Ursache von MS: Virusinfektion scheint Funktion von Immunzellen zu verändern

Original Titel:
Expression of the DNA-Binding Factor TOX Promotes the Encephalitogenic Potential of Microbe-Induced Autoreactive CD8+ T Cells.

MedWiss – Schweizer Forscher haben Hinweise darauf gefunden, wie Infektionen an der Entstehung von Multipler Sklerose (MS) beteiligt sein könnten. Ein bestimmtes Molekül, das an das Erbgut von Immunzellen bindet, scheint die Immunzellen dazu zu bringen, das Gehirn anzugreifen.


Die genaue Ursache von Multipler Sklerose (MS) ist weiterhin rätselhaft. Inzwischen ist bekannt, dass Risikogene, aber auch Umwelteinflüsse wie Infektionen oder Rauchen eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielen können. Doch wieso bricht die MS manchmal aus und in anderen Fällen nicht? Forscher aus der Schweiz haben versucht, mehr über die Rolle von Infektionen bei der Entstehung von Multipler Sklerose herauszufinden. Sie schauten sich daher an, welche Autoimmunreaktionen von verschiedenen Krankheitserregern hervorgerufen werden.

Bakterielle und virale Infektion: Gibt es Unterschiede?

Die Forscher infizierten gesunde Mäuse mit zwei verschiedenen Krankheitserregern, die eine entsprechende Reaktion des Immunsystems auslösen. Bei einem Krankheitserreger handelte es sich um ein Bakterium, das zu den Listerien gehört, und bei dem anderen um ein Virus (Lymphozytäre-Choriomeningitis-Virus).

Anschließend untersuchten die Forscher die Immunreaktion auf die unterschiedlichen Krankheitserreger. Dabei sahen sie, dass in beiden Fällen etwa die gleiche Anzahl bestimmter T-Zellen aktiv wurde. Die zytotoxischen T-Zellen können mit Krankheitserregern infizierte Zellen anhand bestimmter Merkmale auf der Zelloberfläche erkennen und eine Art Selbstzerstörungsprogramm bei diesen Zellen einleiten. Das soll verhindern, dass sich die Erreger im Körper immer weiter ausbreiten.

Entzündungsreaktionen sind im Gehirn nicht erwünscht

Im Gehirn können solche Immunreaktionen gefährlich sein und Schäden verursachen, denn im Gehirn können einzelne Zellen nicht so einfach ersetzt werden. Deswegen ist die Immunreaktion im zentralen Nervensystem insgesamt sehr streng reguliert. Durch die Blut-Hirn-Schranke kommen nur ganz bestimmte Immunzellen – und im Idealfall auch keine Krankheitserreger. Bei Multipler Sklerose können mehr Immunzellen diese Barriere überwinden.

Virale Infektion löste MS-ähnliche Erkrankung aus bei den Mäusen

Ein Unterschied zwischen der Infektion mit den Bakterien oder Viren sahen die Forscher jedoch darin, wo es zu einer entzündlichen Hirnerkrankung ähnlich einer MS kam. Diese trat nur bei Mäusen auf, die mit dem Virus infiziert wurden. Die Forscher vermuteten, dass sich etwas in der Funktion der zytotoxischen T-Zellen verändert hatte.

Unterschied liegt vermutlich in der Herstellung eines Moleküls

Um herauszufinden, was den Unterschied macht, verglichen die Forscher welche Gene in den zytotoxischen T-Zellen der Mäuse an- oder ausgeschaltet waren, wenn sie durch die Bakterien oder die Viren aktiviert wurden. Dabei entdeckten die Forscher ein Molekül, das nur die T-Zellen herstellten, die mit den Viren in Kontakt gekommen waren. Das Molekül namens TOX ist ein DNS-bindender Faktor, das heißt, dass dieses Molekül an das Erbgut der Zelle binden kann und dort mitsteuert, welche Gene aktiv sind. Damit hat TOX letztlich Auswirkungen auf die Funktion der Immunzelle. Die Herstellung von TOX scheint durch das Entzündungsumfeld beeinflusst zu werden.

Mäuse ohne TOX wurden nicht krank

Die Forscher überprüften ihre Ergebnisse, indem sie Mäuse mit dem Virus infizierten, deren Immunzellen TOX nicht herstellen können. Trotz der Infektion mit dem Virus entwickelten diese Mäuse die Krankheit nicht. Das deutet darauf hin, dass TOX bei der Entstehung von Multipler Sklerose eine Rolle spielt.

TOX verändert die Kommunikation der zytotoxischen T-Zellen

TOX scheint bei den Immunzellen dafür zu sorgen, dass die Typen von Rezeptoren auf der Zelloberfläche der zytotoxischen T-Zellen verändert sind. Über diese Rezeptoren kommunizieren die Immunzellen mit ihrer Umgebung. Die Veränderung scheint dafür zu sorgen, dass die zytotoxischen T-Zellen die vom Gehirn gesendeten Blockiersignale nicht mehr empfangen können und die Blut-Hirn-Schranke überschreiten. Dort greifen sie Nervenzellen an und es kommt zum Ausbruch der MS, vermuten die Forscher.

TOX ist auch im Menschen zu finden

Dass dieser Mechanismus nicht nur in Mäusen, sondern auch im Menschen zu finden ist, dafür sprechen die weiteren Ergebnisse der Schweizer Wissenschaftler: Sie konnten zeigen, dass TOX auch in T-Zellen hergestellt wird, die in MS-Läsionen zu finden sind. Die Forscher sind zuversichtlich, dass ihre Ergebnisse zu einem besseren Verständnis der Multiplen Sklerose und zur Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten beitragen kann. Um die Ursache von MS herauszufinden, sei aber noch viel zu tun. Die Forscher werden sich daher zukünftig weiter mit TOX beschäftigten und auch prüfen, ob das Molekül eine Rolle bei anderen Autoimmunerkrankungen und einigen Krebsarten spielen könnte.

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