Multiple Sklerose

Halsvenen-Angioplastie: sicher, aber nicht wirksam

Original Titel:
Efficacy and Safety of Extracranial Vein Angioplasty in Multiple Sclerosis: A Randomized Clinical Trial.

Liberation Treatment, also Befreiungs- oder Erlösungsbehandlung, so vielversprechend taufte der italienische Gefäßchirurg Paolo Zamponi damals seine neue Behandlungsmethode für Multiple Sklerose. Zamponi veröffentlichte im Jahr 2009 eine Studie, bei der er nicht nur den Beweis für eine schon länger kursierende Entstehungstheorie für MS liefern wollte, sondern eine Behandlung gleich mit.

Zamponi hielt blockierte Venen für Ursache von Nervenschäden

Er hatte beobachtet, dass die für MS typischen Läsionen im Gehirn vor allem um Blutgefäße herum entstehen. Als Grund dafür sah er Blockaden in den Venen, zwischen Herz und Gehirn, die er bei MS-Patienten beobachtete. Der dadurch entstehende Stau und Rückfluss sorge für ein Austreten von Blut aus den dünnen Gefäßwänden, wodurch sich Eisen im Gehirn ablagere. Diese Ablagerungen wiederum würden die Entzündungen in Gang setzen, die die Nervenzellen schädigen. Dieses Syndrom nannte er Chronische Cerebro-Spinale Venöse Insuffizienz, kurz CCSVI. Zamponi war überzeugt, dass ein Wiederherstellen des Durchflusses der verengten Venen zur Behandlung von MS geeignet ist. Dazu wurden die Venen mittels eines Ballonkatheters geweitet, eine Technik, die in bei der Behandlung von verengten Herzkranzgefäßen eingesetzt wird. Man nennt es auch Halsvenen-Angioplastie.

Experten bemängelten Zamponis Studie – Deutsche Gesellschaft forderte Verbot der Behandlung

Einen ersten Beleg für die Wirksamkeit der Behandlung wollte Zamponi mit seiner Veröffentlichung 2009 dokumentieren. Er hatte 65 MS-Patienten mit seiner Liberation Treatment behandelt. Dabei weitete er die innere Drosselvene (vena jugularis interna), die im Hals verläuft, und die Azygos-Vene, die Blut aus dem Rückenmark zurück zum Herzen führt. Bei einem Großteil der Patienten soll die Wiederherstellung des Blutdurchflusses zu einer erheblichen Verbesserung geführt haben.

Während die Medien die Veröffentlichung verbreiteten und bei vielen Patienten die Hoffnung auf eine neue und ursächliche Behandlung aufkam, sahen Experten die italienische Studie aber kritisch. Zum einen gab es keine Kontrollgruppe, zum anderen litten die meisten Patienten, die von Zamponi behandelt wurden an einer milden Form der schubförmigen MS, bei der sich die Symptome meist vollständig zurückbilden, sodass nicht ganz klar war, ob für die Verbesserung der natürliche Krankheitsverlauf oder die Behandlung verantwortlich war. Für Patienten mit progressivem Verlauf brachte die Studie nämlich keine Besserung. Auch wurde nicht veröffentlicht ob, und wenn ja welche Medikamente die Patienten zum Zeitpunkt des Eingriffs einnahmen. Auch konnten viele Ärzte Zamponis Beobachtung, dass die MS-Patienten überwiegend die besagten Verengungen der Halsvenen aufwiesen, nicht bestätigen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie forderte im April 2013 gar ein Verbot der Behandlung.

Zamponi führte neue Studie nach wissenschaftlichen Kriterien durch

Nun hat Paolo Zamponi noch einmal nachgelegt, mit einer Studie die wissenschaftlichen Kriterien entspricht. In der „Brave Dreams“ Studie behandelten er und sein Team 115 Patienten mit schubförmiger MS. Zwei von drei Patienten wurden mit Zamponis Liberation Treatment behandelt, die anderen Teilnehmer erhielten eine Scheinbehandlung. Keiner der Teilnehmer wusste, welche Behandlung ihm zugeteilt wurde. Nach 12 Monaten wurden die Patienten untersucht, ob sich ihre körperlichen Funktionen wie Gehfähigkeit, Balance, Sehkraft etc. verbessert hatten und geschaut, ob neue Läsionen im Gehirn aufgetreten waren. Falls ja, wurde deren Ausmaß bestimmt.

Vorteile lassen sich nicht sicher belegen

Durch die Behandlung gab es keine schweren Nebenwirkungen und bei etwas mehr als der Hälfte aller Patienten, die das Liberation Treatment bekamen, konnte der Blutfluss wiederhergestellt werden. Auf die körperliche Funktion der Patienten hatte dies aber keinen Einfluss, die Werte waren vergleichbar zu denen der Patienten, die eine Scheintherapie erhalten hatten. Zwischen dem sechsten und zwölften Monat nach der Behandlung hatten die Teilnehmer mit Angioplastie weniger neue Läsionen als die Patienten mit der Scheinbehandlung. Der Vorsprung war jedoch so gering, dass wenn man die Anzahl neuer Läsionen über den gesamten Studienzeitraum betrachtet, dieser statistisch nicht mehr nachweisbar ist.

Ohne neue Läsionen waren zwischen dem sechsten und zwölften Monat 83 % der Patienten mit Angioplastie, aber nur 67 % derer mit einer Scheinbehandlung. Über den gesamten Studienzeitraum waren es 63 % bei der Angioplastie gegenüber 49 % bei der Scheinbehandlung. Diese Unterschiede lasen sich aber nicht statistisch nachweisen und sind daher nicht aussagekräftig.

Erfinder des „Liberation Treatment“ räumt ein: Behandlung sei weitestgehend unwirksam

Damit hat Zamponi seine Kritiker bestätigt und er räumt auch selbst ein, dass die Behandlung zwar sehr sicher aber weitestgehend ineffektiv ist. Damit bleibt auch die Ursache für MS weiterhin unklar, und die Vermutung einer genetischen Veranlagung im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren die gängigste Theorie.

© Alle Rechte: HealthCom