wichtige Synergien. So können wir neben komplementären Technologien und Expertisen durch standortübergreifende klinische Studien größere Zahlen von Patientinnen und Patienten einschließen und damit schneller zu aussagekräftigeren Ergebnissen kommen.«
CAR-Zellen made in Hessen
Das CARISMa-Konsortium bringt auch die Voraussetzungen mit, um ein drängendes weiteres Problem zumindest etwas zu entschärfen: Immuntherapien mit CAR-T- oder CAR-NK-Zellen CAR-NK-Zellen (NK steht für Natürliche Killerzellen) sind momentan extrem kostspielig. Zwar reicht für die Behandlung oft eine einzige Infusion aus. Für sie verlangen die Hersteller aktuell jedoch zwischen 300 000 und 400 000 Euro. »Wir hoffen, Immunzellen zukünftig selbst programmieren und klinisch einsetzen zu können, was mit einer erheblichen Einsparung von Kosten einhergehen würde«, erklärt der Frankfurter Wissenschaftler.
Einer der Partner des CARISMa-Konsortiums ist daher auch der DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen. Denn dort verfügt man unter der Leitung der Professoren Torsten Tonn und Halvard Bönig sowohl über die Technologien als auch das Know-how, um Blutpräparate (einschließlich CAR-Immunzellen) zu therapeutischen Zwecken herzustellen. Vielleicht enthalten manche der Infusions-Beutel künftig nicht gespendetes Plasma oder Vollblut – sondern CAR-Zellen made in Hessen.
Zur Person / Thomas Oellerich, Jahrgang 1983, ist seit 2011 an der Goethe-Universität als Arzt und Wissenschaftler tätig. Seit dem vergangenen Jahr leitet er am Universitätsklinikum Frankfurt die Klinik für Hämatologie und Onkologie. Zudem ist er Gründungssprecher des Forschungsprofilbereichs Molekulare und Translationale Medizin der Goethe-Universität. Oellerich studierte Humanmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen sowie der Royal Infirmary of Edinburgh (Schottland) und wurde 2012 in Göttingen promoviert. Danach arbeitete er an der Universität Cambridge (England) sowie am National Cancer Institute (NIH, USA). Für seine Forschungsleistungen wurde er mit verschiedenen Preisen, unter anderem dem Langener Wissenschaftspreis und dem Artur-Pappenheim-Preis, ausgezeichnet.
oellerich@em.uni-frankfurt.de
Der Autor / Frank Luerweg, Jahrgang 1969, ist Diplom-Biologe. Er war stellvertretender Pressesprecher der Universität Bonn und arbeitet seit 13 Jahren als freiberuflicher Wissenschaftsjournalist.