Cannabis-Extrakt bei Spastik: Entscheidung, was gesetzliche Krankenkassen zahlen, erfolgt im November

Original Titel:
Cannabis sativa (Sativex) bei Spastik durch eine multiple Sklerose

Für erwachsene Patienten mit Multipler Sklerose (MS), die an mittelschweren bis schweren spastischen Lähmungen und Krämpfen leiden, ist seit Mai 2011 in Deutschland ein Cannabis-Extrakt erhältlich. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun den Cannabis-Extrakt erneut einer Nutzenbewertung unterzogen.


Bei Menschen mit Multipler Sklerose kann es aufgrund von Nervenschädigungen zu Krämpfen, Lähmungen und Schmerzen kommen. Muskelkrämpfe, die vom Gehirn ausgehen, werden auch als Spastik bezeichnet. Wenn andere Therapien nicht ausreichen, um die Beschwerden zu lindern, kann zusätzlich ein Extrakt aus der Cannabis-Pflanze eingesetzt werden.

Cannabinoide gelangen über Mundschleimhaut in den Blutkreislauf

Der Cannabis-Extrakt wird als Mundspray angewendet. Die Dosierung kann innerhalb des in der Packungsanweisung angegebenen Rahmens individuell angepasst werden, um die Beschwerden bestmöglich zu lindern. Zeigt sich jedoch innerhalb von vier Wochen keine Besserung, soll das Präparat wieder abgesetzt werden.

Die Wirkung des Extrakts aus der Hanfpflanze beruht auf den darin enthaltenen Cannabinoiden. Forscher interessierten sich für diese Wirkstoffe, da ähnliche, körpereigene Stoffe unter anderem an der Steuerung von Bewegungen beteiligt sind. Bei Menschen mit durch MS hervorgerufener Spastik stellten Wissenschaftler fest, dass die Konzentration dieser sogenannten Endocannabinoide verringert ist. Hier sollen die Cannabinoide aus der Hanfpflanze helfen.

Erneute Nutzenbewertung mit neuen Daten

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun nochmals geprüft, welche Vor- oder Nachteile der Einsatz von Cannabis-Extrakt bei Menschen mit MS hat. Auf Basis solcher Nutzenbewertungen wird entschieden, wie viel gesetzliche Krankenversicherungen für ein neues Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zahlt. In einer vorherigen Prüfung konnte kein Zusatznutzen belegt werden. Dieses Mal wurden neue Studiendaten mit einbezogen. Dazu berücksichtigte das Institut zwei Studien zu dem auf dem deutschen Markt zugelassenen Präparat mit insgesamt 163 Teilnehmern. Die eine Hälfte der Teilnehmer wurde in den Studien jeweils mit dem Cannabis-Extrakt behandelt, die andere Hälfte erhielt ein Placebo. Zusätzlich wurden die Patienten mit muskelentspannenden Medikamenten behandelt.

Muskelkrämpfe können gelindert werden, Schmerzlinderung nur bei Frauen

Nach drei Monaten wurde untersucht, ob sich die Beschwerden durch den Cannabis-Extrakt gebessert hatten. Das IQWIG fasst zusammen, dass die Studien darauf hindeuten, dass der Cannabis-Extrakt Muskelkrämpfe lindern kann. Unter dem Cannabis-Extrakt traten bei 85 bis 93 von 100 Personen eine Besserung auf. In den Gruppen, die das Placebo erhielten, waren es etwa 45 bis 66 von 100 Personen. Bei der Schmerzlinderung durch den Cannabis-Extrakt konnte eine Wirkung nur bei den teilnehmenden Frauen festgestellt werden. Bei den Männern zeigte sich kein Unterschied zwischen solchen, die den Cannabis-Extrakt verwendeten und solchen, die das Placebo verwendeten.

In vielen Bereichen keine Vorteile – aber auch keine Nachteile

Neben diesen Vorteilen zeigten sich in vielen Bereichen keine Unterschiede, wenn zusätzlich Cannabis-Extrakt angewendet wurde. Dazu gehörte die Lebenserwartung, Aktivitäten im Alltag, Schlafunterbrechungen durch die Spastik, Gehgeschwindigkeit, Lebensqualität oder psychiatrische Erkrankungen.

Auch schwere Nebenwirkungen traten genauso häufig in beiden Gruppen auf. Insgesamt kam es bei 2 bis 11 von 100 Personen zu schweren Nebenwirkungen. Daher konnte das IQWiG keine Nachteile des zusätzlichen Einsatzes von Cannabis-Extrakt zur Behandlung von Spastiken feststellen. Lediglich zur Nebenwirkung, dass Schwindel auftreten kann, liegen bisher noch nicht genügend Daten vor.

Das IQWiG sieht einen möglichen Zusatznutzen des Cannabis-Extrakts bei der Behandlung von Spastiken bei MS in manchen Bereichen, in anderen ist der Zusatznutzen nicht bewiesen. Endgültig entscheidet darüber der Gemeinsame Bundesausschuss, der die Bewertung des Arzneimittels beim IQWiG in Auftrag gegeben hat. Dies wird voraussichtlich im November 2018 der Fall sein.

© Alle Rechte: HealthCom