Frühe Fehlentwicklung in Arterien begünstigt spätere Ablagerungen
Ein Team des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) in Zusammenarbeit mit der Universität Bern hat gezeigt, wie ein Rezeptor in Gefäßmuskelzellen frühe Veränderungen in Arterien beeinflusst. Sinkt ChemR23, verlieren die Zellen ihre Stabilität und fördern Ablagerungen. Die Studie ordnet widersprüchliche Befunde der vergangenen Jahre neu ein.
Ablagerungen in Arterien, auch Plaques genannt, können Gefäße verengen, den Blutfluss mindern und Herzinfarkte oder Schlaganfälle auslösen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des DZHK-Standortes München und in Zusammenarbeit mit der Universität Bern hat untersucht, wie Veränderungen in der Gefäßwand diesen Prozess anstoßen. Die Studie erschien in Cardiovascular Research. Letztautorin ist Yvonne Döring tätig am Klinikum der Universität München und der Universität Bern.
Wenn Gefäßmuskelzellen ihre Aufgabe verlieren
Die Wände großer Arterien enthalten glatte Muskelzellen, die steuern, wie weit oder eng ein Gefäß ist. Diese Gefäßmuskelzellen verändern sich bereits früh im Krankheitsgeschehen. Sie reagieren stärker auf Fette und entzündliche Signale, verlieren ihre ursprüngliche Aufgabe und nehmen Merkmale von Immunzellen an. Damit tragen sie selbst dazu bei, dass sich Ablagerungen bilden.
Die Studie zeigt, dass sich dieser Fehlprozess beschleunigt, wenn der Rezeptor ChemR23 fehlt: In Mausmodellen wuchsen die Ablagerungen ohne ihn schneller. Die Zellen teilten sich häufiger, nahmen mehr LDL-Cholesterin auf und gaben weniger davon ab.
Warum ChemR23 früh sinkt
ChemR23 nimmt bereits ab, bevor Ablagerungen sichtbar werden. Die Forschenden sehen mehrere mögliche Auslöser. Frühe Entzündungsreize in der Gefäßwand können die Gefäßmuskelzellen beeinflussen. Hohe LDL-Spiegel führen dazu, dass mehr LDL-Partikel in die Gefäßwand eindringen und dort das Verhalten der Zellen verändern. Auch Strömungsverhältnisse in den Arterien können die Zellen unter Stress setzen. Diese Einflüsse bringen sie aus ihrer Balance. Geht ChemR23 zurück, ist das daher nicht nur eine Folge der Erkrankung, sondern Teil eines frühen Umschaltens, das spätere Ablagerungen begünstigt.
Gewebeproben des Menschen bestätigen die Ergebnisse
Untersuchungen an Arteriengewebe von Patientinnen und Patienten zeigen das gleiche Muster. Gesunde Gefäßmuskelzellen tragen viel ChemR23. Sobald sie ihre ursprüngliche Rolle verlieren und stärker auf Fette reagieren, sinkt der Rezeptor deutlich. Die Befunde aus humanem Gewebe stimmen damit mit den Ergebnissen aus den Tiermodellen überein.
Was passiert, wenn ChemR23 gehemmt oder aktiviert wird
Versuche mit menschlichen Gefäßmuskelzellen ergaben, dass eine Hemmung von ChemR23 die Fehlentwicklung verstärkt. Die Zellen teilten sich schneller, nahmen mehr LDL auf, gaben weniger überschüssiges Fett ab und schalteten innere Signalwege ein, die diese Veränderungen weiter antreiben.
Wurde der Rezeptors aktiviert, schwächten sich mehrere dieser Effekte ab. Die Studie zeigt damit, dass ChemR23 die Zellen stabil hält und steuert, wie diese Fette verarbeiten. Ein Eingriff an diesem Rezeptor könnte helfen, sie länger im gesunden Zustand zu halten und den frühen Fehlprozess zu bremsen.
Die Studie schafft Klarheit in einem bislang widersprüchlichen Forschungsfeld. Frühere Arbeiten beschrieben ChemR23 je nach untersuchtem Gewebe teils als entzündungsfördernd, teils als schützend. Die neue Untersuchung zeigt, dass der Rezeptor in der Gefäßwand eine stabilisierende Rolle hat. Für Gefäßmuskelzellen ergibt sich ein eindeutiges Bild: ChemR23 unterstützt ihre normale Funktion. Wenn er fehlt, verlieren die Zellen ihre Balance und fördern selbst den Aufbau der Ablagerungen.
Originalpublikation:
Evans BR et al. ChemR23 prevents phenotypic switching of vascular smooth muscle cells into macrophage-like foam cells in atherosclerosis. Cardiovascular Research, 2025